"Die spinnen, die Briten"? London will Latein als Schulfach fördern
London (dpa) - Latein, so heißt es gerne spaßig, sei die späte Rache der Römer an den Germanen. Geht es nach den Plänen der britischen Regierung, könnten bald auch Tausende englische Schüler das Bonmot auf sich münzen. Denn Bildungsminister Gavin Williamson will den Lateinunterricht an staatlichen Schulen deutlich ausbauen.
Früher machte sich die britische Komikertruppe Monty Python über Latein lustig, nun will die Regierung die "tote" Sprache wiederbeleben - spinnen die Briten, wie Comic-Held Obelix sagen würde?
Offensichtlich nicht. Williamson sieht Vorteile auf gleich mehreren Ebenen - Latein könne sogar dabei helfen, die oft als Zwei-Klassen-System kritisierte Schulbildung zu verbessern. "Wir wissen, dass Latein den Ruf hat, ein elitäres Fach zu sein, das nur wenigen Privilegierten vorbehalten ist", sagt Williamson im Gespräch mit dem "Daily Telegraph". "Aber das Fach kann jungen Menschen so viele Vorteile bringen, also möchte ich diese Kluft beenden."
Der Status quo weist eine dramatische Differenz auf: Während in rund der Hälfte (49 Prozent) der privaten Lehranstalten Latein angeboten wird, gibt es das Fach nur in 2,7 Prozent der öffentlichen Schulen, wie aus einem Bericht des Kulturinstituts British Council hervorgeht. Zum Vergleich: In Deutschland lernten 2019/20 insgesamt 5,8 Prozent der Schüler Latein.
Ungerechtes Schulsystem
Das britische Schulsystem gilt als einer der Gründe für soziale Ungerechtigkeit im Land. Während wohlhabende Eltern ihre Kinder für Zehntausende Pfund im Jahr auf Privatschulen schicken, wo sie häufig schon im jungen Alter elitäre Zirkel für ihr künftiges Berufsleben schmieden, haben es Kinder, die kostenlose staatliche Schulen besuchen, oft schwerer, einen guten Beruf zu erlangen, sind häufiger von Armut und Gewalt betroffen.
Studien haben ergeben, dass Privatschul-Absolventen deutlich bessere Karriere-Chancen haben. Das Land werde dominiert von einer kleinen Schicht der sieben Prozent, die private Anstalten besucht haben, stellte die Denkfabrik Sutton Trust 2019 fest. Richter, Ärzte, Militärs oder auch Politiker wie Premierminister Boris Johnson, der allerdings ein Stipendium hatte - das Gros der britischen Führungspersönlichkeiten hat private Schulbildung genossen.
Latein soll es richten
Nun soll Latein also dabei helfen, dieses Ungleichgewicht zu kitten. Aber es gibt noch weitere Beweggründe, wie der "Telegraph" schreibt. So seien Lateinkenntnisse auch in anderen Fächern wie Englisch oder Mathe hilfreich. Zudem setzt das Ministerium darauf, dass Latein auch beim Erlernen anderer Sprachen hilft.
Mit Ausnahme von Spanisch ist das Interesse an modernen Fremdsprachen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, wie das British Council ermittelt hat. Wählten 2005 noch 12.716 Jugendliche Französisch für ihren A-level genannten Abschluss, der dem Abitur ähnelt, waren es 2020 nur noch 7557. Die Zahl der Deutsch-Absolventen halbierte sich in dem Zeitraum sogar: von 5481 auf 2666.
Dem soll gegengesteuert werden. Als ein Grund gilt - auch wenn das keiner in den Mund nimmt - der Brexit. Denn die neuen scharfen Einwanderungsregeln erschweren den Zuzug von Fachkräften und den Austausch mit Ausländern. Dass die britische Regierung nach dem EU-Austritt auch das Studentenaustauschprogramm Erasmus verlassen hat, gilt ebenfalls als Rückschlag beim Sprachaustausch. Zu viele Briten, so räumen sie selbst ein, verlassen sich darauf, dass sie mit der globalen lingua franca Englisch in der Welt weit kommen. Und merken dann, dass es an der Verständigung doch hakt.
Alea iacta est
Zudem hat die Corona-Pandemie den Spracherwerb zurückgeworfen. Fremdsprachen zählten oft zu den ersten Fächern, die im Video-Unterricht gestrichen wurden, wie das British Council betont. Die Würfel sind gefallen: Geplant ist ein vierjähriges Pilotprogramm an 40 staatlichen Schulen, vor allem in wirtschaftlich schwachen Gegenden, für das summa summarum 4 Millionen Pfund (4,7 Mio Euro) eingeplant sind. Im Visier sind vor allem Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 16 Jahren.
Als Anreiz sind etwa Besuche römischer Stätten im Land geplant, um ein tieferes Verständnis für Sprache und Kultur zu fördern. Schließlich hat Großbritannien eine reiche römische Geschichte, jahrhundertelang beherrschten die Römer weite Teile der Insel. Noch immer finden Archäologen römische Ruinen oder Mosaike.