Mordfall Sarah Everard Polizei löst mit Einschreiten bei Mahnwache Empörung aus
In Großbritannien protestieren hunderte Frauen nach der Ermordung von Sarah Everard gegen Gewalt und Belästigung. Die Polizei schreitet gewaltsam ein – und löst einen Aufschrei in London aus.
Die Londoner Polizei steht wegen ihres Einsatzes bei einer nicht genehmigten Mahnwache für die entführte und getötete Sarah Everard heftig in der Kritik. Die Wut wächst. Es könnte der Anfang einer neuen Frauenrechtsbewegung sein.
Selbst die britische Herzogin Kate (39) hatte es sich nicht nehmen lassen, am Samstag Blumen an dem improvisierten Gedenkort für die auf ihrem Nachhauseweg entführte und ermordete Sarah Everard niederzulegen.
Stunden später kam es zu hässlichen Szenen, als die Polizei mit Gewalt Teilnehmerinnen einer Mahnwache von dem Musikpavillon in dem Park Clapham Common im Londoner Süden wegzerrte. Nun steht Scotland Yard heftig in der Kritik. Ausgerechnet am britischen Muttertag und der Woche des Internationalen Frauentags fühlen sich viele Frauen in Großbritannien von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen.
Erst am Freitag war der in einem Waldstück in der Grafschaft Kent gefundene leblose Körper der zuvor als vermisst gemeldeten 33-jährigen Everard identifiziert worden. Damit wurde aus Befürchtungen über ihr Schicksal traurige Gewissheit. Zuletzt gesehen wurde sie am 3. März in der Nähe von Clapham Common, als sie in der Dunkelheit auf dem Nachhauseweg von einer Freundin war. Ein 48 Jahre alter Polizist steht unter Verdacht, sie entführt und ermordet zu haben.
Der Fall löste einen landesweiten Aufschrei gegen Belästigungen und Gewalt an Frauen aus. Es geht dabei nicht nur um extreme Fälle, wie den von Sarah Everard, sondern um alltägliche Übergriffe und um die Angst, die für Frauen ständiger Begleiter ist.
Einsatz wegen Corona-Verstößen bei den Protesten
Hunderte Menschen hatten sich am Samstagabend trotz Warnungen vor Verstößen gegen die Corona-Regeln an dem Musikpavillon zusammengefunden. Ein offizieller Aufruf zu der Mahnwache von der Initiative "Reclaim these Streets" (etwa: "Erobert diese Straßen zurück") war von den Organisatorinnen zurückgenommen worden, nachdem Gespräche mit der Polizei über eine Durchführung unter Beachtung der Corona-Maßnahmen gescheitert waren. Doch davon ließen sich viele nicht abhalten.
Auf Videos von dem Polizeieinsatz am Samstagabend war zu sehen, wie Polizisten mehrere Frauen gewaltsam abführten. Eine Frau wurde auf den Boden gedrückt. "Die Beamten vor Ort waren mit einer sehr schwierigen Entscheidung konfrontiert", rechtfertigte eine Scotland-Yard-Sprecherin den Einsatz später, bei dem es vier Festnahmen gegeben hatte. Die Menschen hätten am Abend eng zusammengestanden, dabei sei das Risiko von Übertragungen des Coronavirus sehr hoch gewesen. Keine Bedenken habe es den Tag über gegeben, als viele Menschen – wie Kate – Blumen an dem improvisierten Gedenkort niederlegt hatten.
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"Reclaim these Streets" teilte mit, Frauen im ganzen Land seien "zutiefst traurig und wütend über die Szenen, die Polizisten beim Überwältigen von Frauen während einer Mahnwache gegen männliche Gewalt zeigen". Sie machten die Beamten für die Eskalation verantwortlich. Die Mahnwache hätte wie geplant mithilfe von Ordnerinnen im Rahmen der Corona-Regeln durchgeführt werden können. Doch das habe die Polizei abgeblockt, hieß es in der Mitteilung.
Auf Twitter verwiesen viele Nutzer zudem auf eine ausgelassene Feier von Fußballfans vor einer Woche im schottischen Glasgow. Tausende Menschen hatten den Sieg der schottischen Meisterschaft durch die Glasgow Rangers auf den Straßen der Stadt gefeiert. Die Polizei schritt damals nicht ein.
Einschreiten "weder angemessen noch verhältnismäßig"
Londons Bürgermeister Sadiq Khan nannte die Szenen des Polizeieinsatzes "inakzeptabel". Die Polizei habe zwar die Verantwortung, die Corona-Maßnahmen durchzusetzen, aber von den Bildern werde klar, dass die Reaktion der Beamten "weder angemessen noch verhältnismäßig" war, so der Labour-Politiker.
Innenministerin Priti Patel bezeichnete die Aufnahmen als teilweise verstörend. Sie habe einen "vollständigen Bericht" von Scotland Yard zu den Ereignissen angefordert. Ausgerechnet am Montag soll jedoch ein Gesetzentwurf der konservativen Politikerin in die zweite Lesung im Parlament gehen, der Polizisten mehr Möglichkeiten geben soll, Proteste zu beschränken.
Der Fraktionsvorsitzende der Liberaldemokraten im britischen Parlament, Ed Davey, forderte die Londoner Polizeichefin Cressida Dick zum Rücktritt auf. Die Szenen des Polizeieinsatzes seien eine Schande für die Metropolitan Police, so Davey auf Twitter.
Bei der Bewegung "Reclaim these Streets" gingen unterdessen bis Sonntagfrüh knapp 500.000 Pfund (rund 582.000 Euro) an Spenden ein. Ursprünglich sollten damit Strafen bezahlt werden, mit denen die Veranstalterinnen hätten rechnen müssen, wenn sie die Mahnwache wie geplant durchgeführt hätten.
Jamie Klingler, eine der Organisatorinnen von "Reclaim these Streets" sagte der britischen Nachrichtenagentur PA, es fühle sich an, wie im Zentrum einer Flutwelle zu stehen, bei der die halbe Bevölkerung (an die Männer gerichtet) sage: "Das ist euer Problem, ihr müsst es in den Griff bekommen, und zwar jetzt, wir werden es nicht länger hinnehmen."
- Nachrichtenagentur dpa