Amtszeit endet Rührung und Witz: Jean-Claude Juncker nimmt Abschied
Straßburg (dpa) - Etwas melancholisch, bisweilen emotional, manchmal verschmitzt: Jean-Claude Juncker hat sich nach fünf Jahren als Präsident der Europäischen Kommission verabschiedet und Bilanz gezogen.
Es waren fünf Krisenjahre, daran erinnerte der 64-jährige Luxemburger am Dienstag im Europaparlament noch einmal, fünf Jahre mit Enttäuschungen und Erfolgen, Durchbrüchen und Verbitterung. Aber er schloss mit einem "Es lebe Europa!". Und am Ende zollten fast alle Parteien dem oft eigenwilligen Christdemokraten Respekt.
"Ich scheide aus dem Amt nicht betrübt, auch nicht übermäßig glücklich, aber im Gefühl, mich redlich bemüht zu haben", sagte Juncker. "Ich war stolz darauf, während langer Zeit und vor allem in den letzten fünf Jahren ein kleines Teilchen eines größeren Ganzen zu sein, das wichtiger ist als wir." Den Tränen nahe war er beim Dank an seine Kommissare: "Ohne sie wäre mir nichts gelungen."
Der Luxemburger erinnerte daran, dass die Europäische Union vor allem ein Friedensprojekt sei. "Frieden ist nicht selbstverständlich, und wir sollten stolz darauf sein, dass Europa den Frieden erhält", sagte er. Darüber müsse man auch mit jungen Menschen reden. Seinen Nachfolgern gab er aber vor allem mit: "Bekämpft mit aller Kraft den dummen Nationalismus."
Juncker scheidet offiziell zum 1. November aus dem Amt, führt aber noch die Geschäfte, bis seine Nachfolgerin Ursula von der Leyen starten kann. Der frühere luxemburgische Regierungschef war 2014 nach Brüssel gewechselt.
In seine Amtszeit fiel unter anderem die Schuldenkrise, die 2015 fast zum Rauswurf Griechenlands aus der Eurozone geführt hätte, und die Flüchtlingsbewegung 2015. Im Jahr darauf folgte die Brexit-Entscheidung in Großbritannien, die die Gemeinschaft seither fast pausenlos beschäftigt.
Zu den Rückschlägen zählte Juncker, dass die Wiedervereinigung Zyperns nicht vorangekommen und kein Rahmenvertrag für engere Beziehungen mit der Schweiz gelungen sei. Vor allem aber beklagte er, dass die Bankenunion nicht vollendet sei. Nur wenn das gelinge, sei man für die nächsten Krisen besser gewappnet, mahnte Juncker.
Auf der Habenseite verbuchte Juncker das 2014 von ihm gestarteten Investitionsprogramm, den sogenannten Juncker-Plan. Die damit abgesicherten Investitionen hätten 1,1 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaft in der Europäischen Union um 0,9 Prozent zusätzlich wachsen lassen. Darauf könne man stolz sein. Insgesamt wurden über einen mit 21 Milliarden Euro bestückten Fonds nach Angaben der EU-Kommission Investitionen in Wert von 439,4 Milliarden Euro mobilisiert.
Die soziale Ausrichtung der EU sei vorangekommen, gegen die Widerstände etlicher EU-Staaten, sagte Juncker. Wichtig sei ihm auch gewesen, Griechenland in der Eurozone zu halten, auch das gegen den Protest aus einigen Hauptstädten. Die Bilanz seiner Flüchtlingspolitik sei "besser, als man denken könnte", obwohl hier ebenfalls die Mitgliedsstaaten nicht mitgezogen hätten. Immerhin seien durch die Politik der EU 760.000 Menschenleben auf der Mittelmeerroute gerettet worden.
Juncker erinnerte an sein Treffen mit US-Präsident Donald Trump im Juli 2018, bei dem er den Handelskonflikt mit den USA entschärft hatte. Dass allein die Kommission für die EU-Handelspolitik zuständig sei, habe Trump mit Interesse zur Kenntnis genommen. "Wenn man als Luxemburger in Washington sitzt und sagt, ich bin der entscheidende Mann, dann ist das quasi einmalig", scherzte Juncker.
Von den großen Fraktionen im Europaparlament bekam Juncker zum Abschied viel Lob mit einigen kritischen Zwischentönen. Der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, dankte seinem Parteifreund: "Ein großer Europäer verlässt in den nächsten Wochen die Bühne."
Der Sozialdemokrat Jens Geier monierte, die Sozialpolitik sei nicht konsequent genug gewesen, würdigte aber auch Erfolge wie die Abschaffung der Roaminggebühren. Der Liberale Dacian Ciolos lobte den Juncker-Plan. Auch der Grüne Philippe Lamberts gestand Juncker zu, er habe sich redlich bemüht, wenngleich seine Kommission die neuen Herausforderungen nicht ganz verstanden habe.
Nur der Fraktionschef der rechtspopulistischen ID, Marco Zanni, meinte: "Das war wahrscheinlich die schlimmste Kommission der letzten 50 Jahre. Aber Sie können sich damit trösten, dass Ihre Nachfolgerin es noch schlechter machen wird."
Ursula von der Leyen kann wohl nicht vor 1. Dezember ihr Amt antreten, weil ihr Personalpaket noch nicht komplett ist. Drei designierte Kommissare scheiterten im Nominierungsverfahren. Frankreich, Rumänien und Ungarn müssen nun neue Kandidaten präsentieren.