Terrormiliz in Afghanistan Für den Traum vom Kalifat massakriert der IS Abtrünnige
Die Terrormiliz Islamischer Staat träumt weiter davon, die gesamte muslimische Welt zu beherrschen. In Afghanistan massakriert er vor allem Schiiten, die er für Verräter hält.
Vor etwa vier Jahren machte der "Islamische Staat" in der Provinz Chorasan erstmals von sich reden. Inzwischen schlägt der Ableger der IS-Terrormiliz in Afghanistan immer blutiger und stärker zu, zuletzt am Sonntag, als ein Selbstmordattentäter vor einem Büro zur Wählerregistrierung in Kabul 57 Menschen in den Tod riss und rund 120 weitere verwundete.
Die meisten Opfer gehörten zur Volksgruppe der Hasaras, schiitische Muslime, denen der Kampf der sunnitischen IS-Extremisten gilt. Diese betrachten die Schiiten als Abtrünnige und kämpfen für ein Kalifat, das die gesamte muslimische Welt regieren soll. Der Name Provinz Chorasan bezieht sich auf eine historische Region in Zentralasien, die auch Teile des heutigen Irans und Afghanistans umfasste.
Wie stark ist der IS in Afghanistan?
Als die IS-Terrormiliz in Afghanistan auftauchte, rekrutierte sie ihre Kämpfer aus pakistanischen Taliban und unzufriedenen einheimischen Taliban. Die Pakistaner – darunter viele besonders entschlossene und grausame Extremisten – waren bei einer Militäroffensive aus der Stammesregion Bajaur vertrieben worden. Die Afghanen waren aufgebracht über ihre Führung, die Abstand von Gewalt nahm und Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe in Betracht zog.
Zunächst waren die Aktivitäten des IS weitgehend auf die östliche Provinz Nangarhar begrenzt, doch in den vergangenen Jahren fasste die Terrorgruppe zunehmend Fuß im Norden und Nordosten Afghanistans. Ihre Reihen füllten sich bald mit usbekischen Kämpfern, insbesondere aus der Islamischen Bewegung Usbekistan (IMU), die auch im pakistanischen Stammesgebiet aktiv waren und vor Regierungstruppen flohen. Analysten bescheinigen der IMU extreme Brutalität und den Kämpfern – als Nicht-Afghanen – zudem keinerlei Hemmungen, Massaker in Afghanistan anzurichten.
Mit Hilfe der usbekischen Extremisten hat sich der IS in Teilen Nordafghanistans breit machen können, wo viele afghanische Usbeken leben. Immer wieder wird berichtet, dass IMU-Mitglieder dort offen Kämpfer rekrutieren.
Im vergangenen Jahr drohten die Terroristen den Schiiten im Land klar mit verstärkter Verfolgung. Seitdem haben sie auch mehrere blutige Anschläge auf schiitische Gebetsstätten in Kabul und Herat in Westafghanistan verübt. Die Größe des IS in Afghanistan wird auf 3.000 bis 5.000 Kämpfer geschätzt.
Welche Ziele hat der IS?
Der "IS in der Provinz Chorasan" teilt mit seinen syrischen und irakischen IS-Verbündeten das Bestreben nach einem Kalifat für die gesamte muslimische Welt. Einziges erklärtes Ziel in Afghanistan ist aber ein Land frei von Schiiten. Die schiitischen Muslime stellen etwa 15 Prozent der rund 35 Millionen Afghanen. Die überwiegende Mehrheit der afghanischen Bevölkerung ist sunnitischen Glaubens und lebt seit jeher grundsätzlich friedlich mit der schiitischen Minderheit zusammen.
Die Schiiten haben zuletzt die Sicherheitsvorkehrungen um ihre Gebetsstätten verstärkt. Die afghanischen Sicherheitskräfte scheinen allerdings überfordert mit dem Schutz der Gotteshäuser.
Hat der IS Unterstützung in der Bevölkerung?
Bei den Afghanen gibt es wenig Unterstützung für eine Bewegung, deren einziges erklärtes Ziel die Tötung der schiitischen Muslime ist. Afghanistan ist ein konservativ-muslimisches Land, das wiederholt von radikalen religiösen Gruppen regiert wurde – erst von den anti-sowjetischen Mudschaheddin, dann von den Taliban –, doch hinter ein Kalifat stellt sich kaum jemand. Selbst die radikalsten Herrscher waren nationalistisch gesinnt.
Wie ist die Beziehung des IS zu den Taliban?
Der IS und die Taliban sind Konkurrenten und Gegner. Das hat unter anderem Russland dazu bewogen, das Gespräch mit den Taliban zu suchen, die es als Bollwerk gegen den IS-Schrecken an seiner südlichen Grenze sieht. Den relativ lose strukturierten Taliban gehören seit dem Tod ihres Führers Mullah Mohammed Omar vor einigen Jahren vor allem ethnische Paschtunen und arabischsprechende Kämpfer mit Kontakten zur Al-Kaida an. Taliban und IS bekämpfen sich in der Provinz Nangarhar in Ostafghanistan, die beide Gruppen unter Kontrolle bringen wollen und wo afghanische und amerikanische Sicherheitskräfte nach IS-Verstecken suchen.
- AP