Terror-Talk bei "Hart aber fair" „Wir lassen uns das Schweineschnitzel nicht verbieten“
Am Tag zweier Anschläge in London und Paris, deren Motivationen unterschiedlicher nicht hätten sein können, hat Frank Plasberg über die Frage diskutiert: „Wenn Terror Alltag wird - ist Mutigsein jetzt Bürgerpflicht?“
Die Gäste
- Thomas Strobl, CDU
- Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin
- Georg Mascolo, Journalist
- Prof. Dietmar Heubrock, Rechtspsychologe Uni Bremen
- Julia Schmitz, Überlebende des Bataclan-Attentats in Paris
Das Thema
Zwei Anschläge, die zeigen, dass unsere Gesellschaft droht, auseinanderzudriften. Die Angst der Menschen, sich nicht mehr auf Großveranstaltungen zu trauen. Der Trotz wiederum anderer Menschen, genau das zu tun. Eine Demonstration von Muslimen in Köln, die nicht an ihrem Geist, sondern an der Anzahl Menschen bewertet wird, die an ihr teilgenommen haben. Und über allem die Frage: Wie viel Grundvertrauen haben die Menschen noch in ihr eigenes Gefühl von Sicherheit?
Die Fronten
Fronten, nein, die gab es am Montagabend nicht. Vielleicht am ehesten noch in der Frage, ob die Demonstration der Muslime in Köln gegen Terror ein Erfolg war oder nicht, weil „nur“ knapp 1500 Menschen auf die Straßen gegangen waren. Waren das jetzt viele? Wenige? War die Mit-Organisatorin Lamya Kaddor enttäuscht, wie Plasberg mehrfach nachbohrte? Oder war das Signal entscheidend, dass es überhaupt eine solche Demonstration gab und eigentlich positiv, weil so die Türkisch-Islamische Union DITIB als Verhinderer dieser Demo geoutet wurde?
In Erinnerung bleibt Kaddors Antwort auf die Frage, ob sich nicht mehr Muslime mit einer Teilnahme an der Veranstaltung vom Islamistischen Terror hätten „distanzieren“ können. „Sich von etwas distanzieren zu können setzt eine vorherige Nähe voraus“, sagte Kaddor. Nur, weil auf dem Papier der Glaube gleich sei, stehe man sich nicht nahe.
Es gehe vielmehr darum, „sich zu positionieren, und das heißt für mich eine klare Haltung einzunehmen. Es muss doch möglich sein, diese Menschen außerhalb unserer Community zu stellen, sie stärker zu ächten.“ Darum war es bei der Demonstration gegangen. Und ja, gestand Kaddor, es wäre schön gewesen, wenn mehr Menschen genau deswegen gekommen wären.
Der vermiedene Tiefpunkt des Abends
Für einen kurzen Moment stand zu befürchten, dass die Diskussion an einem frühen Punkt des Abends ins Absurde abgleiten würde. Es ging darum, ob Menschen ihr Verhalten durch den Terror ändern würden. Thomas Strobl stellte fest: „Wir lassen uns die Halbe und das Schweineschnitzel nicht verbieten.“ Kaddor ergänzte: „Islamisten würden mir auch meine gelatinefreien Haribos verbieten.“ Zum Glück blieb der Ausflug ins Kulinarische eine Randerscheinung.
Der Gast-Moment
Vielmehr ging es am Montagabend um die Frage, inwieweit die Angst in den Menschen ihr Verhalten bestimmt. Geht es zu weit, wenn eine Mutter ihr Kind nicht mehr mit der Schulklasse nach London fliegen lassen möchte? Die Berliner Journalistin Susanne Lenz berichtete im Einzelgespräch mit Plasberg, wie sie die Tage nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Berlin Breitscheidplatz erlebt habe.
Ihre Tochter hätte gemeint, man müsste nun erst recht auf die Weihnachtsmärkte gehen. Lenz bare habe diese Aussage „erschüttert“. Sie habe gespürt, dass Menschen inzwischen dazu aufgefordert würden, keine Angst mehr zu haben. Doch genau so habe sie sich gefühlt. Ihr Appell: Jeder hat das Recht, Angst zu haben. „Das Schrecklichste ist, dass man das Grundvertrauen verliert, dass nichts passieren wird.“
Moderatoren-Frage des Abends
Aber ist das wirklich so? Plasberg hatte mit Prof. Dietmar Heubrock einen Psychologen in der Runde, der in dieser Frage alleine schon einen Fehler sah. Denn die Psychologie-Forschung besagt, dass es bei den Menschen kein Grundvertrauen in die eigene Sicherheit gibt. „Die Zweifel sind immer als Teil des Gesamtgefühls da.“ Jeder Anschlag lasse diese Befürchtung lediglich wieder aufs Neue in den Vordergrund treten.
Darin stimmte der Journalist Georg Mascolo mit ein. Vor allem mit Blick auf die jüngste Serie von Anschlägen, die in kurzen Abständen kamen. „Die Terroristen versuchen das Gefühl der Sicherheit zu durchbrechen, indem sie die Frequenz der Anschläge erhöhen.“ Eine Systematik, die möglich ist, weil inzwischen die Kämpfer nicht mehr nach Syrien reisen, um dort für den IS zu kämpfen, sondern von der Terrorgruppe aktiv aufgefordert werden, im eigenen Land zu bleiben und dort zuzuschlagen. Wie in London, Manchester und Paris geschehen.
Mit dem Effekt, „dass die Mehrheitsgesellschaft und die muslimische Minderheit aufeinander gehetzt werden. Dass ein Brite zu den Mitteln des IS greift, um Muslime während des Ramadan anzugreifen“. Die eigentliche Gefahr also, resümierte Strobl auch mit Blick auf den jüngsten Anschlag in London, ist der Zirkel aus Gewalt und Gegengewalt. Doch diese Erkenntnis war weder neu noch originell und wird nichts am individuellen Gefühl der Sicherheit oder Angst ändern.
Was offen bleibt
Genauso wenig wie ein größeres Polizeiaufkommen, stärkere Straßensperren bei Großveranstaltungen oder freudige Gesänge der Menschen bei Rock am Ring, die statt in Panik mit einem Lied auf den Lippen die Veranstaltung verlassen hatten. „Es ist wie in einem dunklen Wald, den wir durchschreiten und das nicht leise machen, sondern singend“, befand Heubrock. „Die ganze Bandbreite der Gefühle ist vertreten. Von Angst bis Trotz. Und das ist das gute Recht eines jeden Menschen. So verschieden sind wir eben.“
Und während Susanne Lenz eben auf keinen Weihnachtsmarkt mehr ging im Dezember 2016, hat Julia Schmitz inzwischen wieder diverse Konzerte besucht. Sie überlebte den Anschlag im Bataclan in Paris und wusste, dass ihr Charakter sie schon bald wieder in andere Konzerthallen führen würde. So ist das eben mit der Angst und dem Mut: Bei jedem Menschen sind sie anders ausgeprägt.