Krieg gegen Hisbollah Ungewissheit und Furcht nach Israels Einmarsch im Libanon
Erste israelische Soldaten dringen im Kampf gegen die Hisbollah in den Libanon vor. Eine diplomatische Lösung rückt in die Ferne. Viele Fragen bleiben weiter ungeklärt.
Erstmals seit fast zwei Jahrzehnten sind israelische Bodentruppen wieder in den Libanon eingedrungen. Rund ein Jahr nach Beginn des Gaza-Kriegs verlagert sich damit der Schwerpunkt der Kämpfe in Richtung des nördlichen Nachbarlandes. Die Armee sprach von "begrenzten" Angriffen in Grenznähe auf Ziele der schiitischen Hisbollah. Als Reaktion feuerten die Islamisten mindestens drei Raketen auf die israelische Küstenmetropole Tel Aviv. Eine der Raketen schlug auf einer Schnellstraße ein.
Seit knapp einem Jahr tobt schon im Gazastreifen ein blutiger Konflikt, ausgelöst durch den Terrorüberfall der islamistischen Hamas auf Israel. Seitdem kommt es auch in der israelisch-libanesischen Grenzregion fast täglich zu gegenseitigem Beschuss. Die Hisbollah will nach eigener Darstellung mit den Angriffen die Hamas unterstützen. Israel will die Miliz nun so weit schwächen, dass sie ihren Beschuss einstellt und geflüchtete Israelis in ihre Wohngebiete im Norden zurückkehren können.
Im Süden des Libanon machte sich Panik breit, weil das israelische Militär erneut zu Evakuierungen aufrief: Bewohner von fast 30 Gemeinden wurden zur Flucht angehalten. Solche Evakuierungsaufrufe sind in der Regel ein Zeichen für bevorstehende Angriffe. Bewohner sollten sich nördlich des Alawi-Flusses in Sicherheit bringen, hieß es. Das Gebiet befindet sich etwa 60 Kilometer von der Grenze entfernt.
Im Libanon werden bis zu einer Million Binnenflüchtlinge durch die massiven Angriffe befürchtet, vor allem im Süden und Osten sowie im Raum Beirut. Seit Beginn der jüngsten israelischen Angriffswelle vor zwei Wochen sind laut UN mindestens 1000 Menschen umgekommen.
Der Krieg kommt in der Nacht
Die israelische Armee rückte nachts nach eigenen Angaben mit "begrenzten" Bodenangriffen gegen Ziele der Hisbollah vor. Luftwaffe und Artillerie unterstützten die Soldaten demnach. Israel will damit die Rückkehr von 60.000 Israelis in ihre Häuser ermöglichen, die seit Monaten von den Hisbollah-Raketenangriffe aus Gebieten entlang der nördlichen Grenze vertrieben wurden. Die Operation werde parallel zu den Kämpfen im Gazastreifen gegen die Hamas und in anderen Gebieten fortgesetzt, hieß es weiter.
Vor dem nächtlichen Einmarsch hatte sich die reguläre libanesische Armee bereits von Stützpunkten entlang der Demarkationslinie zurückgezogen. Die Streitkräfte verhalten sich im Konflikt zwischen der Hisbollah-Miliz und Israel bisher neutral.
Nach Aussagen der Hisbollah kam es nach dem Eindringen israelischer Soldaten bis nachmittags zunächst nicht zu Bodengefechten im Grenzgebiet. "Alle unsere Kämpfer sind bereit für eine echte Konfrontation", erklärte jedoch eine Sprecherin.
UN warnt vor humanitärer Katastrophe
Die UN-Beobachtermission im Libanon wurde nach eigenen Angaben von Israel über die Absicht eines "begrenzten Bodeneinsatzes im Libanon" in Kenntnis gesetzt. Jede Überschreitung in den Libanon sei ein Verstoß "gegen die Souveränität und territoriale Integrität des Libanons", kritisierte Unifil. "Wir fordern alle Akteure dringend auf, von solchen eskalierenden Schritten Abstand zu nehmen."
Das UN-Menschenrechtsbüro warnte vor einer humanitären Katastrophe. "Wir sind zutiefst besorgt über die sich ausweitenden Feindseligkeiten im Nahen Osten und deren Potenzial, die gesamte Region in eine humanitäre und menschenrechtliche Katastrophe zu stürzen", sagte Liz Throssell, Sprecherin des Büros in Genf. Die Gefahr, dass andere Länder in der Region in die militärische Auseinandersetzung gezogen werden, sei sehr real. Die Bodenoffensive dürfte das Leiden der Zivilbevölkerung weiter verschlimmern. Auch die Angriffe der Huthi auf Israel und die israelischen Gegenschläge seien "zutiefst beunruhigend".
Invasion weckt Erinnerungen an frühere Kriege
Die militärische Eskalation weckt Erinnerungen an den jüngsten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Jahr 2006. Seitdem ist jedoch vieles anders: Während die Hisbollah damals als dominierende militante Kraft im Libanon agierte, hat sich die geopolitische Lage in der Region verändert. Der syrische Bürgerkrieg, die wachsende Unterstützung des Iran und die zunehmende Militarisierung im Nahen Osten haben die Spannungen weiter angeheizt. Israel hat seither seine Geheimdienstinformationen über die Miliz erheblich ausgebaut, während die Hisbollah ihre Raketenarsenale weiter aufgerüstet hat.
Parallelen gibt es auch zum ersten Libanonkrieg im Jahr 1982, als Israel Kämpfer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) nördlich des Flusses Litani verdrängen wollte. Israel gab dem umstrittenen Militäreinsatz den blumigen Namen "Operation Frieden für Galiläa". Die Verluste auf der israelischen Seite bei den Kämpfen im Libanon waren groß. Nach Angaben des israelischen Außenministeriums wurden vom 5. Juni 1982 an binnen drei Jahren 1216 israelische Soldaten getötet. Auf der palästinensischen und libanesischen Seite kamen Historikern zufolge mindestens 14.000 Menschen ums Leben.
UN-Nothilfebüro ruft zu Spenden auf
Das UN-Nothilfebüro OCHA veröffentlichte einen Spendenaufruf im Umfang von 426 Millionen Dollar (383 Mio Euro). Das Geld werde dringend für die Versorgung der Vertriebenen und obdachlosen Zivilisten in dem Mittelmeerland benötigt. Mit dem Geld solle eine Million Menschen für drei Monate unterstützt werden. Seit Oktober 2023 seien schätzungsweise eine Million Menschen durch die Auseinandersetzungen vertrieben oder anderweitig in Mitleidenschaft gezogen worden, berichtete das UN-Büro.
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USA warnen Iran vor Vergeltungsangriff
Der Iran gilt als Schutzmacht der Hisbollah, die Schiitenmiliz zählt zu seinen wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten. In den vergangenen Jahrzehnten hatte Irans Staatsführung die Organisation politisch und militärisch mit aufgebaut. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin warnte Teheran nun vor Vergeltungsangriffen auf Israel. "Ich habe erneut auf die schwerwiegenden Konsequenzen für den Iran hingewiesen, falls dieser sich zu einem direkten militärischen Angriff auf Israel entschließen sollte", schrieb er nach einem Telefonat mit seinem israelischen Kollegen Joav Galan auf der Plattform X. Er habe deutlich gemacht, dass die Vereinigten Staaten das Recht Israels auf Selbstverteidigung unterstützen.
- Nachrichtenagentur dpa