Russische Invasion Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Die Ukraine gerät an der Front weiter unter Druck. Russlands Verteidigungsminister Schoigu konstatiert neue Eroberungen und sieht seine Truppen auf dem Weg zum Sieg. Die Entwicklungen im Überblick:
Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu hat von der Eroberung mehrerer Ortschaften im Osten der Ukraine gesprochen. "In der vergangenen Woche wurden die ukrainischen Streitkräfte aus den Ortschaften Pobjeda, Lastotschkyne und Sjewerne vertrieben", sagte er bei einer Sitzung des Ministeriums in Moskau. Die Geländegewinne der russischen Armee seit Jahresbeginn bezifferte er auf 327 Quadratkilometer. Das entspricht etwa der Fläche der Stadt Bremen. Die russischen Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Am Montag hatte die ukrainische Armee einen Rückzug auf neue Verteidigungspositionen westlich der von Russland eroberten Industriestadt Awdijiwka eingeräumt. Dem Sprecher der Gruppierung im Südosten, Dmytro Lychowij, zufolge soll die neue Linie entlang der Dörfer Berdytschi, Orliwka und Tonenke verlaufen.
Schoigu zeigte sich nach der Erstürmung von Awdijiwka siegesgewiss. Die russischen Truppen verbesserten ihre taktischen Positionen sowohl in dem Raum als auch im Norden der Ukraine nahe der Kreisstadt Kupjansk, sagte der 68-Jährige. Täglich verliere die Ukraine seit Jahresbeginn 800 Soldaten, behauptete er. Die ukrainischen Gesamtverluste seit Beginn des Kriegs beliefen sich auf 444.000 Soldaten, sagte er. Unabhängig lassen sich diese Aussagen allerdings nicht überprüfen. Zuletzt hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Zahl der eigenen Verluste mit 31.000 angegeben.
Tatsächlich ist das ukrainische Militär in den vergangenen Monaten unter Druck geraten. Während Russland seine Rüstungsproduktion hochgefahren hat, sind die westlichen Waffen- und Munitionslieferungen erlahmt. Die Ukraine kann wegen des anhaltenden Beschusses ihres gesamten Staatsgebiets nur schwer selbst eine großangelegte Rüstungsproduktion aufbauen. Russland hält einschließlich der bereits seit 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim derzeit rund ein Fünftel des ukrainischen Staatsgebiets besetzt.
Ukraine meldet neue russische Raketen- und Drohnenangriffe
Die Ukraine berichtet von neuen russischen Raketen- und Drohnenangriffen in der Nacht zum Dienstag. Von landesweit insgesamt sechs Raketen konnte nur ein Drittel abgefangen werden, wie die ukrainische Luftwaffe mitteilte. Von den 13 Drohnen hingegen habe man 11 abwehren können. Betroffen von den Angriffen waren demnach unter anderem die Regionen Charkiw, Sumy und Dnipropetrowsk. Aus Saporischschja und Poltawa wurden Explosionen gemeldet. Über mögliche Opfer ist bisher nichts bekannt.
Unterdessen berichten ukrainische Medien unter Berufung auf den bekannten Militär-Telegramkanal "DeepState" von der angeblichen Besetzung zweier weiterer Dörfer nahe Awdijiwka durch russische Truppen. Die Angaben können bisher nicht unabhängig geprüft werden. Die ukrainische Armee musste die völlig zerstörte Stadt Awdijiwka im östlichen Gebiet Donezk vor rund anderthalb Wochen nach schweren Kämpfen aufgeben. Danach waren auch die Rufe lauter geworden, die derzeit stockende westliche Militärhilfe für das von Russland angegriffene Land hochzufahren.
An den verschiedenen Frontabschnitten der Ukraine liefern sich russische Angreifer und ukrainische Verteidiger weiterhin erbitterte Gefechte. Im Verlauf des Montags seien 79 Kampfhandlungen registriert worden, teilte der Generalstab in Kiew in seinem Frontbericht am Montagabend mit. Die russischen Truppen seien zudem mit 58 Luftangriffen unterstützt worden.
Verständigung auf Militärhilfen
Bei einer Ukraine-Hilfskonferenz in Paris mit über 20 Staats- und Regierungschefs am Montag war nach Angaben von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Bildung einer Koalition beschlossen worden, die die Ukraine mit Raketen und Bomben mittlerer und längerer Reichweite für Schläge weit hinter die russischen Linien versorgen soll. Kurzfristig solle außerdem auch aus eigenen Beständen und aus Drittländern zusätzliche Munition für die Ukraine mobilisiert werden. Verständigt habe man sich unter anderem auch auf Initiativen zur Verteidigung von Ländern, die direkt von der russischen Offensive in der Ukraine bedroht sind, insbesondere Moldau. Zudem wolle man die Ukraine an ihrer Grenze zu Belarus mit nichtmilitärischen Kräften unterstützen, sagte Macron. Auch sei es um das Entschärfen von Minen gegangen.
Eine Lieferung französischer Mirage-Kampfjets sei aktuell nicht beschlossen worden. Geprüft werde aber weiterhin, welches französische Militärmaterial der Ukraine helfen könne, sagte Macron, der bis Mitte März selber in die Ukraine reisen will. Frankreich unterstütze zudem Überlegungen, mit gemeinsamen Schulden europäische Rüstungsausgaben angesichts des Ukraine-Kriegs zu finanzieren. Ähnlich wie in der Corona-Krise seien auch von Russlands Aggression sämtliche europäischen Länder betroffen, was den Sonderweg gemeinsamer Schulden rechtfertige.
Kontroverse um Entsendung von Bodentruppen
Macron hatte nach dem Treffen auch den Einsatz von Bodentruppen durch sein Land nicht mehr ausgeschlossen. Nichts sei ausgeschlossen, um einen russischen Sieg in der Ukraine zu verhindern, so der Präsident. Viele Menschen die heute "nie, nie", sagten, seien dieselben, die vor zwei Jahren sagten, "nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite". Heute drehe sich die Diskussion darum, bei der Lieferung von Panzern und Raketen schneller und stärker zu werden. "Also ist alles möglich, wenn es hilfreich ist, um unser Ziel zu erreichen", sagte Macron.
Der französische Präsident erntete damit allerdings heftigen Widerspruch, unter anderem in Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss eine Entsendung von Bodentruppen aus Nato-Staaten in den Ukraine-Krieg kategorisch aus. Politiker der meisten im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien äußerten sich ähnlich. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte: "Boots on the ground ist keine Option für die Bundesrepublik Deutschland." Die Äußerungen Macrons betrachte er als "Denkanstoß, dem offenbar niemand gefolgt ist", so der Minister.
Auch die Regierungschefs von Polen und Tschechien äußerten sich skeptisch zu Macrons Gedankenspielen. Polen plane nicht die Entsendung eigener Einheiten, sagte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nach einem Treffen mit seinem tschechischen Kollegen Petr Fiala in Prag. Ähnlich ist die Reaktion auch in Großbritannien. "Abgesehen von der geringen Anzahl an Mitarbeitern, die wir im Land zur Unterstützung der Streitkräfte der Ukraine haben, haben wir keine Pläne für einen großangelegten Einsatz", sagte ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dem Sender Sky News zufolge.
Selenskyj zu Gesprächen in Saudi-Arabien
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist zu Gesprächen in Saudi-Arabien eingetroffen. Geplant sei unter anderem ein Treffen mit Kronprinz Mohammed bin Salman, teilte Selenskyj am Dienstag in sozialen Netzwerken mit. Hauptthema sei der von Selenskyj initiierte Friedensplan für sein Land. Zudem werde die Rückkehr ukrainischer Kriegsgefangener aus russischer Gefangenschaft unter Vermittlung Riads diskutiert. Daneben gehe es um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Wiederaufbau in der Ukraine.
- Nachrichtenagentur dpa