Dutzende Panzer rücken vor Schwerste Kämpfe seit Beginn der Bodenoffensive
Israels Armee intensiviert ihre Angriffe im Süden Gazas. Für die palästinensische Zivilbevölkerung wird die Lage immer unerträglicher. Ein Überblick.
Die israelische Armee hat ihre Militäroffensive auf den Süden des Gazastreifens ausgeweitet. Einem Medienbericht zufolge hat sie nun Ziele im Raum Chan Junis unter Beschuss genommen. Kritik daran kommt von mehreren Hilfsorganisationen. Unterdessen gibt es neue Informationen über den Verbleib der von der Terrororganisation Hamas gefangen gehaltenen israelischen Geiseln.
t-online gibt einen Überblick über die aktuelle Lage im Nahostkrieg.
Israel verübt intensive Angriffe im Süden des Gazastreifens
Die israelischen Streitkräfte sind in die schwersten Kämpfe seit Beginn ihrer Invasion im Gazastreifen verwickelt. "Es ist der intensivste Tag seit Beginn der Bodenoffensive", sagt der Kommandeur des Südkommandos der israelischen Streitkräfte, General Jaron Finkelman.
In der größten Stadt des südlichen Teils des abgeriegelten Küstengebiets sollen die israelischen Streitkräfte intensive Angriffe verübt haben. Das berichtet die "Times of Israel" unter Berufung auf palästinensische Berichte. Demnach seien zuvor Dutzende israelische Panzer in den Süden des Gazastreifens vorgestoßen und nahe Chan Junis gesichtet worden. Augenzeugen hätten auch gepanzerte Mannschaftstransporter und Planierraupen gesehen, heißt es weiter. Unterdessen gab es an der Grenze zum Gazastreifen auf israelischer Seite erneut Raketenalarm, heißt es von der israelischen Armee.
Israels Truppen bekämpfen die Terrororganisation Hamas zwar nun auch verstärkt im Süden des Küstengebiets, doch ist der seit Wochen andauernde Einsatz gegen die Hamas im Norden noch nicht beendet. "Wir haben sie im Norden noch nicht vollständig militärisch besiegt, aber wir haben gute Fortschritte gemacht", sagte ein Armeesprecher am Vortag.
Hilfsorganisationen kritisieren Vorgehen Israels
Unterdessen wächst vonseiten internationaler Hilfsorganisationen die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee, nachdem diese ihre Militäroffensive in Gaza ausgeweitet hat. Sie sprechen angesichts des Leids der Zivilbevölkerung im Süden des Küstengebiets von "Horror" und einem "unerträglichem Leid". Kein Mensch fühle sich sicher, wenn alle zehn Minuten Bomben fallen würden, sagte der Sprecher des UN-Kinderhilfswerks Unicef, James Elder, dem britischen Sender BBC.
"Die Zahl der getöteten Zivilisten nimmt rapide zu", schrieb auch der Generalkommissar des Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, in einer Mitteilung. Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Ältere, Kranke und Menschen mit Behinderungen, seien die Hauptleidtragenden des Krieges. Mit der Wiederaufnahme der Militäroperation und ihrer Ausweitung im Süden "wiederholen sich die Schrecken der vergangenen Wochen", beklagte Lazzarini.
Das Bombardement der israelischen Streitkräfte dauere an, nachdem ein weiterer Evakuierungsbefehl zur Verlegung von Menschen aus der Stadt Chan Junis nach Rafah erlassen worden sei. "Dieser Befehl löste Panik, Angst und Unruhe aus", hieß es. Mindestens 60.000 weitere Menschen seien gezwungen worden, in bereits überfüllte UNRWA-Unterkünfte umzuziehen, weitere würden um Schutz bitten, schrieb Lazzarini weiter. Viele der Menschen seien bereits mehrmals vor dem Krieg in andere Teilen des abgeriegelten Gebiets geflohen.
Das 1949 gegründete UNRWA stellt unter anderem im Gazastreifen und im Westjordanland öffentliche Dienstleistungen wie Schulen, medizinische Grundversorgung und humanitäre Hilfe zur Verfügung. Immer wieder wird der Organisation jedoch eine ideologische Nähe zur Hamas vorgeworfen. Eine Untersuchung zeigte etwa, dass in Schulbüchern an UNRWA-Schulen Israel das Existenzrecht abgesprochen wurde. Lehrkräfte der Schulen waren in den sozialen Netzwerken zudem mit antisemitischen Postings aufgefallen. Das Simon Wiesenthal Center wählte das UNRWA daraufhin im Jahr 2018 auf Platz 5 der Top Ten des globalen Antisemitismus.
Doch auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen übt Kritik: Zwei Krankenhäuser im Süden des Gazastreifens könnten den Zustrom von Patienten kaum mehr bewältigen, heißt es von der Organisation am Dienstag. Vor allem das Al-Aksa-Krankenhaus sowie das Nasser-Krankenhaus seien betroffen. Israel wirft der Hamas vor, Angriffe aus Wohngebieten und Krankenhäusern heraus zu verüben und Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Armeesprecher dementiert Totalausfall des Netzes in Gaza
Ein israelischer Armeesprecher dementierte unterdessen einen erneuten Totalausfall der Telekommunikationsdienste in Gaza. Er selbst habe Live-Übertragungen palästinensischer Propaganda-Leute auf TikTok gesehen, sagte Armeesprecher Jonathan Conricus dem US-Fernsehsender CNN. Die Netzwerke seien vielleicht nicht perfekt, aber einen vom palästinensischen Unternehmen Paltel zuvor gemeldeten Blackout in Gaza gebe es nicht, sagte der Armeesprecher. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben derzeit nicht.
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Die israelische Armee hat eine Evakuierungskarte aktiviert, die den Gazastreifen in Hunderte kleine Zonen unterteilt, um die Zivilisten über Kampfzonen zu informieren. Kritiker beklagen jedoch, dass die Menschen vielfach weder Strom noch Internet hätten, um sich die Karte anzusehen. Viele wüssten auch nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten. Im Süden Gazas drängen sich Hunderttausende Palästinenser, die auf Israels Anweisung aus dem Norden des Gebiets dorthin geflohen waren. Mehr Informationen zu der Evakuierungskarte finden Sie hier.
Israel hat offenbar nachrichtendienstliche Informationen zu Geiseln
Conricus sagte unterdessen, Israel habe nachrichtendienstliche Hinweise darüber, wo die noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln befinden könnten. Nähere Angaben könne er allerdings nicht machen. Israel geht davon aus, dass noch 137 Geiseln festgehalten werden.
Unter ihnen sind laut dem israelischen Verteidigungsminister Joav Galant 15 Frauen und zwei Kinder. Bei der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober wurden über 240 Menschen in den Gazastreifen verschleppt. Vergangene Woche wurden während einer Feuerpause 105 Geiseln im Austausch gegen 240 palästinensische Gefängnisinsassen freigelassen.
Die Hamas will nach eigenen Angaben Verhandlungen über die Freilassung weiterer Geiseln erst nach einem Ende des Kriegs fortsetzen. Israel möchte alle Geiseln zurückholen, sagte Armeesprecher Conricus in der Nacht zu Dienstag. Falls dies nicht durch Verhandlungen möglich sei, werde man andere Mittel anwenden.
Israel könnte Hamas-Tunnel fluten
Zudem soll Israel einem Medienbericht zufolge ein System aus großen Pumpen zusammengebaut haben, mit denen sie das ausgedehnte Tunnelnetz der Hamas unter dem Gazastreifen mit Meerwasser fluten könnten. Wie das "Wall Street Journal" unter Berufung auf US-Beamte berichtete, sei nicht bekannt, ob Israels Regierung diese Taktik anwenden will. Israel habe weder eine endgültige Entscheidung dazu getroffen, noch einen solchen Plan ausgeschlossen, hieß es.
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Mit einer solchen Taktik wäre Israel in der Lage, die Tunnel zu zerstören und die Terroristen aus ihrem unterirdischen Versteck zu vertreiben. Andererseits würde dies die Wasserversorgung des Gazastreifens bedrohen, hieß es. Israels Armee hat nach eigenen Angaben seit Beginn des Kriegs mehr als 800 Tunnelschächte gefunden. Rund 500 davon seien bereits zerstört worden, hieß es am Sonntag. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Unter dem Gazastreifen gibt es ein ganzes Netz an Tunneln, die Dutzende von Kilometer lang sein sollen. Um nicht von israelischen Bomben getroffen zu werden, reichen manche der Tunnel Dutzende Meter unter die Erde. Zudem befinden sich dort nach Angaben von Militärexperten auch Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsräumen, Vorratskammern und Abschussrampen für Raketen der Terroristen. Hier sehen Sie ein Video, das einen solchen Tunnel zeigen soll.
Israel greift Stellungen der Hisbollah im Libanon an
Neben den Kämpfen in Gaza griff das israelische Militär als Reaktion auf Beschuss aus dem Libanon Stellungen der dortigen Terrororganisation Hisbollah an. Wie die israelische Armee mitteilte, hätten Kampfflugzeuge kurz zuvor Raketenstellungen der vom Iran unterstützten Hisbollah getroffen.
Auch "Terrorinfrastruktur und ein Militärgelände" seien unter Feuer genommen worden. Man habe auf Beschüsse aus dem Libanon auf Ziele in Israel vom Vortag reagiert. Seit Beginn des Gaza-Krieges kommt es immer wieder zu Konfrontationen zwischen Israels Armee und militanten Gruppierungen wie der Hisbollah in der Grenzregion zum Libanon. Auf beiden Seiten gab es schon Tote.
- Nachrichtenagentur dpa