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Taliban-Einnahme von Kabul: Was vom Ortskräfte-Versprechen bleibt


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Ortskräfte in Afghanistan
"Die deutsche Regierung soll mir helfen"


15.08.2023Lesedauer: 4 Min.
Eine Maschine der Bundeswehr mit Evakuierten aus Kabul: Das Auswärtige Amt verteidigt die Evakuierung der deutschen Botschaft.Vergrößern des Bildes
Eine Maschine der Bundeswehr mit Evakuierten aus Kabul: Insgesamt sind seit der Machtübernahme der Taliban mehr als 4.000 Ortskräfte nach Deutschland eingereist, hinzu kommen Familienangehörige und weitere gefährdete Afghanen. (Quelle: Handout/Bundeswehr/getty-images-bilder)
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Vor zwei Jahren erlangten die Taliban die Kontrolle über Afghanistan zurück. Damals waren die Versprechen an die afghanischen Ortskräfte groß – zu groß?

Zwei Jahre ist es nun her, dass die radikalislamischen Taliban über Nacht Kabul übernahmen. Dass Tausende zum Flughafen stürmten, versuchten, in Flugzeuge Richtung Westen zu gelangen. In ihrer Verzweiflung hängten sich Menschen an losfliegende Maschinen, stürzten in den Tod. Die Bilder gingen um die Welt. Es war eine brutale Niederlage des Westens nach einem zwei Jahrzehnte währenden Einsatz: Nicht einmal einen Monat nach Abzug der Nato-Truppen übernahmen die Taliban die Macht.

Dementsprechend groß war das Entsetzen – und in der Folge die Versprechen, die den Afghanen und Afghaninnen gemacht wurden, die vor Ort mit den westlichen Kräften kooperiert hatten. Der damalige deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) versprach: "Unsere Arbeit geht so lange weiter, bis alle in Sicherheit sind, für die wir in Afghanistan Verantwortung tragen."

Und als Annalena Baerbock (Grüne) Ende 2021 die Nachfolge antrat, betonte auch sie: "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, alle in Sicherheit zu bringen." Im Wahlkampf sprach sie von mehr als 50.000 Menschen, die aus Afghanistan evakuiert werden müssten.

20 Monate bis zur Antwort

"Alle" – das nahmen viele Afghanen, die für deutsche Stellen gearbeitet haben, beim Wort. So auch Abdul Waziri, der zwischen 2019 und 2020 für die Deutsche Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit, kurz GIZ, tätig war. Er schickte direkt nach der Eroberung Kabuls seine Verträge an die entsprechenden Stellen, flehte in zahlreichen Mails um Hilfe. t-online berichtete im vergangenen Jahr über seinen Fall. Die Antwort kam am 26. April 2023. 20 Monate später.

"Vielen Dank, dass Sie sich an die GIZ gewendet haben", heißt es in der Mail, die t-online vorliegt. Der Antrag sei an das Bundesentwicklungsministerium weitergeleitet und dort eingehend geprüft worden. Wichtig dabei sei die Frage, ob für den Antragsteller, in diesem Fall Waziri, durch seine Tätigkeit ein "individuelles Risiko zu erwarten ist, das über das allgemeine Risiko in Afghanistan hinausgeht". Das sei nicht der Fall. "Wir bedauern daher, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr OKV-Antrag endgültig abgelehnt worden ist." Das Kürzel OKV steht für Ortskräfteverfahren.

"Ich will nicht verschwinden"

Was genau bedeutet das, individuelles Risiko? Welche Faktoren spielen da herein? Auf Nachfrage antwortet das Innenministerium nur pauschal: "Wesentliches Kriterium ist, ob eine individuelle Gefährdung aufgrund der Tätigkeit als Ortskraft vorliegt. Es handelt sich hierbei um einen Aspekt, der insbesondere über die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan hinausgeht."

Fragt man Waziri, sieht er sehr wohl eine Gefährdung für sich als ehemalige Ortskraft. Er hält sich bedeckt, lebt in ständiger Angst, jemand könnte herausfinden, wer er ist und für wen er gearbeitet hat. Erst am Montag sei an einem Checkpoint sein Name aufgenommen worden. Seitdem ist seine Angst weiter gestiegen. "Ich will nicht verschwinden."

Denn was passiere dann mit seinen Töchtern? "Ihre Zukunft ist sehr wichtig", sagt er. Aber: "Niemand übernimmt Verantwortung." Dabei habe er Deutschland mit seiner Tätigkeit geholfen, er arbeitete nicht nur für die GIZ, sondern auch für die afghanische Gewerkschaft NUAWE, die von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung und der Gewerkschaft IG Metall unterstützt und aufgebaut wurde. Außerdem setzte er sich für die Gleichberechtigung von Frauen ein.

Individuelle Gefährdung nur schwer nachzuweisen

In Deutschland hat sich die Gefährdungseinschätzung der ehemaligen Ortskräfte mittlerweile jedoch geändert. Von "alle in Sicherheit bringen" spricht in der Regierung niemand mehr. Stattdessen wird der Faktor der "individuellen Gefährdung" betont. Die frühere Leiterin des Afghanistan-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, Ellinor Zeino, erklärt das so: Zu Beginn sei man noch davon ausgegangen, dass die Taliban einen großen Rachefeldzug gegen alle starten würden, die für die westlichen Kräfte gearbeitet haben. Es habe sich aber gezeigt, dass das nur einen Teil betreffe und die Gefährdung in den unterschiedlichen Regionen unterschiedlich hoch sei.

Diese individuelle Gefährdung nachzuweisen, ist allerdings schwierig, wie Recherchen von NDR, WDR, "Süddeutscher Zeitung" und Lighthouse im Juli zeigten. Die Medien bekamen Einblick in vertrauliche Dokumente der Regierung sowie der GIZ und fanden heraus, dass selbst Menschen, die die GIZ als gefährdet einstufte, Ablehnungsbescheide erhalten hatten. Zudem soll es Fälle gegeben haben, in denen Menschen abgelehnt wurden, die auch aus anderen Gründen als nur der Zusammenarbeit mit Deutschland gefährdet waren.

Ein anonymer Regierungsmitarbeiter sagte den Medien: "Wenn eine Person auch aus anderen Gründen in Afghanistan gefährdet ist, bedeutet dies im Ortskräfteverfahren häufig eine Absage, da sich in diesem Verfahren die Gefährdung direkt aus der Tätigkeit ableiten muss, da sonst kein direkter Zurechnungszusammenhang besteht." Das Innenministerium wies das damals zurück.

Rund 4.100 Ortskräfte eingereist

Insgesamt, so teilt das Innenministerium nun t-online mit, sind seit Mai 2021 mehr als 30.300 Menschen aus Afghanistan über die Verfahren nach Deutschland eingereist. Darunter sind 4.100 Ortskräfte, gemeinsam mit ihren Familienangehörigen machen sie 19.300 Personen aus. Hinzu kommen weitere gefährdete Afghanen und Afghaninnen. Damit habe Deutschland im EU-Vergleich "die mit Abstand höchste Zahl an Einreisen gefährdeter afghanischer Staatsangehöriger ermöglicht", sagte ein Sprecher t-online. Eine Statistik über die Ablehnungsbescheide gebe es nicht.

Zu dieser ungezählten Masse zählt auch Waziri. Für ihn hört der Schwebezustand mit der Ablehnung nicht auf. Er hofft weiterhin, dass es noch irgendwie klappen könnte, er noch irgendwie nach Deutschland kommen könnte. Und so schreibt er weiter E-Mails an die GIZ. Zu t-online sagt er: "Gestern habe ich der deutschen Regierung geholfen. Jetzt soll die deutsche Regierung mir helfen."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Abdul Waziri über Whatsapp
  • Anfragen an das BMI
  • tagesschau.de: Bundesregierung weist gefährdete Ortskräfte ab
  • Eigene Recherche
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