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Hybride Kriegsführung: Wie Russland in Europa ganze Staaten kapern will


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Hybride Bedrohungen
Wie Russland in Europa ganze Staaten kapern will

MeinungEin Gastbeitrag von Katja Christina Plate und Brigitta Triebel, Konrad-Adenauer-Stiftung

Aktualisiert am 01.06.2023Lesedauer: 5 Min.
imago images 0257248787Vergrößern des Bildes
Protest gegen die Regierung in Moldau: Russland hat in dem Land in den vergangenen Jahren viele Verbindlichkeiten aufgebaut. (Quelle: IMAGO/Rodion Proca)

Russland führt seinen Krieg nicht nur mit Soldaten – sondern auch geheimer, weniger offensichtlich. Und Europa bietet eine breite Angriffsfläche.

Hybride Bedrohungen aus Russland richten sich gegenwärtig in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Umfang gegen viele Staaten in Europa. Katja Christina Plate, Leiterin des Auslandsbüros Rumänien der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und Dr. Brigitta Triebel, Leiterin des Auslandsbüros Republik Moldau der Konrad-Adenauer-Stiftung, erklären, warum wir auch in Deutschland aufmerksam sein sollten.

Die KAS ist eine der CDU ideell nahestehende Denkfabrik, die sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.

"Hybride Bedrohungen": Dieser Begriff kommt sperrig daher. Gemeint ist, dass politische, militärische, wirtschaftliche, informationstechnologische und propagandistische Taktiken eingesetzt werden, um einen Gegner zu schwächen. Werden diese Elemente genutzt, um gezielt den Zustand von Krieg und Frieden zu verwischen, spricht man von hybrider Kriegsführung.

Russland nutzt seit Jahren diese Taktiken, um seine Ziele gegenüber europäischen Ländern und der Europäischen Union durchzusetzen. Gegen die Ukraine führt Russland mindestens seit 2014 einen hybriden Krieg.

Kreativ und koordiniert

Das Besondere an der hybriden Kriegsführung ist die Verschleierungstaktik. Die Angreifer operieren entweder anonym oder bestreiten Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten. Sie gehen dabei äußerst kreativ und koordiniert vor, ohne die Schwelle zu einem offiziellen Krieg zu überschreiten. Eine breitere Öffentlichkeit wurde 2014 auf das Phänomen und den Begriff der hybriden Kriegsführung aufmerksam, als Wladimir Putin zu Beginn der russischen Invasion auf der Krim und später auch in der Ostukraine russische Truppen ohne Hoheitszeichen im Nachbarland Ukraine einsetzte.

Dies ist selbstverständlich völkerrechtlich verboten. Auch die Ausgabe von Pässen an die Bevölkerung auf dem Territorium eines anderen Landes, wie von Russland auf der Krim, in der Ostukraine und seit 2008 auch in Georgien praktiziert, zählt quasi zum Standardinstrumentarium der russischen hybriden Kriegsführung.

(Quelle: Kathrin Weident)

Zur Person

Katja Christina Plate leitet seit 2022 das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bukarest, Rumänien. Bis 2023 war sie zudem für das Länderbüro der Republik Moldau zuständig.

Russlands Vorgehen zeigt sich derzeit in Moldau

Hybride Bedrohungen Russlands gegen seine Nachbarländer zielten und zielen oft zunächst darauf ab, politische Entscheidungsprozesse zu manipulieren oder zu beeinflussen, sei es durch Lobbying, Einflussnahme auf politische Akteure und die Unterstützung extremistischer oder krimineller Gruppen.

Ein solches Vorgehen ist gegenwärtig in der Republik Moldau zu beobachten. Hier nutzte die prorussisch orientierte Oppositionspartei um den Oligarchen Ilan Şor die Energie- und Wirtschaftskrise, herbeigeführt durch die russische Energieblockade, und organisierte beziehungsweise finanzierte mit Hilfe aus Moskau Proteste gegen die Regierung mit teilweise bis zu 6.500 Teilnehmern in Chişinău. Es ist davon auszugehen, dass Russland darüber hinaus weitere Parteien und Einzelpersonen in der Republik Moldau finanziert und für die eigenen Zwecke nutzt.

Dieses Vorgehen zielt darauf, dass auch bei freien Wahlen genehme Kandidaten politische Führungsämter erreichen werden und so der außen- und innenpolitische Kurs Moldaus wieder von Moskau beeinflusst werden kann. Wie weitreichend die hybride Kriegsführung Russlands in Moldau ist, machte Staatspräsidentin Maia Sandu erstmalig Mitte Februar 2023 öffentlich. Sie sprach von russischen Plänen eines gewaltvoll herbeigeführten Machtwechsels.

Auch Rumänien ist ein besorgniserregender Fall

Eine besonders große Rolle im Instrumentenkasten der hybriden Bedrohungen nimmt der gezielte Einsatz von Fehlinformationen und das Manipulieren sozialer Medien ein. Oft geht es dabei darum, die öffentliche Meinung zu beeinflussen oder Spannungen in der Gesellschaft zu schüren. Verschwörungstheorien jenseits jeder sachlichen Grundlage oder wissenschaftlicher Fakten werden über soziale Medien so massiv verbreitet, dass sich Öffentlichkeit, Medien, Politik und Institutionen damit in einem Ausmaß beschäftigen müssen, das die Handlungsfähigkeit in anderen Reformfeldern beeinträchtigt oder sogar zum Erliegen bringt.

Insbesondere Rumänien erwies sich in der Europäischen Union als besorgniserregend empfänglich für gesundheitsbezogene Desinformation. Es ist das einzige europäische Land, in dem eine Mehrheit der faktisch falschen Aussage zustimmt, dass eine Covid-19 Impfung das Risiko erhöhe, vorzeitig zu sterben.

Moskau steckt sicher nicht hinter allen Verschwörungstheorien, die in den sozialen Medien aufgeblasen und verbreitet werden. Allerdings lassen sich russische Finanzströme und persönliche Verbindungen zu den europäischen rechtsextremen Parteien nachweisen, die immer wieder gezielt Verschwörungstheorien in den politischen Raum tragen. Im Falle Rumäniens ist hier die rechtsextreme Partei AUR zu nennen, die insbesondere die gesundheitsbezogenen Desinformationen rund um die Covid-19-Pandemie aufgriff und verbreitete.

(Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung)

Zur Person

Brigitta Triebel leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chișinău (Republik Moldau). Zuvor war die promovierte Osteuropahistorikerin und Politikwissenschaftlerin für die Stiftung in der Ukraine tätig.

Falschmeldungen über geheime US-Militärbasis

Hybride Bedrohungen können auch darauf abzielen, direkt die Verteidigungsfähigkeiten eines Landes zu untergraben. In der Regel werden hierzu Desinformationen verbreitet, um das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Streitkräfte zu schwächen oder die öffentliche Unterstützung für militärische Maßnahmen zu verringern. Das rumänische Verteidigungsministerium betreibt die Webseite "inforadar.mapn.ro", um aktuell über verteidigungsrelevante Desinformation aufzuklären.

Die am häufigsten eingesetzten Desinformations-Narrative sind beispielsweise, dass die rumänische Armee heimlich Reservisten mobilisiere; dass 2019 ein Vertrag unterzeichnet worden sei, der Rumänien in den Krieg gegen Russland hineinziehe; dass die USA im Naturschutzgebiet Donaudelta eine geheime Militärbasis bauen würden; und natürlich, dass bereits rumänische Soldaten in der Ukraine im Kampfeinsatz seien. Alles falsch. Das rumänische Verteidigungsministerium setzt auf Transparenz, Fakten und detaillierte Aufklärung, um gegen diese Desinformation vorzugehen.

Erpressung mit Gas

Auch die starke Abhängigkeit von ausländischen Energiequellen kann Teil eines hybriden Bedrohungsszenarios sein. Dabei werden die Verflechtungen im Energiesektor genutzt, um politischen Druck aufzubauen oder wirtschaftlich zu erpressen. Ein Beispiel: Über Jahre hatte Moskau mittels Gaslieferungen an das Kraftwerk in der eigentlich von der Republik Moldau abtrünnigen Region Transnistrien und dem Weiter- bzw. Rückverkauf des damit erzeugten Stroms an Chişinău ein kaum durchschaubares Netz an Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten gesponnen.

Nachdem im Sommer 2021 in der Republik Moldau die proeuropäischen Reformkräfte unter der Präsidentin Maia Sandu an die Macht gekommen waren, erschien es Moskau als politisch opportun, diese Abhängigkeiten zu nutzen und die neue Regierung durch sprunghaft steigende Strompreise direkt in eine erste Regierungskrise zu stürzen. Die prorussischen Kräfte in Chişinău, unterstützt durch gezielte Desinformationskampagnen, machten die Reformkräfte für die immens steigenden Strompreise verantwortlich und schlugen daraus selbst politisches Kapital.

Zum Zeitpunkt der russischen Invasion Ende Februar 2022 war die Republik Moldau fast vollständig von Gas aus Russland abhängig und erlebte eine deutliche Reduzierung der Lieferungen. Nur mit massiver Unterstützung der Europäischen Union und vor allem auch des Nachbarlandes Rumänien gelang es dem kleinen Land im letzten Jahr, sich aus der russischen Energiefalle zu befreien. Auch für Deutschland war es finanziell teuer und politisch aufreibend, sich aus der Energieabhängigkeit im Gassektor von Russland zu befreien.

Europa bietet eine breite Angriffsfläche

Hybride Bedrohung bedeutet zudem den Einsatz von Malware, Hacking, Phishing und anderen Methoden zur Sabotage von Regierungsnetzwerken, Unternehmen oder Infrastruktureinrichtungen. Auch der Diebstahl von geistigem Eigentum, Know-how und Geschäftsgeheimnissen durch staatlich unterstützte oder gelenkte Akteure kann je nach Akteur und Intention in dieses Feld fallen.

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Es wird deutlich: Das Ziel hybrider Angriffe ist nicht immer nur das Annektieren von Territorien anderer Länder. Diese Form der Kriegsführung zielt häufig darauf, Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung im Sinne des Angreifers zu beeinflussen. Die offenen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaften Europas bieten viele Angriffsflächen und sind somit leicht verwundbar.

Hinzu kommt, dass sich hybride Kriegsführung im Laufe der Zeit weiterentwickeln und verändern wird. Und: Nicht nur Russland bedient sich dieser Instrumente. Es ist daher sehr wichtig, dass sich Regierungen, Behörden und Organisationen kontinuierlich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen und geeignete Maßnahmen ergreifen, um ihr Land vor solchen Bedrohungen zu schützen.

Das gilt nicht nur für die Ukraine und für die Republik Moldau, sondern genauso für Rumänien, Deutschland und alle europäischen Länder.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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