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Ukraine | Balaklija: "Wir stehen vor Hunderten, wenn nicht Tausenden Butschas"


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Befreite Gebiete in der Ukraine
"Stehen vor Hunderten, wenn nicht Tausenden Butschas"


Aktualisiert am 14.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Aufregung nach Befreiungsschlag: Ukrainer schildern traumatische Erlebnisse durch russische Besetzung. (Quelle: t-online)
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Den ukrainischen Soldaten folgen die Ermittler der Staatsanwaltschaft. Das Ausmaß der russischen Verbrechen ist noch nicht absehbar.

Trauer und Entsetzen mischen sich in die Euphorie über die gelungene Gegenoffensive der ukrainischen Armee in der Region Charkiw. Mehr als 300 Ortschaften und mindestens 150.000 Menschen haben Kiews Truppen in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben von der russischen Besatzung befreit. Jetzt dringen die ersten Berichte von Ermittlern und Überlebenden nach außen – und lassen Schlimmes erahnen.

So berichtet der Polizeichef der Region Charkiw von einem Folterverlies, das die Russen im Keller der Polizeistation von Balaklija errichtet hatten. Die Stadt mit zuvor etwa 30.000 Einwohnern war am 3. März an die Russen gefallen, seit einer Woche weht wieder die ukrainische Fahne über dem Rathaus der Kreisstadt. In den sechs Monaten der Besatzung seien mindestens 40 Personen in dem Verlies eingesperrt worden, heißt es von der örtlichen Polizei auf Facebook. Laut Zeugen hätten die Gefangenen nur Haferbrei zu essen bekommen und seien mit Elektroschocks und Schlägen gefoltert worden.

Folter in Polizeistation von Balaklija

Ein Mann sei 46 Tage lang in dem Kellerloch festgehalten worden, weil er ein Foto von seinem Bruder in einer ukrainischen Armeeuniform bei sich gehabt habe. Die russischen Soldaten hätten es auf Personen abgesehen, die der ukrainischen Armee halfen, hätten aber auch Menschen ohne erkennbaren Grund von der Straße weg verschleppt. Dem Polizeichef lägen auch Berichte über ermordete Einwohner vor, denen jetzt nachgegangen werde, heißt es von der Polizei.

Der ukrainische Regierungsberater Anton Geraschchenko teilte auf Twitter Handyaufnahmen aus Balaklija, die die Folterkammer zeigen.

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In einem Verhörzimmer seien Gefangene mit Scheinhinrichtungen gequält worden, berichtet Geraschchenko und zeigt Einschusslöcher in einer Wand. An der Wand gegenüber sind russische Propagandaplakate zu sehen, auf denen Ukrainer offenbar als Nazis dargestellt werden. In dem Video kommt auch Artem zu Wort, der Mann, der 46 Tage in dem Verlies festgehalten worden sein soll. Auch er berichtet von Folter mit Elektroschocks und von den Schreien anderer Gefolterter. Die russischen Soldaten hätten in einem Zimmer gleich nebenan gehaust.

Abziehende Russen töten zwei Männer

In Balaklija ging das Töten offenbar bis kurz vor Ankunft der ukrainischen Truppen weiter. So berichtet eine Anwohnerin vom Tod ihres Sohnes Petro und dessen Freund Roman. Die beiden seien am 6. September mit dem Auto losgefahren und wollten eigentlich am Abend zurück sein. Doch die abziehenden Russen hätten auf das Auto der beiden geschossen. Am nächsten Morgen habe sie die Leichen entdeckt, berichtet Petros Mutter in diesem Video, das ebenfalls Anton Geraschchenko auf Twitter teilte:

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Berichte über erschossene Zivilisten kommen auch aus Dörfern, die die Ukrainer vor Balaklija erreicht hatten. So berichtet die Staatsanwaltschaft Charkiw von sechs getöteten Zivilisten, die bislang in den Ortschaften Hrakove und Salisnytschne entdeckt worden seien. Die Menschen seien von russischen Soldaten getötet und von Anwohnern begraben worden, schrieb die Behörde auf Telegram. Die Leichen hätten Spuren von Folter aufgewiesen. Jetzt sollen 23 mobile Ermittlungsteams die Verbrechen in der Region untersuchen. ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf teilte auf Twitter dieses Video aus Hrakove:

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"Die Befreiung deckt viele Verbrechen auf"

"Städte wie Balaklija und Isjum stehen heute auf einer Stufe mit Butscha, Borodjanka und Irpin. Jene Städte, in denen bereits zahlreiche Kriegsverbrechen von uns untersucht werden", schrieb die Staatsanwaltschaft Charkiw auf Telegram. "Jetzt, wo das ukrainische Militär seit Anfang September 6.000 Quadratkilometer ukrainisches Land im Osten und Süden befreit hat, bietet sich uns inmitten der Freude über diese Tatsache ein erschreckendes Bild dessen, was die Besatzer insbesondere in der Region Charkiw getan haben."

Ortsnamen wie Butscha, Borodjanka und Irpin stehen für das Grauen der russischen Besatzung im Norden der Ukraine. Nach dem Rückzug der russischen Truppen Anfang April fanden Ermittler in den Regionen Kiew und Tschernihiw die Leichen von mindestens 2.289 Zivilisten. Die meisten der Opfer wurden erschossen, viele wiesen Folterspuren auf und waren mit gefesselten Händen verscharrt worden. Insgesamt ermittelt die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft bislang in 33.135 Fällen wegen Kriegsverbrechen gegen Angehörige der russischen Armee.

"Die Befreiung deckt viele Verbrechen auf", schrieb die ukrainische Parlamentarierin Lesia Vasylenko auf Twitter zu den jüngsten Erkenntnissen aus der Region Charkiw. "Erschossene und gefolterte Zivilisten, geplünderte Häuser, Teenager, die Angst haben, den Keller zu verlassen. Es ist, als stünden wir vor Hunderten, wenn nicht vor Tausenden Butschas. Aber es wird Prozesse, Wiedergutmachung und Gerechtigkeit geben."

Verwendete Quellen
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