Gas- und Atomenergie Kritik an EU-Entscheidung – Grünen-Minister werden deutlich
Das EU-Urteil zur Taxonomie sorgt für viel Kritik: Politiker und Verbände sprechen von "Greenwashing" und "Irrsinn". Nur eine Partei befürwortet den Entschluss.
Die EU-Kommission stuft Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich ein. Das hat bereits vor der Entscheidung für massive Kritik gesorgt. Durch die sogenannte Taxonomie sollen nun Milliardeninvestitionen privater Investoren in Öko-Energien gelenkt werden, um die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Umweltschützer befürchten, dass dringend benötigtes Geld für den Ausbau von Wind- oder Sonnenenergie so in Atom- und Gasanlagen fließen könnte. Auch viele Politiker und Verbände sehen die Entscheidung kritisch.
Mit massiver Kritik reagieren die Grünen. Klimaschutzminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) lehnen den Vorschlag der EU-Kommission in seiner jetzigen Form deutlich ab. Das betonten beide Bundesminister in einer gemeinsamen Erklärung. "Ich halte den Rechtsakt in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und unsere Klimaziele gefährden könnte", erklärte Lemke.
Habeck: "Konterkariert das gute Konzept"
Die Bundesregierung werde jetzt beraten, wie sie mit dem Beschluss umgehe, hieß es. Bereits im Januar hatten beide Minister deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht Deutschland den Rechtsakt der Kommission ablehnen sollte, wenn er in wesentlichen Punkten unverändert bleibt. "Die für uns notwendigen Veränderungen sehen wir nicht", bilanzierte Habeck am Mittwoch.
Beide Minister bekräftigten erneut ihre klare Ablehnung der Einstufung von Atomkraft als nachhaltige Investition. "Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten", sagte Habeck. "Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider."
Grüne drängen auf Widerstand der Bundesregierung
Grünen-Parteivorsitzende Ricarda Lang betonte am Mittwoch, dass die Taxonomie als Ökosiegel durch die EU-Entscheidung entwertet werde. "Statt Greenwashing zu verhindern, macht die EU-Kommission die Taxonomie damit selbst zu einem Greenwashing-Instrument".
Die Grünen wollten sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung mit "Nein" stimmt, sagte Lang, die am vergangenen Wochenende zur neuen Co-Vorsitzenden gewählt worden war. Zudem gelte es, die Erfolgsaussichten für eine Klage gegen den Rechtsakt zu prüfen. "In diesem Fall würde es Sinn ergeben, dass Deutschland sich den intendierten Klagen vieler EU-Mitgliedsländer anschließt."
Der Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, sagte: "Wir erwarten, dass alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um diese dreckige Mogelpackung noch zu stoppen." Die Bundesregierung müsse gegen die Vorhaben der EU-Kommission stimmen und weiter versuchen, im Rat eine Mehrheit zu organisieren. Die Grüne Jugend forderte außerdem die EU-Abgeordneten auf, den Vorschlag im Parlament zu blockieren. "Sollte das irrsinnige grüne Label für Atom- und Gaskraft auf politischem Wege nicht mehr gestoppt werden, erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie gegen die Vorhaben der Kommission klagt."
AfD befürwortet Entscheidung
Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Norbert Kleinwächter hat sich erfreut geäußert. "Mit der sogenannten Taxonomie, also der Einstufung von Finanzinvestitionen in Kernkraft und Gas als klimafreundlich, begibt sich die EU-Kommission erstmals auf AfD-Kurs. Das begrüßen wir ausdrücklich", sagte Kleinwächter.
Damit gebe "Brüssel grünes Licht für neue Investitionen. Das sichert die Energieversorgung, belebt die Wirtschaft und hilft der Umwelt", erklärte der Fraktionsvize. Die Bundesregierung forderte er zu einer "Kehrtwende in der deutschen Energiepolitik" auf.
Olaf Scholz als "Totengräber" des EU-Klimaschutzes
Aktivisten der Umweltorganisation Avaaz hingegen nahmen bei einer Protestaktion am Mittwoch in Brüssel gezielt Frankreich und Deutschland in die Pflicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der französische Präsident Emmanuel Macron seien die "Totengräber" des Klimaschutzes – so inszenierten die Aktivisten eine symbolische Beerdigung des "Green Deal", mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will.
Denn: Der umstrittene Beschluss der EU-Kommission beruht auf einem deutsch-französischen Kompromiss, nachdem sich Paris für Atom und Berlin für Gas eingesetzt hatte. Bei der Protestaktion vor dem Kommissionssitz im Brüsseler Europaviertel trugen Avaaz-Aktivisten Masken von Scholz und Macron und schaufelten dem Klimaschutz ein Grab. Hinter einem Grabstein mit der Aufschrift "RIP EU Green Deal" (Ruhe in Frieden, grüner Deal der EU) hielt eine Demonstrantin mit dem Konterfei von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Blumenstrauß mit Trauerflor in der Hand.
Umweltverbände kritisieren Entschluss scharf
Auch Umweltverbände in Deutschland haben das Festhalten der EU-Kommission an der Einstufung von Atomkraft und Gas als nachhaltige Energieformen kritisiert. Brüssel untergrabe damit die eigenen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele, erklärte die Organisation BUND. "Mit der Aufnahme von Atomkraft und Erdgas wird die EU-Taxonomie ein Werkzeug für das Greenwashing schmutziger Energieträger."
Der EU-Vorschlag ignoriere, "dass fossiles Gas enorme Emissionen verursacht und Atomkraft eine Risikotechnologie ist, die hoch radioaktiven Abfall erzeugt, für dessen Entsorgung es bisher keine sichere Lösung gibt", erklärte der WWF. Er forderte das EU-Parlament und den Rat der Mitgliedstaaten auf, "den Vorschlag abzulehnen".
"Ein schwerer Glaubwürdigkeitsverlust"
Ähnlich äußerte sich Germanwatch. Demnach drohe "ein schwerer Glaubwürdigkeitsverlust". Die Kriterien für die auch von Deutschland als "Brückentechnologie" befürwortete Aufnahme von Erdgas seien "von der Kommission gegenüber dem vorherigen Entwurf noch weiter abgeschwächt" worden. Denn die im ersten Entwurf von Dezember noch enthaltenen Beimischungszwischenziele für Biogas und Wasserstoff seien ganz gestrichen worden.
"Die neue Bundesregierung macht auf internationaler klimapolitischer Bühne da weiter, wo die letzte aufgehört hat", monierte Germanwatch-Experte Christoph Hoffmann. "Aufgrund der Notwendigkeit eines begrenzten und vorübergehenden Einsatzes von Erdgas tritt Deutschland als edler Ritter des Brennstoffs auf. Dabei rechtfertigt die zeitweise Notwendigkeit, es im Strombereich einzusetzen, keinesfalls, es als nachhaltig einzustufen".
Regierung will Entschluss prüfen
Die Bundesregierung will den an diesem Mittwoch vorgelegten Rechtsakt der EU-Kommission zur "grünen" Einstufung von Gas-und Atomkraftwerken nach eigenen Angaben prüfen. "Wir haben jetzt vier Monate Zeit, das zu prüfen, was die Kommission jetzt tatsächlich vorlegt", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Bundesregierung habe ihre Position zu diesem Thema bereits "umfänglich dargelegt". Jetzt werde sich die Koalition erst einmal "darüber beugen, was jetzt tatsächlich von Brüssel vorgelegt worden ist", erklärte Hebestreit. Die Frist zur Prüfung könne sogar bis zu sechs Monate betragen.
Die Bundesregierung hat schon mehrfach ihre klare Ablehnung zur Einstufung von Atomkraft als nachhaltig zum Ausdruck gebracht. Eine Unterstützung für Gaskraftwerke als Übergangstechnologie hält Deutschland aber für vertretbar.
In ihrem nun angenommenen Rechtsakt hat die Kommission noch Änderungen zu ihrem ursprünglichen Entwurf vorgenommen. Die Auflagen für Gaskraftwerke wurden dabei gelockert. Insbesondere Deutschland hatte darauf gepocht, die Kriterien für Gas flexibler zu gestalten.
Unklar, ob Deutschland klagen wird
Die Nachfrage eines Journalisten, ob die Bundesregierung es als Erfolg werte, dass die Kommission die entsprechenden Änderungen zu den Gaskraftwerken angenommen habe, wollte Hebestreit nicht weiter kommentieren. Auch ließ der Regierungssprecher offen, ob Deutschland gegen den Rechtsakt der Kommission – insbesondere wegen der Einstufung zur Atomkraft – klagen werde.
Die Neuerung in der sogenannten EU-Taxonomie sieht vor, dass Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union künftig unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich gelten sollen. Trotz massiver Kritik nahm die Europäische Kommission am Mittwoch einen entsprechenden Rechtsakt an. Lesen Sie hier mehr dazu.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP