Nach Brexit London droht mit Einsatz von "Notfall-Klausel" im Nordirland-Streit
Der Streit um das Nordirland-Protokoll geht weiter: Die britische Regierung mahnt die EU-Kommission, die Androhungen ernst zu nehmen. Andernfalls will sie die Regelung aus dem Brexit-Vertrag nicht einhalten.
Die britische Regierung hat im Streit mit der EU-Kommission um das sogenannte Nordirland-Protokoll den Ton verschärft. Brexit-Minister David Frost drohte damit, von einer Notfallklausel Gebrauch zu machen und die Regelungen aus dem Brexit-Vertrag damit außer Kraft zu setzen. "Ich rufe die EU auf, dies ernst zu nehmen", sagte Frost im Oberhaus am Montagabend. Sie begehe sonst einen "ernsthaften Fehler". Die Europäische Kommission müsse sich zudem auf echte Verhandlungen einlassen.
Das Nordirland-Protokoll soll sicherstellen, dass trotz Brexit keine Warenkontrollen zwischen dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland entstehen. Das gilt als Voraussetzung, um den brüchigen Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion nicht zu gefährden. Stattdessen muss nun aber kontrolliert werden, wenn Waren aus England, Schottland oder Wales nach Nordirland gebracht werden. Das schafft Probleme im innerbritischen Handel, für die sich London und Brüssel gegenseitig verantwortlich machen.
EU-Kommission strebt praktische Lösung an
Die EU-Kommission hatte sich zuletzt offen für praktische Lösungen gezeigt. Eine Neuverhandlung des Protokolls, wie sie London fordert, lehnt sie jedoch ab. Eine von der britischen Regierung einseitig beschlossene Verlängerung der Gnadenfrist für die Einfuhr gekühlter Fleisch- und Wurstwaren in der vergangenen Woche, ließ Brüssel zunächst durchgehen, um Raum für Verhandlungen zu schaffen.
Der deutsche Botschafter in London, Andreas Michaelis, kommentierte die Drohung der Briten mit Ironie: "Sieht so aus als würden wir in eine neue Phase im Hinblick auf das Nordirland-Protokoll eintreten. Gerade als die EU pragmatischer und verständnisvoller wird, nimmt das Vereinigte Königreich eine weniger flexible Position ein", schrieb er auf Twitter. Das könne man als "gemeinschaftliche Umsetzung" bezeichnen, fügte er hinzu.
Großbritannien will Grenzkontrollen verschieben
Großbritannien hat derweil angekündigt, die infolge des Brexit geplante Einführung vollständiger Grenzkontrollen für Waren aus der EU zu verschieben: Die ab Oktober geplanten vollständigen Kontrollen in Bereichen wie der Einfuhr von Nahrungsmitteln oder Tierprodukten würden nun unter einem "pragmatischem neuen Zeitplan" für Januar anvisiert, teilte die britische Regierung am Dienstag mit.
"Wir wollen, dass die Betriebe sich auf ihre Erholung von der Pandemie konzentrieren können und sich nicht mit neuen Vorgaben an der Grenze beschäftigen müssen", begründete Brexit-Minister David Frost den neuen Zeitplan.
Die Corona-Pandemie, Bürokratie und neue Einwanderungsregeln haben in Großbritannien zu Lieferproblemen geführt. Durch die Pandemie und den Austritt aus dem EU-Binnenmarkt gibt es im Vereinigten Königreich einen Mangel an Lkw-Fahrern, was insbesondere im Nahrungsmittelsektor zu Engpässen führt.
Zollerklärungen ab 1. Januar gültig
Vollständige Zollerklärungen sollen wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten. Die Überprüfung von Nahrungsmitteln und Tierprodukten, die dem Schutz vor Krankheiten dienen soll, wird den Angaben zufolge von Januar auf Juli kommenden Jahres verschoben. Auch Vorgaben für Sicherheitserklärungen sollen auf Juli 2022 verschoben werden.
Großbritannien hat auch die vollständige Umsetzung von Regeln infolge des Brexits für den Handel vom Festland nach Nordirland verschoben. London ist in Gesprächen mit Brüssel über die Umsetzung des Nordirland-Protokolls. Dieses sieht vor, dass zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen eingeführt werden. Stattdessen soll zwischen Großbritannien und Nordirland kontrolliert werden.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa