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Albtraum-Brexit: Horrorszenario – hat sich Boris Johnson komplett verzockt?


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Albtraum-Brexit
Boris Johnsons Horrorszenario

Eine Analyse von Stefan Rook

Aktualisiert am 22.09.2020Lesedauer: 4 Min.
Boris Johnson am 14. September bei einer Debatte im Unterhaus: Sein geplantes Binnenmarktgesetz könnte einen Deal mit der EU, aber auch mit den USA verhindern.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson am 14. September bei einer Debatte im Unterhaus: Sein geplantes Binnenmarktgesetz könnte einen Deal mit der EU, aber auch mit den USA verhindern. (Quelle: UK Parliament/Jessica Taylor/Handout/imago-images-bilder)
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Ende des Jahres könnte Großbritannien ohne Deal mit der EU und ohne Abkommen mit den USA dastehen. Dazu droht ein massiver Wirtschaftseinbruch durch einen zweiten Corona-Lockdown.

Hat sich Boris Johnson komplett verzockt? Zu Beginn des Jahres versprach er per Twitter noch: "Das wird ein fantastisches Jahr für Großbritannien." Zum Jahresende droht dem Vereinigten Königreich eine Katastrophe auf mehreren Ebenen.

Nach Johnsons Ankündigung, sich unter Umständen nicht an das Ausstiegsabkommen mit der EU zu halten und mit einem neuen Binnenmarktgesetz bewusst internationales Recht zu brechen, wird ein No-Deal-Brexit – wieder – wahrscheinlicher. Die EU stellte jedenfalls klar: Ist Großbritannien nicht vertragstreu, wird es kein Abkommen über die zukünftigen Handelsbeziehungen geben.

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Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich vergangene Woche in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union pessimistisch, was die zukünftigen Beziehungen zu Großbritannien angeht: "Mit jedem Tag schwinden die Chancen, dass wir doch noch rechtzeitig ein Abkommen erzielen."

Auf einem Sondergipfel am 24. und 25. September will die EU nun über den Stand und die Zukunft der Brexit-Verhandlungen diskutieren. Bisher gibt es nicht einmal einen Textentwurf für ein Handelsabkommen zwischen beiden Seiten. Damit genug Zeit für die Ratifizierung und Umsetzung des Vertrags bleibt, müsste eine endgültige Version bis spätestens Ende Oktober vorliegen.

Johnson kann eine Rebellion – zunächst – verhindern

Hinzu kommt, dass Johnson mit seinem Versuch, das längst gültige EU-Austrittsabkommen wieder aufzubohren, auf Widerstand aus den eigenen Reihen stößt. 30 konservative Abgeordnete – darunter hartgesottene Brexiteers – sprachen sich gegen Johnsons Binnenmarktgesetz aus. Nur mit Zugeständnissen konnte Johnson sie kurz vor der Abstimmung in der vergangenen Woche von einer offenen Rebellion abhalten. Auch alle fünf noch lebenden Ex-Premierminister distanzierten sich öffentlich von Johnsons Brexit-Plänen.

Mit seiner Drohung, gegen das von ihm selbst mit der EU ausgehandelte Ausstiegsabkommen zu verstoßen, hat Johnson zudem die US-Demokraten verprellt. Deren Präsidentschaftskandidat Joe Biden machte sehr deutlich, was er von Johnsons Gebaren hält – und der damit verbundenen Gefahr einer harten Grenze zwischen Irland, das in der EU bleibt und Nordirland, das mit Großbritannien aus der EU austritt: "Wir können nicht zulassen, dass das Karfreitagsabkommen, das Nordirland Frieden gebracht hat, dem Brexit zum Opfer fällt. Jeder Handelsvertrag zwischen den USA und Großbritannien muss auf Respekt für dieses Abkommen fußen und die Wiederkehr einer harten Grenze verhindern. Punkt."

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Sollte Biden im November tatsächlich zum neuen US-Präsidenten gewählt werden, könnten sich alle Hoffnungen der Briten auf den von Donald Trump versprochenen "phänomenalen" Handelsvertrag mit den USA zerschlagen. Doch selbst wenn Trump weiter an der Macht bleibt, sollte Johnson nicht vorzeitig jubeln. Trump hat mit seiner Art von Politik immer wieder gezeigt, dass es ihm in erster Linie um nationale und persönliche Vorteile geht – und dass er sich an Versprechen oder Abkommen nicht gebunden fühlt.

Damit nicht genug: Großbritannien befindet sich mitten in einer zweiten Corona-Welle, die die Wirtschaft des Landes, die sich gerade in einer leichten Erholungsphase befand, erneut immens schädigen könnte. Während der ersten Hochphase der Pandemie brach die Wirtschaft im Vereinigten Königreich im zweiten Quartal 2020 um 20,4 Prozent ein – ein Negativrekord in Europa.

Großbritannien droht ein massiver Anstieg der Arbeitslosenquote

Und: Ab Ende Oktober läuft das britische Modell der Kurzarbeit aus. Mit diesem wurden rund neun Millionen Jobs vorübergehend gesichert. Ob das auf Dauer gelingt, ist sehr zweifelhaft. Die Bank of England rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote von derzeit rund 4 Prozent auf 7,5 Prozent bis zum Jahresende.

Großbritannien ist mit bisher knapp 42.000 Corona-Toten zudem das Land mit den meisten Todesopfern in Europa. Schon die erste Infektionswelle hat das marode britische Gesundheitssystem NHS (National Health System) vor größte Herausforderungen gestellt.


Ein zweiter Lockdown, den auch Johnson nicht mehr ausschließen will, würde Großbritanniens Wirtschaft erneut hart treffen. Dazu wird erwartet, dass ein harter Brexit – verbunden mit Zöllen und Einfuhrkontrollen und im schlimmsten Fall Chaos an den Grenzen – zu einem weiteren wirtschaftlichen Einbruch führt. Am Ende könnte Großbritannien wirtschaftlich sowie innen- und außenpolitisch zu einem lahmgelegten Land und – wie schon in den 1960iger- und 1970iger-Jahren – zum "kranken Mann Europas" werden.

Johnson provoziert und verprellt Verbündete und potenzielle Handelspartner

All das sollte den britischen Premierminister in erster Linie dazu antreiben, dass sein Land nach dem EU-Ausstieg und in Post-Corona-Zeiten so gut wie möglich dasteht. Doch Johnson geht einen anderen Weg. Er provoziert und verprellt Verbündete sowie potenzielle Handelspartner. Er stellt ohne Not die Glaubwürdigkeit seines Landes infrage. Wer will schon mit einem Partner arbeiten, der den Bruch von internationalem Recht für das Erreichen seiner Ziele als legitimes Mittel ansieht?

Ein weiteres Problem: Johnson präsentiert keine für die Gegenseite akzeptablen Lösungen. Johnson geht es – wie Trump – in erster Linie um nationale Interessen. Wie Trump vergisst er dabei, dass Politik und Wirtschaft in Zeiten der Globalisierung so nicht funktionieren – jedenfalls nicht dauerhaft.

Johnson will immer noch nicht begreifen, was Angela Merkel schon 2016 unmissverständlich klarstellte: Der Brexit wird nicht zur Rosinenpickerei. Großbritannien kann sich nicht von den EU-Verpflichtungen befreien und gleichzeitig weiter davon profitieren, was die EU an Vorteilen zu bieten hat.

Etwas Zeit bleibt Johnson noch, um zumindest einen Teil der drohenden Katastrophe für sein Land abzuwenden und doch noch einen Deal mit der EU zu erreichen. Dabei könnte ein Wesenszug Johnsons in diesem Fall von Vorteil sein: Der britische Premierminister hat schon mehrfach bewiesen, dass er kein Problem damit hat, seine Überzeugungen und Ansichten radikal zu ändern.

Verwendete Quellen
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