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EU-Gipfel: Nervenkrieg in Brüssel – Treffen droht Vertagung


Zäher EU-Gipfel
Ringen um Corona-Milliardenpaket wird zum Nervenkrieg

Von dpa, reuters, dru

Aktualisiert am 18.07.2020Lesedauer: 4 Min.
Verhandlungen im Zeichen der Corona-Krise: Kanzlerin Merkel (2.v.r.), Kommissionschefin von der Leyen, Italiens Premier Conte (l.) und der niederländische Ministerpräsident Rutte tragen in Brüssel Maske.Vergrößern des Bildes
Verhandlungen im Zeichen der Corona-Krise: Kanzlerin Merkel (2.v.r.), Kommissionschefin von der Leyen, Italiens Premier Conte (l.) und der niederländische Ministerpräsident Rutte tragen in Brüssel Maske. (Quelle: Francisco Seco/ap)
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Die europäische Wirtschaft leidet massiv unter der Corona-Krise. Ein riesiges Hilfspaket soll die Auswirkungen lindern, doch die 27 Staaten sind uneins, wie dieses Paket geschnürt werden soll. Von einem Kampf ist die Rede.

Die Verhandlungen um ein europäisches Milliardenpaket gegen die Corona-Krise entwickelten sich am Samstagabend zu einem Nervenkrieg. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte sprach von unerwartet schwierigen Gesprächen beim EU-Sondergipfel in Brüssel. Es gebe noch viele ungelöste Probleme, sagte er in einer Videobotschaft. Ratspräsident Charles Michel schlug am späten Abend eine Verschiebung vor.

Contes Aussagen zielten vor allem auf die Haltung der Sparsamen Vier – Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande – ab. Sie wollen, dass aus dem geplanten 750 Milliarden Euro schweren Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Corona-Krise ein größerer Anteil als Kredite vergeben wird, und nicht als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssten. Conte sagte, die Sparsamen Vier sähen nicht unbedingt die Notwendigkeit, eine schnelle und gemeinsame Lösung zu finden. Er sprach mit Blick auf die Verhandlungen von einem harten Kampf.

Ratschef Charles Michel hatte den Tag über immer wieder versucht, die zähen Verhandlungen doch noch zu einem Abschluss zu bringen. Am Vormittag brachte er einen Vermittlungsvorschlag ein, der Diplomaten zufolge die am Freitag abgebrochenen Verhandlungen wieder in Gang gebracht hatte. Am Nachmittag hieß es, der Belgier bereite einen weiteren Kompromissvorschlag vor.

Dennoch wollte bis zum späten Abend keine Einigung gelingen. Auch weil Länder wie Ungarn zusätzlich Sand ins Getriebe streuten und erneut mit einem Veto gegen eine Einigung drohten. "Politische Vorbedingungen" für den Erhalt von EU-Mitteln "können nicht akzeptiert werden", schrieb der ungarische Regierungssprecher Zoltan Kovacs auf Twitter. Er bezog sich dabei auf den Passus im Entwurf für den nächsten EU-Haushalt, der die Möglichkeit von Mittelkürzungen bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in EU-Staaten vorsieht. In Brüssel laufen Strafverfahren gegen Ungarn sowie Polen wegen Angriffen auf die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz.

Ratspräsident Michel sprach sich deshalb für eine Verlängerung des Gipfels bis Sonntag aus. Der Stand der Verhandlungen sei noch nicht reif, hieß es aus EU-Kreisen. Noch seien verschiedene Elemente zu überbrücken. Michel wolle weiter in Einzelgesprächen beraten, eine Nacht drüber schlafen und dann die Verhandlungen weiter führen.

1,8 Billionen gegen dramatische Rezession

Bei dem historischen Gipfel in Brüssel ringen die Staats- und Regierungschefs um ein Finanz- und Krisenpaket von gut 1,8 Billionen Euro: ein schuldenfinanziertes Aufbauprogramm gegen die Corona-Krise im Umfang von 750 Milliarden Euro und den neuen siebenjährigen EU-Haushaltsrahmen im Umfang von mehr als 1.000 Milliarden Euro. Damit will sich die EU gemeinsam gegen die dramatische Rezession stemmen. Doch hatten sich am ersten Gipfeltag am Freitag die Verhandlungen der 27 Staaten völlig verhakt.

Michels Kompromissvorschlag vom Samstagvormittag hatte er vorher unter anderem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beraten. Der belgische Ex-Premier ging darin unter anderem auf Forderungen des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte ein. Die Niederlande reagierten nach Angaben von Diplomaten positiv, ebenso wie andere Staaten. Aber: "Wir haben es noch nicht geschafft", erklärte ein EU-Vertreter. Den ganzen Nachmittag über liefen Einzelgespräche in kleinen Runden. Kanzler Kurz sagte, in der Summe liege "noch einiges an Verhandlungsaufwand vor uns".

Auch bei Michels geändertem Vorschlag bliebe es bei 750 Milliarden Euro Hilfsgeldern. Doch würden nicht 500 Milliarden, sondern nur 450 Milliarden Euro als Zuschuss an EU-Staaten vergeben und dafür 300 Milliarden Euro statt 250 Milliarden als Kredit. Das ist ein Zugeständnis an die Sparsamen Vier, die grundsätzliche Bedenken gegen Zuschüsse haben.

Kommt die "Super-Notbremse"?

Speziell auf die Niederlande zugeschnitten ist ein weiterer Punkt: ein neuer Mechanismus zur Kontrolle der Auszahlung von Hilfsgeldern, genannt die "Super-Notbremse". Rutte hatte verlangt, dass Empfänger von EU-Hilfen Reformen nicht nur zusagen, sondern sie bereits vor der Auszahlung umsetzen müssen. Dabei wollte Rutte jedem Land ein Vetorecht geben.

Nun lautet die Idee: Ein oder mehrere Mitgliedstaaten können bei Zweifeln oder Unzufriedenheit mit dem Reformstand den EU-Ratschef einschalten. Dieser beauftragt dann den Europäischen Rat oder den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister mit Prüfung. Auf diese Weise könnte die Auszahlung bis zu einer "zufriedenstellenden Befassung" zeitweise aufgehalten werden, heißt es in einem Papier Michels.

Darauf reagierte die niederländische Regierung positiv. Ein Diplomat sprach von einem ernsthaften Schritt in die richtige Richtung. Es sei allerdings unklar, ob der neue Vorschlag wirklich das geforderte volle Vetorecht bedeute. Zudem handele es sich um ein Paket, und darin seien noch viele Fragen zu klären. Bis in den Abend hinein blieb unklar, ob und wann ein Durchbruch gelingen könnte.

Sonderwünsche einzelner Staaten

Tatsächlich sind die Verhandlungen auch deshalb so kompliziert, weil das neue Corona-Programm, das über Schulden finanziert werden soll, im Paket mit dem nächsten siebenjährigen Finanzrahmen verhandelt wird, der sich weitgehend aus Beitragszahlungen der Länder speist. Die Wünsche einzelner Länder werden dabei teils verquickt.

So sollen nach dem jüngsten Vorschlag Österreich, Dänemark und Schweden größere Rabatte auf ihre Beiträge zum EU-Haushalt bekommen als ursprünglich vorgesehen. Für Österreich wären dies zusätzlich 50 Millionen Euro und für Schweden und Dänemark jeweils 25 Millionen. Für Deutschland und die Niederlande, die ebenfalls Rabatte haben, ändert sich mit dem neuen Vorschlag nichts. Kurz begrüßte das Zugeständnis, sagte aber auch, es reiche ihm noch nicht ganz.

Der Michel-Vorschlag beinhaltet noch mehrere Änderungen im Detail. Er wurde nach Angaben von Diplomaten "konstruktiv und ruhig" diskutiert. Dennoch blieben viele Punkte offen. So hatten Staaten weiter grundsätzliche Vorbehalte gegen die Summen sowohl beim Aufbauplan als auch beim Haushalt, die Kriterien zur Vergabe der Gelder und gegen die Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
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