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Brexit: Katarina Barley sieht Verhandlungen gelassen entgegen


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Brexit-Verhandlungen
Barley warnt Briten: "Wir sind nicht dumm"

InterviewVon Madeleine Janssen

03.03.2020Lesedauer: 6 Min.
Katarina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments (Archivbild): "De facto werden die Briten mehr Bürokratie bekommen."Vergrößern des Bildes
Katarina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments (Archivbild): "De facto werden die Briten mehr Bürokratie bekommen." (Quelle: snapshot/imago-images-bilder)
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Die Verhandlungen sind eröffnet: Briten und Europäer streiten darüber, wie ihre Beziehungen ab 2021 aussehen sollen. Katarina Barley, Vize-Präsidentin des Europaparlaments, warnt London vor Übermut.

Jetzt geht es ums Tempo: London und Brüssel stecken mitten in der Brexit-Übergangszeit. Bis zum Jahresende müssen sie ein Freihandelsabkommen aushandeln und sich in weiteren Bereichen einigen, wie ihre künftigen Beziehungen aussehen sollen. Zieht man die Zeit ab, die alle verbliebenen 27 EU-Staaten benötigen, um die Vereinbarungen zu ratifizieren, ist das ein enger Zeitplan.

Und die Verhandlungspartner haben sich seit dem Brexit am 31. Januar nicht gerade angenähert. Im Gegenteil, bei der Vorstellung des britischen Verhandlungsmandats in der vergangenen Woche kündigte Premierminister Boris Johnson an, die Gespräche ganz abzubrechen, sollte sich bis Ende Juni kein Abkommen abzeichnen.

Stattdessen wolle er dann den harten Brexit. Dabei rief zuletzt auch die britische Autoindustrie die Regierung dazu auf, ein umfassendes Freihandelsabkommen abzuschließen. Und: Welches Druckmittel London einsetzen könnte, um die Verhandlungen in die gewünschte Richtung zu treiben, blieb unklar.

In Brüssel sehen sie den kommenden Monaten entspannt entgegen. Auch Johnsons Ankündigung, aus Großbritannien ein Steuerparadies für Unternehmen zu machen, schockiert die Europäer nicht. "Warum sollten wir euch unbegrenzten Zugang zu unserem Binnenmarkt gewähren, wenn ihr gleichzeitig versucht, uns durch solche Wettbewerbsvorteile auszustechen?", sagt Katarina Barley, die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, im Interview mit t-online.de. "Wir mögen euch, aber wir sind nicht dumm."

t-online.de: Frau Barley, die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über die Zeit nach dem Brexit haben begonnen. Worüber streiten Briten und Europäer am heftigsten?

Katarina Barley: Es gibt drei wesentliche Streitpunkte. Die größte Baustelle ist der Bereich Handel, weil die britische Seite bisher so tut, als könne man nach wie vor Zugang zum Binnenmarkt erhalten und dabei die Standards der Europäischen Union nicht einhalten. Das wird nicht funktionieren. Es wird außerdem große Diskussionen über die Fischereirechte geben. Das ist ein Seitenthema, aber sehr wichtig für das Verhältnis zwischen EU und Großbritannien. Für uns als EU ist auch wichtig, wie die Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien nach dem Brexit geschützt werden.

Muss zu all diesen Themen zwingend noch dieses Jahr eine Einigung erzielt werden?

In diesen drei Bereichen auf jeden Fall. Großbritannien muss sich dazu bekennen, inwieweit es sich an die Standards im Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz halten will. Das kann man von den drei genannten Aspekten absolut nicht trennen. Es wird keine Rosinenpickerei geben. London darf nicht sagen: Über diese Sachen möchte ich mich einigen, über andere, zum Beispiel die Fischereirechte, ach, das hat ja noch Zeit.

Thema Gesundheit: Welche Mindeststandards müssen eingehalten werden?

In der EU haben wir ganz klare Vorgaben, etwa beim Fleisch legen wir fest, welche Behandlung die Tiere bekommen haben dürfen und welche nicht. Ein Beispiel: Wir sind gegen Wachstumshormone bei der Rindfleischerzeugung. Wenn die Briten jetzt sagen, wir wollen diese Hormone erstens selbst anwenden und zweitens vielleicht aus den USA hormonbehandeltes Rindfleisch importieren, weiter verarbeiten und dann in die EU exportieren – das können wir als EU nicht zulassen. Alle Vorgaben zur Einhaltung des Gesundheitsschutzes für EU-Bürger müssen 1:1 eingehalten werden.

Wahrscheinlich gibt es Dutzende weitere Beispiele.

Ja, etwa die Gerätesicherheit. In Europa pflegen wir bestimmte Normen. Die legen fest: Diese Geräte halten wir für sicher, andere nicht. Die Hersteller unterziehen sich aufwendigen, langwierigen und teuren Zertifizierungsverfahren. Wir können den Briten diese Anforderungen unter keinen Umständen erlassen oder ermöglichen, dass die britischen Waren weniger stark kontrolliert werden. Die Briten wollten weniger Bürokratie durch den Brexit. Das war ja immer das Argument gegen die EU. De facto werden sie mehr Bürokratie bekommen.

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Auf Twitter hat sich vor Kurzem ein Brite über die langwierigen Grenzkontrollen am Amsterdamer Flughafen geärgert. Für diesen Brexit habe er nicht gestimmt, schrieb er – und erntete Spott.

Dieses Jahr wird es noch nicht so zu spüren sein, weil noch viel nach den alten Regeln gespielt wird. Spätestens 2021 aber wird vielen Briten aufgehen, was das eigentlich heißt. Mitte Februar hat die zuständige britische Ministerin neue Einwanderungsregeln vorgestellt. Jetzt können nur noch Leute zum Arbeiten einwandern, die ein bestimmtes Mindestgehalt nachweisen. Dieses Gehalt liegt über dem, was eine Krankenschwester im staatlichen Gesundheitswesen verdient, aber erst recht über dem, was in der Landwirtschaft gezahlt wird. Die britische Landwirtschaft hat, ähnlich wie bei uns, bereits jetzt Schwierigkeiten, Erntehelferinnen und Erntehelfer zu finden. Die britische Agrarministerin hat gesagt, dann sollen arbeitslose Britinnen und Briten dafür geschult werden. Auf den Ausgang dieses Versuchs bin ich gespannt.

In Deutschland ist dieser Ansatz krachend gescheitert.

Ohne die Helferinnen und Helfer aus Osteuropa geht da gar nichts. Mit diesem Gesetz werden sie auch keine Einwanderung von Pflegekräften mehr haben. Da bin ich sehr gespannt, wie die Zukunft der britischen Krankenhäuser aussieht – die eh schon ein Problem haben mit fehlendem Personal. Ich kann nur sagen: Wir in der EU heißen die Pflegekräfte, die sonst nach UK gegangen wären, herzlich willkommen.

Katarina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments.
Katarina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments. (Quelle: imago-images-bilder)


Katarina Barley, Jahrgang 1968, ist eine deutsch-britische Juristin. Die SPD-Politikerin war von 2018 bis 2019 Bundesjustizministerin. Seit Juli 2019 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament. Sie ist zudem eine von 14 Vize-Präsidenten des EP.

Wie realistisch ist es denn, ein Abkommen tatsächlich im Laufe dieses Jahres hinzukriegen?

Sehr schwierig. Erstens sind es ja nicht nur diese drei Bereiche. Hinzu kommt zum Beispiel der Aspekt Sicherheit, etwa beim Austausch von Daten über Terrorverdächtige, aber auch beim gegenseitigen Vollzug von Haftbefehlen. Das zweite ist: Wir haben nicht einmal ein Jahr! Wir beginnen jetzt mit den Verhandlungen. Am Ende des Jahres muss noch ratifiziert werden. Netto haben wir also etwa acht Monate. Das ist so knapp, dass es eigentlich nur funktionieren kann, wenn man am Ende sagt: Bestimmte Bereiche lassen wir so, wie sie sind, in Übereinstimmung mit dem Europarecht.

Welche könnten das sein?

Das ist schwer zu sagen. Vor allem bei der Einhaltung der Standards könnte es dazu kommen. Bisher sind die Briten mit dem Bereich Verbraucherschutz ganz gut gefahren. Beim Arbeitnehmerschutz wird es schon enger. Da war zu Jahresbeginn im ursprünglichen Gesetz vorgesehen, dass London weiter alle Arbeitnehmerschutzvorschriften einhält, die unter der EU beschlossen worden sind. Das hat Boris Johnson rausstreichen lassen. Zu sagen, wir halten uns weiterhin an die Vereinbarungen, das ließe sich auf vielen Ebenen schnell machen. Je mehr die Briten davon abweichen wollen, desto länger werden die Verhandlungen dauern.

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Boris Johnson hat in der Zwischenzeit sein Kabinett umgebildet. Welche Auswirkungen auf die Verhandlungen könnte das haben?

Das muss sich noch erweisen. Die Tendenz ist klar: Johnson wird alle los, die ihm widersprechen könnten. Er bevorzugt eine stromlinienförmige Truppe um sich herum. Man darf den Einfluss von Dominic Cummings nicht unterschätzen.

Sie meinen den Chefberater Boris Johnsons.

Cummings ist ein Hardcore-Brexiteer. Die Kabinettsumbildung dient in meinen Augen nur diesem Ziel: Johnson will die harte Linie durchbekommen, die er und Cummings im Sinn haben.

Falls der enge Zeitplan scheitert, was bedeutet das für die EU?

Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder weicht Johnson von seinem Dogma ab, wonach er keinesfalls über 2020 hinaus mit der EU verbunden sein will. Ich sage ganz ehrlich: Das könnte ich mir vorstellen, wenn nur noch die Ratifizierungen ausstehen und man inhaltlich zu einer Einigung gekommen ist. Es würde mich wundern, wenn es dann nur an der Ratifizierungsphase scheitern würde. Die andere Möglichkeit ist ein harter Brexit, einer ohne Abkommen. Es ist kein Geheimnis, dass manche auf britischer Seite das wollen. Das würde bedeuten, dass die Uhren im Handelsbereich und in den Beziehungen zu UK von heute auf morgen auf Null gestellt würden.

Wie groß ist die Angst in der EU vor einer Steueroase vor der eigenen Haustür?

Nach Johnsons Worten wird Großbritannien versuchen, mit besonders attraktiven Bedingungen Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Alle hier in Brüssel haben dazu eine klare Haltung, vom Rat übers Parlament bis hin zur Kommission: Wenn London diesen Weg gehen will, wird es auch keinen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt erhalten. Ob das für ein Unternehmen attraktiv ist, mit etwas niedrigeren Steuern auf der britischen Insel zu sein, aber keinen oder nur einen sehr bürokratischen, teuren Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit 450 Millionen Menschen zu haben, da bin ich nicht so sicher. Wir haben auch innerhalb der EU sehr unterschiedliche Steuersätze. Die Unternehmen werden sich wahrscheinlich eher ein Land innerhalb der EU suchen, das niedrige Steuern vorhält.

Das klingt wie eine Kampfansage an Boris Johnson.

Ich bin halbe Britin. Ich will diesem Land nur Gutes. Aber die sollen nicht glauben, dass wir Idioten sind. Das scheint mir manchmal so.

Ich sage dann immer: Warum sollten wir euch unbegrenzten Zugang zu unserem Binnenmarkt gewähren, wenn ihr gleichzeitig versucht, uns durch solche Wettbewerbsvorteile auszustechen? Wir mögen euch, aber wir sind nicht dumm.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview am 19. Februar 2020
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