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Brexit: Störrisches Familienmitglied – Der Austritt musste erfolgen |Pro & Kontra


Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

Zwei Sichtweisen auf den Brexit
Endlich Schluss mit der Rosinenpickerei

Pro & KontraJan Reinken und Nathalie Rippich

Aktualisiert am 01.02.2020Lesedauer: 1 Min.
Brexit-Befürworter in London: Nur ein Teil der Briten feiert den EU-Austritt nach jahrelanger Hängepartie.Vergrößern des Bildes
Brexit-Befürworter in London: Nur ein Teil der Briten feiert den EU-Austritt nach jahrelanger Hängepartie. (Quelle: Stephen Chung/Xinhua/imago-images-bilder)
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Nun sind sie wirklich raus: Großbritannien hat die Europäische Union verlassen. Ein historischer Schritt nach langer Hängepartie. Aber ist es positiv, dass der Brexit jetzt amtlich ist?

Um 0.00 Uhr deutscher – und Brüsseler – Zeit war es nun soweit: Nach drei Jahren und sieben Monaten voller Aufs und Abs hat Großbritannien die Europäische Union als erster Staat überhaupt verlassen. Am 23. Juni 2016 stimmte eine knappe Mehrheit der Briten für den Ausstieg, Neuwahlen im vergangenen Dezember bestätigten nach einer jahrelangen Hängepartie das Ergebnis des Referendums indirekt. Die t-online.de-Autoren Jan Reinken und Nathalie Helene Rippich blicken aus unterschiedlichen Perspektiven auf dieses historische Ereignis.

Pro
Jan Reinken

Störrisches Familienmitglied: Der Brexit musste erfolgen

Gefühlt war Großbritannien schon seit Jahrzehnten mit einem Bein draußen. Dauernd haben sie blockiert. Dass die Briten nun die EU endgültig verlassen haben, ist deshalb nur folgerichtig. Der Brexit hat die EU seit dem Votum ganze dreieinhalb Jahre lang gelähmt. Es gab Unsicherheiten dies- und jenseits des Ärmelkanals – vor allem in der Bevölkerung.

Mehrfach wurde der Austrittstermin verschoben. Theresa May scheiterte mit ihrem Austrittsabkommen wiederholt am Parlament. Auch wenn Großbritannien selbst tief gespalten ist, herrscht nun endlich Klarheit für alle. Für diejenigen, die raus wollten – und die, die gehofft hatten, bleiben zu können. Außerdem endet damit auch die Rosinenpickerei unserer britischen Freunde. Man denke nur an den Briten-Rabatt, den die "Eiserne Lady" Margaret Thatcher einst aushandelte. Bei zahlreichen EU-Projekten, wie einer europäischen Armee oder einer gemeinsamen Energiepolitik, stellten sie sich quer. Ihretwegen ging es oft nicht voran.

Auch wenn ich als überzeugter Europäer mit der deutschen und der belgischen Staatsbürgerschaft den Brexit für eine Tragödie halte, ist es gut, dass die jahrelange Hängepartie endlich vorbei ist. Nun können die verbleibenden Mitgliedsstaaten sich wieder der notwendigen Sacharbeit zuwenden. Diese 27 Staaten sollten den Brexit als Mahnung und als Chance begreifen, noch stärker zusammenzurücken. Ohne ein störrisches Familienmitglied am Tisch, das schon lange nicht mehr wirklich dabei sein wollte.

Kontra
Nathalie Rippich

Der Brexit schmerzt: Erstmals schrumpft die EU

Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union erschüttert mich in meinen Grundfesten. Ich hatte bis zur letzten Sekunde gehofft, dass die Briten doch noch einen Rückzieher machen. Jede Verschiebung habe ich trotz des Chaos, das damit verbunden war, deshalb mit Wohlwollen aufgenommen. Die Briten waren ein unbequemes Mitglied, haben viele Prozesse blockiert. Aber sie waren ein wichtiges Mitglied. Wie jeder der verbleibenden 27 Staaten. Die Europäische Union ist stets gewachsen, nun verkleinert sie sich erstmals.

Nach den dunklen Jahren der zwei Weltkriege wurde sie zum Symbol für Gemeinsamkeiten, Frieden und Aufstieg. Nicht nur der symbolische Verlust ist groß: Es gibt die Sorge (bei manchen sind es gar Hoffnungen), dass die Briten nur die ersten sind, die gehen. Weitere Staaten könnten folgen. Dazu schwächt der Austritt der Briten die Position der Festlandeuropäer – sicherheitspolitisch und wirtschaftlich. Neue Konflikte könnten entstehen. Was passiert nun mit Irland? Und wie entwickelt sich die Lage in Nordirland? Auch viele Schotten sind nicht glücklich.

Auch wenn nach den Neuwahlen und dem Abnicken des Deals und in den letzten Tagen mit der Ratifizierung immer klarer wurde, dass es passieren wird, ist es für mich unwirklich geblieben. Nicht alles, was in der Europäischen Union entschieden wird, ist gut. Dass durch sie viele Staaten gemeinsam an einem Strang ziehen, ist jedoch eine enorme Errungenschaft. Die EU muss besser werden, fairer. Sie muss die Identität von Staaten akzeptieren und fördern und gleichzeitig Einigkeit gewährleisten. Eine Sisyphosaufgabe, schon klar. Dennoch: Ich wurde als Europäerin geboren und einen Teil davon zu verlieren, schmerzt. Der Brexit ist eine Zäsur und leitet eine neue Ära ein, die viel Unsicherheit bringt. Bis zur letzten Sekunde habe ich deshalb nicht daran geglaubt.

47 Jahre war Großbritannien Mitglied der Europäischen Union. Nun beginnt eine Übergangszeit, in der die Beziehungen zwischen den Briten und der EU neu geregelt werden. In der Zeit wird Großbritannien behandelt wie ein Drittstaat, bleibt aber eng verbunden mit der Gemeinschaft.

Ursprünglich hätte der Austritt bereits am 29. März 2019 vollzogen werden sollen. Das Datum wurde jedoch mehrmals verschoben, weil das erste von Theresa May mit Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen im britischen Parlament wiederholt keine Mehrheit fand. Erst im Januar passierte ein vom neuen Premierminister Boris Johnson ausgehandeltes Abkommen das Unterhaus, sodass der Brexit eintreten konnte.

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