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Brexit-Gewinner Johnson: Der Triumph des Wuschelkopfs


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Brexit-Gewinner Johnson
Der Triumph des Wuschelkopfs

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 31.01.2020Lesedauer: 6 Min.
Boris Johnson: Er wird als der britischer Premier in die Geschichte eingehen, der das Vereinigte Königreich aus der EU geführt hat.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson: Er wird als der britischer Premier in die Geschichte eingehen, der das Vereinigte Königreich aus der EU geführt hat. (Quelle: iImages/imago-images-bilder)
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Boris Johnson hat geschafft, was keiner vor ihm geschafft hat: Heute katapultiert er die Briten aus der EU. Wird er doch noch ein großer Staatsmann? | Von Gerhard Spörl

Neulich habe ich mir die dritte Staffel von "The Crown" angeschaut, in der die Geschichte Elisabeth II. erzählt wird. Premierminister auf Premierminister kommt zum Tee, berichtet ihr über wichtige Ereignisse in der großen weiten Welt und im eigenen Land. Unbewegten Gesichts hört sie zu und beendet die Audienz, indem sie nach dem Diener klingelt.

Die Premiers wechseln. Sie ist die Konstante. Sie ist der Pflichtmensch auf dem Thron. Kaum denkbar, dass sie Kant gelesen hat, aber in ihr ist der kategorische Imperativ zum Leben erwacht.

Zuletzt hatte sie es mit zwei Unglücksraben zu tun. David Cameron badete gern lau und beglückte sein Land mit einem Referendum über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, das anders ausging, als er gedacht hatte, woraufhin er zurücktrat. Theresa May ist ein Beispiel dafür, dass man höher steigen kann als einem guttut. Und jetzt kommt also zur ewigen Königin dieser blonde unkonventionelle Wuschelkopf, der mit seiner Freundin in Downing Street 10 wohnt und wirklich ein Unikum ist.

Wie geht es zwischen den beiden zu? Ich stelle mir vor, wie er sie mit seinem Witz und seiner guten Kinderstube köstlich amüsiert, wobei er sicherlich darauf achtet, dass er sie nicht mit Details langweilt, die ihn selber ja genauso wenig interessieren. Ihr Wohlgefallen dürfte auch erregen, dass er ein Buch über Winston Churchill geschrieben hat, der Elisabeths absoluter Lieblings-Premier gewesen ist. Und was sie über den Brexit denkt, behält sie ohnehin für sich, wie so vieles.


Heute ist es so weit. Heute ist der Tag der Tage. Großbritannien, das längst nicht mehr so groß ist, wie es einmal war, verlässt die Europäische Union. Die Insel will wieder Insel sein und zieht die Zugbrücke hoch. Sie möchte wieder ganz bei sich sein und nach eigenem Recht mit der Welt in Handel treten. Sie tut etwas Unerhörtes, sie setzt ein Beispiel, sie lässt die Institution hinter sich, die Wohlstand durch wirtschaftliche Zusammenarbeit erbrachte und somit neue Demokratien stärkte. Thank you and goodbye.

Das hat nicht Boris Johnson alleine gemacht, aber ohne ihn wäre es auch nicht so schnell so weit gekommen. Er macht wahr, was er an die Wand geschrieben hat. Als Brexit-Premier wird er in die Geschichtsbücher eingehen und damit hat er binnen weniger Monate das Entscheidende geleistet, das er leisten wollte. Zuständig fühlt er sich für das Große – großes Denken, großes Handeln. Was Größeres könnte jetzt noch kommen, für ihn?

Boris Johnson, der Mann der Stunde

Großbritannien war immer anders als der Rest Europas. Großbritannien schenkte uns den Pragmatismus genau so wie seine Exzentriker. Ging es gut, waren die Exzentriker die richtigen Männer zur richtigen Zeit. Wie Churchill, der Exzentriker aller Exzentriker, im Zweiten Weltkrieg.
Auch diesmal sehnte sich Großbritannien nach einem Exzentriker an der Spitze der Regierung, der auf der Höhe seiner Zeit ist. Die Zeit ist der Brexit. Der Mann der Stunde ist Boris Johnson.

Dieser Premier ist ein Exzentriker auf hohem Niveau. In die Upper Class geboren, durch die Schulen der Upper Class gewandert, Vorliebe für Griechisch, Latein und Rugby. Studium in Oxford. Durchaus strebsam und mehr als solide gebildet, was man ihm anmerkt, wenn man will. Dabei immer sehr amüsant, immer ausgesprochen unterhaltsam, jederzeit sehr beliebt. Ausgeprägtes Netzwerk innerhalb seiner Generation.

In Boris Johnsons Exzentrik hat der Entertainer die Oberhand gewonnen. Wer so privilegiert ist, in New York geboren, in Brüssel aufgewachsen, kann schon auf die Idee kommen, dass er ein verbrieftes Recht auf höchste Ämter besitzt. Für Menschen seines Schlages besteht der Sinn des Lebens nicht in Ernst und Pflicht, das ist was für Spießer.

Spaß will Johnson haben. Spaß muss sein. Spaß verbreitet er mit seinen skurrilen Redewendungen und seiner Fähigkeit, das Schwierige leicht erscheinen zu lassen. Nichts schadet ihm wirklich, weder dass er im Journalismus scheiterte, noch dass er als Politiker beim Lügen ertappt wurde oder das Aktenlesen scheut wie der Teufel das Weihwasser.

Der Sieg der Provinz

Ironischerweise ist der Brexit der Sieg der Provinz über London, der Sieg der Spießer. Das eigentliche Gesicht der Brüssel-Hasser ist Nigel Farage, der sich dabei filmen ließ, wie er leicht derangiert im Pub stand und Bier in sich hinein schüttete, ein Mr. Jedermann in der Welt der Jedermanns.

Johnson ist das Gegenteil, ein Abkömmling der alten Elite, einer, der sich nicht wirklich gemein macht, sondern nur so tut. Einer für die uralten Klubs, keiner für die Pubs. Und vielleicht ist er gerade deshalb der Held der Leavers, die in der EU einen Irrtum der britischen Geschichte sehen und nichts wie raus wollen.

Ihnen verspricht ihr Premierminister ein goldenes Zeitalter aus eigener Kraft. Muss er auch. Wird von ihm erwartet. Macht ihm auch Spaß. Doch der Brexit, der ihm vorschwebt, ist nicht der Brexit, von dem die Provinzler träumen, die die Hauptstadt hassen. Denn ohne London ist kein Staat zu machen. Ohne die City, ohne die Finanzindustrie und die Banken wäre Großbritannien so gut wie nichts. Hier gedeihen die Sprösslinge der Upper Class, hier liegt ihr Biotop, nicht in Leeds oder Great Yarmouth. Und wer sollte das Land führen, wenn nicht die alte Elite?

Es soll weitergehen wie bisher, nur anders

Johnsons Großbritannien ist nicht Little England. Sein Großbritannien nimmt selbstverständlich am globalen Handel teil und wird daher auch nicht die Internationale Handelsorganisation WTO verlassen. Selbstverständlich wird der Premier so schnell wie möglich so viele Handelsverträge wie möglich mit möglichst vielen Ländern abschließen. Es soll weitergehen wie bisher, nur anders, und möglichst wenig schmerzhaft für das Bruttosozialprodukt, das Pfund und die Einkommen der Briten, auch wenn es weniger golden kommt als ihnen Johnson verspricht, was mehr als wahrscheinlich ist.

Recht verstanden ist der Brexit für den Wuschelkopf ein großes Spiel. Er hat es sich gut überlegt, das schon und darin liegt auch kein Widerspruch. Ihm wird ja nicht zufällig nachgesagt, dass er sich damals 2016 beim Referendum genauso gut für den Verbleib in der EU hätte erwärmen können. Aber die Stimmung im Lande war nun einmal anders. Für Spieler fallen die Karten, wie sie fallen, und sie machen sich keinen Kopf über das Warum und Wieso.

Neues Spiel, neues Glück. Großbritannien geht, bleibt aber auch in der EU, mindestens ein Jahr lang, heute beginnt eine Übergangszeit. Wir können verfolgen, wer Recht behält: die Unglücksbeschwörer, die das Land bachab gehen sehen, oder die Glücksbeschwörer, die die Zukunft rosig malen.

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Meist entwickeln sich die Dinge ja im Mittelfeld, weniger schlecht und weniger gut als antizipiert.

Zuletzt ähnelte Großbritannien mehr den USA

Es ist auch gut, dass heute der Tag der Tage ist. So kann das Land am ehesten heilen. Nichts hat es nötiger als eine schöpferische Pause. Zuletzt ähnelte Großbritannien in der brutalen Härte der politischen Auseinandersetzung und der Unversöhnlichkeit der Lager mehr Amerika als sich selber. Wenn es nach mir geht, dann will ich das pragmatische, geschmeidige, selbstironische Großbritannien wieder haben, das ich kenne. Gerne auch mit Exzentrikern.

Alexander Boris de Pfeffel Johnson, wie er mit vollem Namen heißt, hat man nur eine kurze Verweildauer als Premier vorhergesagt. Kann sein, kann nicht sein. Er ist gerne, was er ist, warum sollte er es nicht bleiben wollen? 55 Jahre alt ist er. Im Parlament verfügt er über eine große Mehrheit. Auf absehbare Zeit kann ihm keiner das Wasser reichen, nicht in seiner Partei und bei Labour schon gar nicht.

Das Spiel, das Boris Johnson spielte, ist jetzt vorbei. Den Vollzug des Brexit im kommenden Jahr wird er den Fachministern überlassen und damit kann er sich Zeit nehmen, um sich ein neues Spiel auszudenken. Wie wäre es mit diesem: Klappt es nicht mit dem Brexit, wird das Zeitalter gar nicht golden, könnte er doch sagen: War nur so 'ne Idee, früher war's besser, also zurück auf Los, ohne uns geht Europa ohnehin vor die Hunde, lasst uns die EU retten.

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