"Informationspapier" im EU-Parlament Jetzt wird's persönlich: SPD-Politiker greifen von der Leyen an
Am Dienstag wird das EU-Parlament über Ursula von der Leyen als neue Kommissionschefin abstimmen. Die SPD ist heftig dagegen. Fällt ihr jetzt ein Papier aus den eigenen Reihen auf die Füße?
Kanzlerin Angela Merkel springt der deutschen Kandidatin für das EU-Spitzenamt, Ursula von der Leyen, ungewöhnlich deutlich zur Seite. Nach einem "Informationspapier", das SPD-Gruppenchef Jens Geier zur Anhörung von der Leyens im Europaparlament verteilen ließ, fordert die Kanzlerin am Donnerstag Mäßigung und einen vernünftigen Umgang ein. Die Situation in der großen Koalition sei "nicht einfach".
Die zwei eng bedruckten Seiten aus der Brüsseler SPD-Feder haben es in sich. "Affäre", "Skandal", "Anschuldigungen", "mangelnder Rückhalt" und "Plagiat" sind die Worte, mit denen die EU-Kommissionspräsidentin in spe in dem Papier in Verbindung gebracht wird. "Warum Ursula von der Leyen eine unzulängliche und ungeeignete Kandidatin ist", lautet die Überschrift.
Beschrieben werden in dem zweiseitigen, in englischer Sprache verfassten Text unter anderem die Berater-Affäre um den Einsatz externer Fachleute bei der Modernisierung der Bundeswehr und die "Kostenexplosion" bei der Sanierung des Marineschulschiffes "Gorch Fock". Zudem thematisieren die Autoren noch einmal den nach einer langen Prüfung ausgeräumten Vorwurf, wonach von der Leyen wegen Plagiaten in ihrer Dissertation zu Unrecht einen Doktortitel führt.
Hat das Papier Erfolg, wird es knapp für von der Leyen
Das Ziel, das Geier mit dem "Informationspapier" verfolgt, ist damit klar. Er will Sozialdemokraten und Sozialisten aus anderen EU-Staaten davon überzeugen, am kommenden Dienstag bei der Abstimmung im Europaparlament gegen die CDU-Politikerin zu stimmen. Sollten mehr als die Hälfte der 153 Abgeordneten aus der sozialdemokratischen Fraktion von der Leyen ihre Unterstützung verweigern, könnte es knapp für die derzeitige Bundesverteidigungsministerin werden.
376 Stimmen braucht sie, um wie von den europäischen Staats- und Regierungschefs gewünscht die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antreten zu können. Von der Leyens europäische Parteienfamilie EVP kommt im Parlament allerdings selbst nur auf 182 Sitze, die Liberalen sogar lediglich auf 108. Grüne und Linke haben bereits angekündigt, von der Leyen die Unterstützung zu verweigern.
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Wer die deutschen Sozialdemokraten fragt, warum sie um jeden Preis verhindern wollen, dass mit von der Leyen zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren wieder jemand aus Deutschland an die Spitze der EU-Kommission rückt, bekommt vor allem immer wieder das Wort "Spitzenkandidatensystem" zu hören.
Spitzenkandidaten waren nicht vermittelbar
Dass das Parlament damit gegen den Willen der ebenfalls demokratisch gewählten Staats- uns Regierungschefs ein in den EU-Verträgen nicht vorgesehenes System etablieren wollte, wird dabei allerdings gerne verschwiegen – ebenso, dass es gegen die beiden Spitzenkandidaten große Widerstande im für die Nominierung zuständigen Rat der Staats- und Regierungschefs gab.
Gegen den deutschen CSU-Politiker Manfred Weber stellte sich unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron. Dem sozialdemokratischen Spitzenkandidat Frans Timmermans fehlte die Rückendeckung vor allem von Ländern wie Ungarn und Polen, aber auch einiger christdemokratischer Regierungen.
Vor dem entscheidenden EU-Gipfel gelang es im Parlament weder Timmermans noch Weber eine absolute Mehrheit für sich zu organisieren. Und die europäischen Sozialdemokraten wollten nicht von ihrem Kandidaten Timmermans abrücken, obwohl sie bei der Europawahl nur zweitstärkste politische Kraft geworden waren.
Gabriel polterte mal wieder lautstark
Lautstark hatte schon Ex-SPD-Chef und Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel auf die Nominierung von der Leyens reagiert. Er machte im "Spiegel" einen "beispiellosen Akt der politischen Trickserei" aus, forderte eine Entscheidung des Bundeskabinetts als nötige Grundlage ein und machte die Nominierung gar zu einem "Grund, die Regierung zu verlassen". Die Bundesregierung widersprach.
Die europäischen Sozialdemokraten sind gespalten. Weil die Staats- und Regierungschefs der Parteienfamilie den Von-der-Leyen-Deal im Gegenzug für andere Posten mittrugen, wird damit gerechnet, dass Abgeordnete aus Ländern wie Spanien, Portugal oder Dänemark für die Deutsche stimmen. Die deutschen Sozialdemokraten stellen in der neuen Legislaturperiode nur noch 16 der 153 Fraktionsmitglieder.
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In Berlin trat Merkel am Donnerstag mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen vor die Presse. "Als Sozialdemokratin unterstütze ich Frau von der Leyen als neue Kommissionspräsidentin", sagte diese. Das Gesamtergebnis der Verhandlungen der Regierungschefs sei gut.
Das Plan der SPD ist riskant
Bleiben die deutschen Sozialdemokraten womöglich am Schluss recht allein? Oder wenn nicht, stehen sie dann als die da, die womöglich eine Deutsche auf dem höchsten EU-Posten verhindert haben? Gehören sie also bei Sieg oder Niederlage von der Leyens zu den Verlierern? Der SPD-Politiker Geier wies am Donnerstag den Vorwurf zurück, eine Schmutzkampagne gestartet zu haben. "Wir sehen aus vielen Reaktionen, dass die Zusammenstellung in dieser Zuspitzung missverständlich als Versuch der öffentlichen persönlichen Beschädigung verstanden wird. Das war nicht beabsichtigt", teilte er mit.
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Die SPD-Spitze in Berlin jedenfalls will von all dem nichts gewusst haben. Die Parteiführung sei über die "Zusammenstellung presseöffentlicher Kritik" an von der Leyen nicht informiert gewesen, sagte der kommissarische Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und weiter: "Haltungsnoten vergeben die drei kommissarischen Vorsitzenden grundsätzlich nicht. Sie haben weder eine Zusammenstellung beauftragt noch würden sie sie jemals beauftragen."
- Nachrichtenagentur dpa