Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.EU-Urheberrechtsreform Die große Koalition zerstört unsere Zukunft
Die Urheberrechtsreform, die auch Upload-Filter vorsieht, steht kurz vor der Abstimmung. Die Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends sieht in ihr eine Gefahr für die Entwicklung Europas, schreibt sie in ihrem Gastbeitrag bei t-online.de.
Europaweit sind für das Wochenende Demonstrationen geplant. Vor allem junge Menschen kämpfen gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform. Sollte die Richtlinie nächste Woche in ihrer jetzigen Form beschlossen werden, befürchten Kritiker, dass das freie Internet wie wir es heute kennen, in Gefahr gerät.
Vor allem sogenannte Upload-Filter würden großen Unternehmen in die Hände spielen und kleinere Anbieter vom Markt drängen. Die Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends gehört zu den Kritikern. Sie hat das Gefühl, den Koalitions-Politikern sind die Stimmen der Jungen egal.
Immer wieder höre ich, dass die Parteien der großen Koalition das Gefühl für die junge Generation verloren haben. Langsam glaube ich, dass ihnen die Zukunft unseres Landes einfach egal ist. Anders kann ich mir nicht erklären, wie sie immer höhere Ausgaben beschließen können und gleichzeitig der digitalen Wirtschaft ständig Steine in den Weg legen. Wovon sollen junge Menschen die steigenden Rentenansprüche der älteren Generation bezahlen, wenn Deutschland nicht zum digitalen Wirtschaftsstandort wird?
Über Digitalisierung sprechen Politikerinnen und Politiker gerne. Digitalisierung ist die Antwort auf alles. Sie soll Arbeitsplätze schaffen und unsere Zukunft sichern. Leider handelt die Politik nicht nach ihren eigenen Worten: Außerhalb von Sonntagsreden scheint die Digitalisierung im politischen Alltag immer noch nicht angekommen. Werktags arbeitet die Politik lieber daran, den digitalen Fortschritt zu verhindern.
Jenna Behrends, geboren 1990, ist Politikerin der CDU und Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Mitte. Sie hat Jura studiert, eine journalistische Ausbildung und ist Autorin des Buches "Rabenvater Staat. Warum unsere Familienpolitik einen Neustart braucht". (Foto: Andi Weiland)
Die Richtlinie bedroht die Kunst- und Meinungsfreiheit
Seit Jahren ist klar, dass unser europäisches Urheberrecht ein Update braucht. Es stammt noch aus der Zeit vor Google und Facebook. Seit 2001 ist es nicht mehr angefasst worden. Die Kernidee der aktuellen Reformbemühungen ist gut: Urheber wie Künstlerinnen und Musiker sollen endlich am Gewinn beteiligt werden, den große Internetplattformen und Suchmaschinen mit ihren Werken machen. Das Problem ist die konkrete Umsetzung. Die Richtlinie, die Ende März beschlossen werden soll, würde Urheber im Netz nicht besser schützen, sondern im Gegenteil die Kunst- und Meinungsfreiheit bedrohen.
Es geht bei der aktuellen Richtlinie nicht um ein paar kleine Filmchen auf YouTube. Es geht um die Straßenverkehrsordnung des gesamten Internets. Neben Artikel 11, der eine Art "Linksteuer", das Leistungsschutzrecht, auf europäischer Ebene einführen soll, gab es vor allem gegen Artikel 13 große Proteste. Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram sollen zukünftig dafür haften, wenn auf ihren Plattformen Inhalte veröffentlicht werden, die Urheberrechte verletzen. In der Realität läuft das auf Uploadfilter hinaus, die schon vor der Veröffentlichung prüfen, ob möglicherweise Urheberrechte verletzt werden.
Jeder Text, jedes Video, das wir auf Twitter oder YouTube posten, müsste vorher durch diesen Filter. Nur leider haben diese Filter, die teilweise schon heute eingesetzt werden, ein Problem: Parodien und Satire vermag selbst die beste technische Lösung nicht zu erkennen. Genauso wenig kann der Filter wissen, wer tatsächlich Inhaber der Rechte ist und ob wir diese nicht sogar erworben haben. Viele legale Inhalte würden fälschlich gesperrt. Von einem freien Internet könnte nicht mehr die Rede sein.
Die Richtlinie verhindert europäische Neugründungen
Was mich besonders ärgert: Ständig fordert die Politik, dass das nächste Facebook in Europa gegründet werden solle. Aber mit der faktischen Pflicht zur Einführung von Upload-Filtern tut Brüssel alles, um europäische Neugründungen zu verhindern. Stattdessen würde die Marktmacht der Netzgiganten gestärkt. Kleine Unternehmen könnten sich die Entwicklung eigener Filterprogramme gar nicht leisten, sondern müssten die Software teuer von beispielsweise Google beziehen.
Das würde den Marktführern noch mehr Einnahmen bescheren und, vielleicht das größere Problem, Zugriff auf die Nutzerdaten ihrer kleineren Konkurrenten. Wie kleinere Plattformen es leisten sollen, tausende Lizenzvereinbarungen abzuschließen, ist mir auch nicht klar. Zwar ist eine Ausnahme für Start-Ups vorgesehen. Allerdings nur in den ersten drei Jahren nach Markteintritt. Aber welches Start-Up kann es nach drei Jahren mit Instagram aufnehmen?
Der neueste Vorschlag aus der CDU, entstanden während einer Krisensitzung, macht es auch nicht besser: Die europäischen Abgeordneten könnten doch zunächst für Uploadfilter stimmen, aber bei der Umsetzung in deutsches Recht würden die Uploadfilter dann einfach rausgelassen. Tatsächlich bietet eine europäische Richtlinie etwas Spielraum bei der nationalen Umsetzung.
Aber wieso sollte auf europäischer Ebene für eine Regelung gestimmt werden, die in Deutschland gar nicht umgesetzt wird? Was ist dann mit dem Rest der Europäischen Union? Den anderen Ländern? Dem europäischen (digitalen) Binnenmarkt, um dessen Vereinheitlichung es doch ging? Wir sollen und wollen über Grenzen hinweg kommunizieren. Gesetzlich verpflichtende Pauschallizenzen könnten Uploadfilter je nach Ausgestaltung verhindern, ja, aber sobald wir etwas posten, während wir zum Arbeiten in Frankreich sind oder etwas aus den Niederlanden oder Polen ansehen wollen, wären wir doch wieder betroffen.
Das Image der Politiker leidet unter der Debatte
Ein großer Schaden lässt sich leider bereits heute nicht mehr verhindern: Das Image der Politik hat in den vergangenen Wochen stark gelitten. Die beiden Regierungsparteien haben sich denkbar schlecht präsentiert, indem sie die Bedenken der jungen Generation nicht ernst genommen haben. Was bleibt, ist das Bild von Politikern, die keine Ahnung von ihren Themen haben und sogar lügen. Beispielsweise bezeichnete der CDU-Europaabgeordnete Axel Voss die Absender von Protestmails als Bots, weil sie ihren Google-Account nutzten, um ihm zu schreiben.
Stellen Sie sich mal vor, Politiker würden behaupten, Sie seien kein echter Mensch und Ihre Kritik damit unberechtigt, nur weil sie diese von einer T-Online-Mailadresse verschickt haben. Verständlich, dass das Netz darüber sehr verärgert war. Besonders groß war die Empörung aber, als bekannt wurde, dass hinter den Türen versucht wurde, die Abstimmung vorzuziehen, um den europaweiten Protesten am 23. März zuvorzukommen. Von der SPD-Spitzenkandidatin Katharina Barley, die im Vorfeld zwar allem zustimmte, aber es trotzdem fertig bringt, sich in der Öffentlichkeit gegen die Richtlinie zu positionieren, ganz zu schweigen.
Urheber brauchen einen wirksamen Schutz ihrer geistigen Leistung. Auch und gerade im Internet. Aber dafür gäbe es andere Lösungen, die das Netz nicht zerstören. Wir könnten über Pauschalzahlungen genauso diskutieren wie die Verbesserung des bisherigen "Notice-and-take-down"-Meldeverfahrens. Es wäre möglich sich an der "Fair Use"-Regelung der Vereinigten Staaten zu orientieren oder über die Nutzung der Blockchain-Technologie nachzudenken. Stattdessen wird in der letzten Märzwoche über Uploadfilter abgestimmt, die den größten Schaden anrichten würden.
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Wir haben noch eine knappe Woche bis zur finalen Abstimmung am 26. März über die Urheberrechtsreform. Nutzen wir sie, um das Internet und die (wirtschaftliche) Zukunft unseres Landes zu retten.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.