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Zum journalistischen Leitbild von t-online.TV-Kritik zu "Anne Will" "Das Land ist so gespalten wie 2016"
Analyse zum Brexit-Chaos bei "Anne Will": Kommt ein zweites Referendum? Oder übernimmt jetzt das Parlament die Verantwortung in der Debatte?
Die Gäste:
• Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg
• Greg Hands, Tory-Abgeordneter und ehemaliger Staatssekretär im britischen Außenhandelsministerium
• Sahra Wagenknecht (Die Linke), Fraktionsvorsitzende im Bundestag
• Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages
• Kate Connolly, Berlin-Korrespondentin von "The Guardian" und "The Observer"
Die Fronten:
Monatelang verhandelte die britische Premierministerin Theresa May das "Brexit"-Abkommen mit der EU. Jetzt ist es krachend im Parlament gescheitert, das aber zugleich keine Alternativen aufzeigte. Grund für Anne Will, bangend zu fragen, wer das drohende Chaos verhindern könne. Die Talk-Runde machte schnell klar: Die Fronten sind überaus verhärtet. Für den Tory Greg Hands war "das Hauptproblem, dass das Abkommen unvorteilhaft für Großbritannien ist". Doch Asselborn, in der Runde als Mitglied des Rats, quasi als Vertreter der EU, ließ ihn abblitzen: Die EU habe in 17 Monaten der Verhandlungen alle ihr möglichen Zugeständnisse gemacht. Ob man nicht einen Weg finden könne, dass die Briten wenigstens in der Zollunion blieben?
Da tauchte schnell die Frage auf, ob May überhaupt noch zu einer Lösung beitragen könne. Röttgen zeigte sich skeptisch: "Ich glaube nicht, dass May und die Regierung eine Mehrheit organisieren können." Da sie keine Anstalten mache, die Debatte im Parlament zu moderieren, ziehe jetzt das Parlament den Prozess an sich. Das sei ein Novum, "aber eine Chance". Wenn auch das Parlament nichts mehr beitragen könne, sei ein zweites Referendum der letzte Ausweg. Gegen diese Idee verwehrten sich Hands und Wagenknecht. "Wenn wir in den Umfragen einen deutlichen Umschwung hätten Richtung Verbleib, dann wäre es gerechtfertigt", so Wagenknecht, "aber das Land ist genauso gespalten wie 2016". Momentan führe ein neues Referendum nur zu noch mehr Wut im Brexit-Lager, weil der Eindruck entstünde, es werde so lange abgestimmt, bis das gewünschte Ergebnis erreicht sei.
- Kommentar: Die Querulanten auf der Insel
Aufreger des Abends:
Ganz zum Schluss wurde es noch mal hitzig. Kurz vor dem Ende der Sendung ging Röttgen Wagenknecht hart an und stellte sie in eine Reihe mit Hardlinern wie Boris Johnson. Grund: Die Linken-Politikerin hatte sich mehrfach EU-kritisch geäußert. "Das ist eine allgemeine Polemik gegen Europa, die Sie da ablassen!" Zuvor hatte Wagenknecht der Europäischen Union unter anderem vorgeworfen, "Lohndrückerei" zu ermöglichen.
In einem offenen Brief hatten am Samstag einige deutsche Spitzenpolitiker und Wirtschaftsvertreter die Briten aufgefordert, in der EU zu bleiben. Diese Einmischung sorgte auf der Insel für Wirbel. In einem Gastbeitrag hatte Röttgen zudem gemutmaßt, es lägen nur noch zwei Optionen auf dem Tisch: ein harter Brexit oder der Verbleib in der EU. Wagenknecht nannte Röttgens Einschätzung "billig" und kritisierte außerdem indirekt seinen Gastbeitrag. Dass sich deutsche Politiker derart in die Debatte einschalteten, sei ihrer Meinung nach unangebracht.
Auch auf Twitter schlug sich der Widerstreit nieder:
Der Faktencheck:
Laut Wagenknecht sind in Großbritannien trotz wachsender Wirtschaft die Löhne in den vergangenen acht Jahren gesunken. Sie führt das auf die Einwanderung von drei Millionen Menschen, vor allem aus Osteuropa, zurück. Auch Röttgen nannte es einen "klaren Fehler" der Briten, die Einwanderung aus anderen EU-Staaten wie Polen nicht zu beschränken. Gleichzeitig warf er Wagenknecht vor, eine "Ausbeutungsgeschichte" aus dem Thema zu machen. Tatsächlich gehen die Reallöhne auf der Insel seit Jahren zurück. Hier könnte die große Zuwanderung eine Rolle spielen. Allerdings werden auch die Inflation sowie die Unsicherheit rund um den Brexit dafür verantwortlich gemacht.
- Handelsblatt: "Reallöhne schrumpfen, Beschäftigung steigt"
- Tivot: "Reallohnentwicklung in der EU zwischen 2001 und 2016"
- Der Standard: "Brexit drückt auf Reallöhne und Unternehmen"