Misstrauensvotum wegen Brexit-Deal Theresa May will in eigener Partei um ihr Amt kämpfen
Die britische Premierministerin Theresa May will sich mit ganzer Kraft dem Misstrauensantrag in ihrer konservativen Fraktion entgegenstellen. Dem Land droht Chaos.
Wenige Stunden vor einem Misstrauensvotum in ihrer eigenen Partei hat Theresa May angekündigt, mit aller Macht gegen ihre Absetzung zu kämpfen. Ein Führungswechsel würde nichts an den Grundsätzen der Brexit-Verhandlungen und den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ändern, sagte die Premierministerin wenige Stunden vor der geplanten Abstimmung in der Regierungspartei.
Die Wahl eines neuen Parteichefs würde "die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen und Unsicherheit schaffen, wenn wir sie am wenigsten brauchen können", sagte May. Zudem könnte der geplante EU-Austritt verzögert oder gar ganz verhindert werden.
May muss sich noch am Mittwochabend einer Misstrauensabstimmung um ihr Amt als Chefin der konservativen Regierungspartei (Tories) stellen. Das hatte kurz zuvor der Vorsitzende eines einflussreichen Parteikomitees, Graham Brady, mitgeteilt. Sollte May die Abstimmung verlieren, wäre auch ihr Posten als Premierministerin nicht mehr zu halten. Ihre am Mittwoch geplante Irland-Reise sagte May ab.
Ergebnis noch am Mittwochabend
Die Abstimmung soll zwischen 19 und 21 Uhr deutscher Zeit erfolgen. Danach wird das Ergebnis noch am Abend veröffentlicht, wie der Vorsitzende des sogenannten 1922-Komitees weiter mitteilte.
Für den Mittag war noch die wöchentliche Fragestunde im Parlament vorgesehen. Für May dürfte das einer der schwierigsten Auftritte vor den Abgeordneten werden. Gleichzeitig hat sie dabei Gelegenheit, um Unterstützung zu werben. Rückhalt erhielt May am Mittwoch von mehreren ihrer Kabinettsmitglieder. "Die Premierministerin hat meine volle Unterstützung und ist die beste Person, um sicherzustellen, dass wir die EU am 29. März verlassen", sagte Innenminister Sajid Javid.
Hinter dem Misstrauensantrag stehen wohl hauptsächlich die Brexit-Hardliner in ihrer Fraktion um den erzkonservativen Hinterbänkler Jacob Rees-Mogg. "Das Land braucht einen neuen Anführer. Es ist Zeit, dass Mrs. May zurücktritt", schrieb er am Mittwoch auf Twitter. Rees-Mogg hatte der Premierministerin bereits kurz nach der Veröffentlichung des Brexit-Abkommens sein Misstrauen ausgesprochen. Ein erster Versuch, die für eine Abstimmung notwendigen 48 Misstrauensbriefe zusammenzubekommen, war aber gescheitert. Rees-Mogg steht einer Gruppe von rund 80 Abgeordneten vor.
Unklare Mehrheitsverhältnisse
Unklar ist, ob die Rebellen May wirklich stürzen können. Sie brauchen dafür eine Mehrheit der 315 konservativen Abgeordneten. Eine Misstrauensabstimmung kann nur einmal in zwölf Monaten stattfinden. Sollte May als Siegerin aus der Abstimmung hervorgehen, wäre ihre Position zunächst gefestigt. Dennoch wird ihre Situation dadurch erheblich schwieriger. Die Wahrscheinlichkeit, dass May die zerstrittene Fraktion danach wieder hinter sich vereinen kann, gilt als verschwindend gering.
Ein weiteres Problem ist, dass May mit ihrer Minderheitsregierung auf die Stimmen der nordirischen DUP angewiesen ist. Auf deren Unterstützung kann sie aber nicht mehr zählen. Die DUP lehnt das mit Brüssel vereinbarte Abkommen vehement ab. Vor allem die als Backstop bezeichnete Garantie, dass keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland stattfinden sollen, stößt auf heftigen Widerstand. Der Backstop müsse aus dem Abkommen entfernt werden, sagte DUP-Chefin Arlene Foster am Mittwoch.
Sollte May die Misstrauensabstimmung verlieren, müsste der Parteivorsitz rasch neu besetzt werden. Das geschieht in einem separaten Auswahlverfahren, an dem May nicht mehr teilnehmen dürfte. Einigt sich die Fraktion auf einen Kandidaten, kann das innerhalb von Tagen geschehen. Gibt es mehrere Bewerber, wird solange gewählt, bis nur noch zwei Kandidaten übrig sind. Sie müssten sich dann einer Urwahl unter der Parteimitgliedern stellen. Diese Prozedur dauert mehrere Wochen.
Sollte es zu der Urwahl kommen, gilt es als ausgemacht, dass derjenige gewinnt, der den härteren Brexit-Kurs vertritt. Die konservative Parteibasis gilt als überwiegend EU-skeptisch. Die Fraktion gilt dagegen als überwiegend EU-freundlich.
Fraglich ist, ob der Posten rechtzeitig neu besetzt werden könnte, um den EU-Austritt wie geplant am 29. März zu vollziehen. Spekuliert wird daher bereits, Großbritannien könnte eine Verlängerung der Frist beantragen.
Kritik von deutscher Partnerpartei
Ausgelöst wurde der Putschversuch durch den Streit über das Brexit-Abkommen, das die Unterhändler Großbritanniens und der EU in Brüssel ausgehandelt hatten. Die Brexit-Hardliner um Rees-Mogg fürchten, dass Großbritannien durch das Abkommen dauerhaft eng an die Europäische Union gebunden wird. Am 29. März scheidet das Land aus der Staatengemeinschaft aus.
May hatte eine für Dienstag angesetzte Abstimmung über ihren Brexit-Deal auf Eis gelegt, weil sie auf eine sichere Niederlage zusteuerte. Das brachte nun das Fass zum Überlaufen.
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Scharfe Kritik an der Misstrauensabstimmung kam vom CSU-Europapolitiker Markus Ferber. "Dass die Verantwortlichen in Westminister mitten in der entscheidenden Verhandlungsphase die Premierministerin stürzen wollen, ist an Absurdität nicht zu überbieten", erklärte der Europaabgeordnete. Auch ein neuer britischer Regierungschef werde kein besseres Brexit-Angebot von der Europäischen Union bekommen. "Es gibt im Prinzip zwei Optionen: einen geordneten Austritt oder Chaos", warnte Ferber. "Die Briten müssen sich nun endlich am Riemen reißen", mahnte er.
- dpa