EU-Strafverfahren droht Orban macht im Streit mit Europa keine Zugeständnisse
Das Europaparlament stimmt am Mittwoch über ein Strafverfahren gegen Ungarn ab. Dem Land droht der Entzug des Stimmrechts im EU-Rat. Ministerpräsident Orban lenkt nicht ein – er bleibt bei seiner harten Linie gegen Flüchtlinge.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat kurz vor einer Abstimmung über ein mögliches EU-Strafverfahren gegen sein Land Hoffnungen auf einen politischen Kurswechsel enttäuscht. "Ungarn wird seine Grenzen weiter verteidigen, wird die illegalen Migranten stoppen und seine Rechte verteidigen, im Notfall auch Ihnen gegenüber", sagte der rechtsnationale Regierungschef am Dienstag vor den Abgeordneten des EU-Parlaments in Straßburg. Mit dem drohenden Rechtsstaatsverfahren solle sein Volk dafür verurteilt werden, dass es Ungarn nicht zu einem Einwanderungsland machen wolle.
Orban äußerte sich einen Tag vor der am Mittwoch anstehenden Abstimmung des Europaparlaments über einen kritischen Bericht der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini. Darin wird eine "systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte" in Ungarn anprangert.
Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit könnte das Parlament auf Basis dieses Textes gegen Ungarn ein EU-Strafverfahren einleiten. Dann müsste sich im nächsten Schritt der Rat der Mitgliedsländer damit befassen - wie schon im Fall von Polen. Das Rechtsstaatsverfahren kann im äußersten Fall dazu führen, dass Ungarn im EU-Ministerrat Stimmrechte verliert.
Ungarns Umgang mit Flüchtlingen ist umstritten
Besonders umstritten ist Ungarns Umgang mit Flüchtlingen. Wegen seiner restriktiven Asylpolitik laufen gegen das Land bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren der EU - unter anderem weil die Regierung sich weigert, Flüchtlinge aus Italien und Griechenland zu übernehmen.
Auch neue Gesetze, die die Arbeit von Nicht-Regierungs-Organisation erschweren, stehen in der Kritik. Ein weiterer Zankapfel ist das Schicksal der von US-Milliardär George Soros gegründeten Central European University, die aufgrund von Gesetzesänderungen von der Schließung bedroht ist. Die EVP-Fraktion, zu der auch Orbans rechtsnationale Fidesz-Partei gehört, hatte Orban vorab zu Zugeständnissen aufgefordert, um das Rechtsstaatsverfahren noch abzuwenden.
Orban zeigte sich in seiner Rede jedoch überzeugt, das Urteil des Straßburger Parlaments stehe bereits fest. Sein Land habe vor allem in der Migrationsfrage eine diametral andere Ansicht als andere Staaten. Unterschiedliche Ansichten dürften aber nicht der Grund sein, Länder abzustempeln. Europa sei drauf und dran, seine eigenen Grenzwächter zu verurteilen, sagte Orban. Der Bericht von Sargentini weise zahlreiche Fehler auf.
Der Vorsitzende der EVP im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), erwiderte auf die Rede seines Parteifreunds, Europa müsse sich nun selbst seiner Werte vergewissern. Wenn Ungarn nicht zu Zugeständnissen bereit sei, könnte der Start eines Strafverfahrens nach Artikel 7 nötig sein.
Orban kritisiert EVP
Unmittelbar nach der Debatte im Europaparlament trat Orban kritisierte Orban dann die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) bei einer Pressekonferenz. Die EVP, der die CDU, die CSU und Orbans rechts-nationale Regierungspartei Fidesz angehören, habe "ihren Charakter und ihren eigenen Willen verloren", erklärte der Politiker.
"Sie ist ständig vorsichtig, laviert herum und tanzt praktisch nach der Pfeife der Liberalen und Sozialisten", sagte er. "Ich möchte die EVP reformieren, damit sie wieder zu dem Mut zurückfindet, wie ihn Helmut Kohl verkörpert hat."
"Treten Sie dem Brexit-Club bei"
Die EVP-Fraktion wollte sich am Dienstagabend beraten, ob sie mit einer gemeinsamen Position in die Abstimmung geht. Von den Stimmen der größten Fraktion im Parlament könnte entscheidend abhängen, ob die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit für ein Auslösen des Verfahrens erreicht wird. Die EVP war zuletzt immer wieder für ihre nicht eindeutige Position gegenüber Orban und dessen nationalistischem Kurs kritisiert worden - unter anderem von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron.
Vor seiner Rede wurde Orban im Parlament von verschiedenen Seiten scharf attackiert. Er mache NGOs das Leben schwer, habe unliebsame Richter durch regierungstreue ausgetauscht und kritische Medien zum Schweigen gebracht, sagte Berichterstatterin Sargentini. Das Parlament müsse jetzt die Notbremse ziehen. "Werden Sie sicherstellen, dass die Werte dieser Union mehr sind als nur Worte auf einem Stück Papier?", rief sie den Abgeordneten zu.
Von EU-Vizepräsident Frans Timmermans bekam sie Unterstützung. Nicht nur das Parlament, auch die Kommission sei Wächterin der Verträge, sagte der Niederländer. "Mein Versprechen an Sie ist, dass wir unnachgiebig sein werden."
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Orban bekam derweil Rückendeckung vom ehemaligen Chef der EU-feindlichen britischen Partei Ukip, Nigel Farage. "Kommen Sie und treten Sie dem Brexit-Club bei", sagte er an den Regierungschef gewandt. "Sie werden es lieben."
Sollte das Verfahren ausgelöst werden, scheint ein Ausschluss der Fidesz aus der EVP möglich. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte am Montagabend dem Sender ORF, das wäre ein "sehr normaler Vorgang". Österreichs Vize-Kanzler und FPÖ-Chef Christian Strache bot Orban am Dienstag eine Zusammenarbeit an. Straches FPÖ ist derzeit Mitglied der Rechtsaußenfraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (EFN).
- dpa