Streit bei Jauch-Talk Varoufakis' Stinkefinger erhitzt die Gemüter
Der "Euro-Schreck" ganz zahm: Gianis Varoufakis hat Deutschland und Europa die Hand gereicht. Nachdem der Schuldenstreit zwischen Deutschland und Griechenland im Lauf der Woche eskaliert war, ging der Athener Finanzminister im Sonntagabend-Talk bei Günther Jauch auf Kuschelkurs und beschwor die europäische Einheit. Ein Video erregte allerdings die Gemüter.
Stein des Anstoßes war ein Finger: der erhobene Mittelfinger von Varoufakis. Diesen soll der 53-jährige Wirtschaftswissenschaftler bei einer Konferenz im Mai 2013 in Richtung Deutschland gezeigt haben. Die Jauch-Redaktion zeigte Ausschnitte des Vortrags in einem Einspieler. Dort sagte Varoufakis auf eine Frage aus dem Publikum zur Rolle Griechenlands in der Krise wörtlich: "Ich habe den Vorschlag gemacht, dass die griechische Regierung sich einfach für insolvent erklären sollte - so wie es Argentinien gemacht hat - innerhalb der Euro-Zone, im Januar 2010. Und sie sollte Deutschland den Finger zeigen und sagen: 'Ihr könnt das Problem jetzt alleine lösen'."
Doch Varoufakis setzte sich zur Wehr: "Das Video wurde bearbeitet." Das Stinkefinger-Video: eine Fälschung? "Das ist so montiert worden, ich habe so etwas nie gemacht. Ich schäme mich dafür, dass man mir das zutraut", sagte der live zugeschaltete Syriza-Politiker in der ARD.
Jauch reißt den Stinkefinger aus dem Kontext
Die Gäste im Gasometer hatten ihren Zweifel an dem Fake-Vorwurf: Bayerns Finanzminister Markus Söder, "taz"-Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Herrmann und "Bild"-Kolumnist Ernst Elitz. Doch auch als Jauch nachhakte, beharrte Varoufakis auf seiner Position: "Der Finger ist reinmontiert worden. Das sage ich Ihnen ohne jeden Zweifel. Nehmen Sie es einfach hin. Das hat es nicht gegeben." Die Jauch-Redaktion hat das Video daraufhin auf Echtheit überprüft und keine Anzeichen für Manipulation gefunden.
Ob der erhobene Mittelfinger nun tatsächlich einer Bildbearbeitung entsprang oder nicht: Jauch stellte den verkürzte gezeigten Ausschnitt der Rede von 2013 und somit die Worte und Gesten Varoufakis' in einen falschen Kontext. Varoufakis, damals noch scharfer Kritiker der griechischen Regierung, erklärte, anstelle Athens hätte er so wie Argentinien 2010 den Weg in den Staatsbankrott gewählt und Deutschland "den Finger gezeigt". Der verantwortliche NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz gab auf Twitter zu: "Dass er (Varoufakis) sich auf 2010 bezog, hätte man allerdings sagen sollen."
Varoufakis hätte also gar nicht die eher fragwürdige Fälschungs-Diskussion anstoßen müssen. Er hätte lediglich auf eine historisch korrekte Einordnung bestehen sollen. Damit hat er sich keinen Gefallen getan. Denn ansonsten war der als "Querulant" und "Provokateur" angekündigte Grieche gar nicht auf Krawall aus. Zumindest nicht an diesem Abend.
"Unbedeutende Liquiditätsprobleme"
Varoufakis schlug versöhnliche Töne an und zeigte sich auf dem Höhepunkte der Euro-Krise zuversichtlich. "Wir wollen nicht, dass uns unbedeutende Liquiditätsprobleme auseinanderbringen", sagte der Finanzminister. Er rechne damit, dass sein Land die immensen Haushaltsprobleme in den Griff bekommt und alle Gläubiger sowie griechische Rentner und öffentliche Angestellte die fälligen Zahlungen erhalten. Wie bei so vielen seiner wohl überlegten Antworten an diesem Abend betonte er auch hier die Bedeutung des "Hauses Europa".
In den vergangenen Jahren sei viel Schaden angerichtet worden, doch "Europa ist unsere Heimat", so der Syriza-Politiker, der sehr auf Höflichkeit bedacht war. "Wir haben die moralische Verpflichtung, dafür zu sorgen, das Projekt Europa am Leben zu halten", sagte er und träumte von den "Vereinigten Staaten von Europa".
"Der Finanzminister hat Weichspüler geschluckt"
Von dieser Einheit sind laut dem aktuellen "ZDF-Politbarometer" die meisten Deutschen nicht mehr überzeugt. 52 Prozent sprechen sich demnach gegen einen Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone aus. Weiter halten 80 Prozent die griechische Politik für unseriös. Und auch CSU-Politiker Söder fällt Vertrauen in die griechische Politik "schon sehr schwer". Der in den letzten Wochen zur Schau gestellte Stil sei nicht angemessen. "Wir sind hilfsbereit, aber sorry, naiv sind wir auch nicht", polterte Söder. Athen müsse seine Schulden zurückzahlen, "und nicht Deutschland für alle". Söder mahnte an, nun endlich die nötigen Reformen in Griechenland zu forcieren, statt so "viele Interviews" zu geben.
Angesichts des Ärgers um eine Homestory des griechischen Ministers sicher ein Treffer im verbalen Polit-Scharmützel, mancher Beobachter dürfte sich aber über den Absender ausgerechnet dieser Kritik durchaus wundern. Eine derbe Breitseite gegen Varoufakis verteilte auch Elitz: "Ich glaube, dass der Finanzminister in Athen heute mehrere Weichspüler geschluckt hat oder sehr viel Kreide gefressen hat." Für den Journalisten habe die griechische Regierung genug Zeit gehabt, das Ruder herumzureißen. Doch die Hilfsgelder seien "in Schwarze Löcher geflossen".
Auf das Herz abgezielt
An diesem Punkt widersprach Herrmann: "Es waren keine Schwarzen Löcher, sondern deutsche Banken", stellte die "taz"-Autorin richtig und erklärte, dass die Kredite an Griechenland gewährt wurden, damit das Geld zurück an die deutschen Banken fließen konnte. Angesichts des enormen griechischen Schuldenbergs von rund 320 Milliarden Euro konstatierte sie klipp und klar: "Das Geld ist weg."
Jauch leitete die Frage an Varoufakis weiter: "Ist das Geld weg?" Doch obwohl der eloquente Minister betonte, "ganz präzise" antworten zu wollen, wich er einer klaren Antwort aus. Der Eindruck verfestigte sich, dass der Grieche sich in der 60-minütigen Sendung weniger den Fakten als den Emotionen widmen wollte. Sein Appell richtete sich an ganz Europa, Deutschland und all seine Bürger aber besonders: "Helft uns wachsen, damit wir Schulden zurückzahlen können."
Distanzierung von Kammenos
Dabei bat Varoufakis die Deutschen um Nachsicht und Geduld. Die neue Regierung, die erst sieben Wochen im Amt ist, habe mit Verhältnissen zu kämpfen, die schwieriger seien, als womöglich von außen zu erkennen: "Der Hunger greift um sich. Kinder werden in der Schule ohnmächtig, weil sie nicht genug zu essen bekommen." Mehrfach betonte er, dass er nicht für die Regierungen vergangener Jahre stehe, und kündigte an, Ergebnisse zu liefern, auch wenn er damit vor allem von Söder und Elitz Skepsis erntete.
Der meist genannte Begriff in Varoufakis' Rhetorikarsenal war "Europa". Immer wieder bekannte er sich zur europäischen Gemeinschaft und zur Freundschaft mit den Deutschen. Dabei distanzierte er sich auch deutlich von den Äußerungen des rechten Verteidigungsministers Panos Kammenos. Die Attacken gegen Schäuble und die Drohung, Terroristen den Weg nach Mitteleuropa zu öffnen, seien "sicher nicht" der richtige Ton, so Varoufakis: "Wenn er das gesagt hat, distanziere ich mich davon und verurteile es. Geht's noch deutlicher?"
Ein Euro als symbolische Reparationszahlung
Letztendlich schwächte er sogar die Forderungen seines Ministerpräsidenten Alexis Tsipras nach Reparationszahlungen etwas ab. Der hatte von Deutschland Reparationszahlungen für NS-Kriegsverbrechen sowie die Rückzahlung eines Zwangskredites aus dem Zweiten Weltkrieg gefordert, obwohl dieser Streit als juristisch geklärt gilt. Die Runde bei Jauch war sich einig, dass eine Verknüpfung dieser historischen Frage mit der aktuellen Wirtschaftskrise falsch sei.
Entsprechend versöhnlich zeigte sich Varoufakis auch hier: "Da geht es nicht um Geld, das ist eine moralische Frage", sagte er und schlug gar die symbolische Zahlung von "zumindest einem Euro" vor. Und als Medienprofi zog der griechische Minister kurz vor Sendungsende dann noch ein weiteres Mal die Friedenspfeife hervor: "Wir sind alle Bewohner desselben Hauses."
Getoppt wurde er dennoch, denn Jauch verlas eine Zuschauerzuschrift eines Griechen, die mit den Worten endete: "Unsere Nationen waren und werden immer Freunde sein." Versöhnung, Verständnis, Verbundenheit – ob für mehr als einen Talk-Abend, werden Varoufakis und die Politik in den kommenden hochbrisanten Wochen unter Beweis stellen müssen.