Europäische Union Papandreous "Flucht nach vorne"
Mit der Entscheidung, das griechische Volk über die Euro-Rettungspläne abstimmen zu lassen, setzt Ministerpräsident Giorgos Papandreou alles auf eine Karte. Doch während etwa FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle den Staatsbankrott schon fast als ausgemachte Sache bezeichnet, lobt die Opposition Papandreous "Flucht nach vorne". Der Premier beweise Mut beim Versuch, die Bevölkerung doch noch von der Notwendigkeit zu überzeugen, Griechenland zu reformieren, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin.
Ein neues Griechenland-Paket werde nur dann von der Bevölkerung akzeptiert, wenn klar sei, dass das Land dadurch wirtschaftlich und sozial wieder auf die Beine kommen soll - "und nicht nur darum, stumpf bei Pensionen und Gehältern zu sparen", sagte Trittin.
"Blockadepolitik der Konservativen" durchbrechen
Zudem verwies der Grünen-Politiker auf die Rolle der griechischen Konservativen, die das Desaster im wesentlichen mit verursacht hätten, sich nun aber nicht an den Aufräumarbeiten beteiligten. Diese "Blockadepolitik der konservativen Opposition" versuche Papandreou nun offenbar zu durchbrechen, sagte der SPD-Europapolitiker Martin Schulz. Der Ministerpräsident wolle sich nun ein Mandat vom Volk für seine Politik holen. "Das kann ich nachvollziehen", so Schulz.
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, die konservative Opposition in Griechenland zu einer Aufgabe ihres Blockadekurses zu bewegen. "Jetzt ist auch Frau Merkel gefragt", erklärte Gabriel. "Wenn sie ihre Parteifreunde in Griechenland von der Notwendigkeit der eingeleiteten Reformschritte überzeugt, braucht Europa weder eine Volksabstimmung noch die Vertrauensfrage von Herrn Papandreou zu fürchten."
Griechenland-Forscher Hubert Heinelt von der Universität Darmstadt bezeichnete den Schritt Papandreous als klugen Schachzug. Bei allem Risiko sei die Maßnahme richtig. "Er braucht das Votum der Bevölkerung für die Umsetzung weiterer Konsolidierungsmaßnahmen", sagte Heinelt. "Seine Mehrheit im Parlament ist ja deutlich geschrumpft." Das Referendum sei daher eine "wichtige Legitimation" für weitere Reformen.
Die Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel von der FU Berlin nannte Papandreous Schritt ebenfalls konsequent. "Jetzt ein für alle Mal eine Klärung herbeizuführen ist so verkehrt nicht. Weil er damit die Griechen zwingt, Farbe zu bekennen." Den Zeitpunkt hält Börzel allerdings nicht für optimal. "Im Prinzip hätte man das Referendum gleich am Anfang machen müssen, als die Generalstreiks losgingen."
Was den Ausgang der Volksabstimmung angeht, legt sich die Politologin nicht fest. Zwar seien 60 Prozent der Griechen gegen die Auflagen. Aber wenn es um die Frage gehe, ob das Land in der EU bleibe oder nicht, werde die Abstimmung etwas anders ausgehen. "Ich vermute mal, dass Papandreou genug Vertrauen in die Vernunft der Griechen hat. Es gibt keine Alternative", sagte Börzel.
Papandreous Mehrheit im Parlament schrumpft
Die ohnehin schon knappe Parlamentsmehrheit des griechischen Ministerpräsidenten schmolz derweil weiter zusammen. Die sozialistische Abgeordnete Milena Apostolaki erklärte aus Protest gegen die Referendums-Pläne ihren Austritt aus der Fraktion. Sie wolle als unabhängige Abgeordnete weiterarbeiten. Damit verfügt Papandreou rechnerisch nur noch über eine Mehrheit von zwei Sitzen im Abgeordnetenhaus.
Da Papandreou am Freitag zudem die Vertrauensfrage stellen will, droht dem Regierungschef somit die nächste Zitterpartie. Die Informationen über das geplante Referendum sind zudem noch extrem dünn. So stehen weder der Zeitpunkt fest, noch die Frage, die die Griechen letztlich beantworten sollen. Finanzminister Evangelos Venizelos deutete an, das Referendum könne Anfang des kommenden Jahres abgehalten werden.
Nach einem neuen Gesetz, das erst im vergangenen Monat verabschiedet wurde, kann ein Referendum über Themen von großer nationaler Bedeutung angesetzt werden. Allerdings fragten Kritiker, warum Papandreou über die Gipfelbeschlüsse abstimmen lassen will, darauf aber nach der Verabschiedung des ersten Rettungspakets im vergangenen Jahr verzichtet hatte.
Der griechische Ministerrat kam am Abend in Athen zu einer Krisensitzung zusammen. Einige Beobachter halten sogar einen Rücktritt der Regierung für möglich. Andere sind der Ansicht, dass die Regierung erst am kommenden Freitag bei der Vertrauensfrage fallen könnte.
Auch mehrere EU-Partner reagierten mit Kritik auf die Ankündigung. "Die Geste der Griechen ist irrational und für sie selbst sehr gefährlich", hieß es etwas in einer Stellungnahme der französischen Regierung. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi sagte, die Ankündigung Athens sei "unerwartet" und habe wenige Tage nach dem Durchbruch beim Euro-Krisengipfel wieder "Unsicherheit" an den Finanzmärkten geschaffen. Auch Spaniens Regierung sprach von "keiner guten Nachricht für Europa".
Krisengipfel am Mittwoch in Cannes
Bundeskanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Sarkozy werden sich überraschend bereits am Mittwoch in Cannes treffen. Wie die Regierung mitteilte, soll bereits am Abend eine Konsultationsrunde mit den europäischen Institutionen und dem IWF stattfinden. Außerdem ist ein Treffen mit der griechischen Regierung geplant.
Mit einem Kurssturz reagierten unterdessen die Aktienmärkte auf die Nachrichten aus Athen. Der Dax sackte um 5,62 Prozent ab auf 5795 Punkte. Das war der größte Kursrutsch seit dem 18. August. Der MDax fiel um 4,71 Prozent auf 8648 Punkte und der TecDax gab 5,15 Prozent ab auf 669 Punkte.
Für Linken-Parteichef Klaus Ernst zeige das Einbrechen der Börsenkurse, dass "Demokratie und Finanzmarktkapitalismus nicht miteinander vereinbar" seien. Sein Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete das Referendum als ein wichtiges Signal, die Griechen erstmals in die Euro-Rettungspolitik einzubeziehen.
Und der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linke) formulierte sein "völliges Unverständnis" für das "Demokratieverständnis der meisten europäischen Politiker, die mit Blick auf die Finanzmärkte vor einem Referendum warnen und sich so den Finanzmärkten unterwerfen".