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Die europäische Asylreform: Ein wahrhaft historischer Tag für den Kontinent


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Europäische Asylregelung
Deutschlands erfreuliche Niederlage


20.12.2023Lesedauer: 3 Min.
Lampedusa: Migranten helfen sich gegenseitig, als sie ein überfülltes Aufnahmezentrum verlassen.Vergrößern des Bildes
Lampedusa: Migranten helfen einander, als sie ein überfülltes Aufnahmezentrum verlassen. (Quelle: Cecilia Fabiano)

Innenministerin Faeser wollte einst Europas Asylpolitik nach deutschem Vorbild bauen. Jetzt ist das Gegenteil eingetreten. Eine historische Chance, das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung wieder zu stärken – und die AfD kleinzukriegen.

War nicht alles falsch, was der alte Marx aufgeschrieben hat. Das Sein bestimmt nämlich in der Tat das Bewusstsein. Zum Beispiel bei der deutschen Bundesinnenministerin. Sie trat ihr Amt an mit dem festen Vorsatz, das deutsche Asylrecht und die deutsche Asylpraxis zur Vorlage für ein europäisches Asylsystem zu nehmen.

Was sie glauben ließ, das könne gelingen, wird ihr Geheimnis bleiben. Jedenfalls haben sowohl die Wirklichkeit (weiter anschwellende Flüchtlingsströme vor allem nach Deutschland) als auch der harte Widerstand aller, aber auch wirklich aller EU-Partner Nancy Faeser (SPD) zu einer anderen, restriktiven Linie einer kontrollierten Migration gezwungen.

Im Sommer schon musste sie dem gemeinsamen Vorhaben mit der Handschrift aller anderen EU-Länder zustimmen, auch wenn zu Hause in der Ampelkoalition die Grünen und auch Teile ihrer Sozialdemokraten den Aufstand dagegen probten. Nun haben die Fachleute in Brüssel den europäischen Asylkompromiss mit allen Details unter Dach und Fach gebracht.

Video | EU spricht zur Reform des Asylsystems
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Quelle: dpa

So konnte das nicht weitergehen

Die Eckpunkte dabei sind: Mehr Schutz der Außengrenzen gegen unberechtigte Zuwanderung, Prüfung des Rechts auf Asyl noch vor Betreten europäischen Bodens, die Möglichkeit, Asylbewerber in sichere Drittstaaten zu bringen, um dort das Ergebnis des Verfahrens abzuwarten. Und schließlich die Vereinbarung, die Migranten fairer unter den Mitgliedsstaaten zu verteilen. Mit dem Zusatz: Wer keine nimmt, zahlt.

All das ist richtig. Europa, die Europäische Union, wäre unter dem weiteren Druck der illegalen Zuwanderung zu Bruch gegangen. Institutionell, finanziell und politisch. Es ist gut, dass die anderen EU-Länder Deutschland den Weg gewiesen haben. Anders wäre das alles nicht mehr weiter- und auch nicht mehr lange gutgegangen.

Deshalb, auch wenn man mit dem Wort so sorgsam umgehen sollte wie mit Chili beim Kochen, ist das ein historischer Augenblick. Seit bald zehn Jahren versucht sich die Europäische Union daran, dieses Problem in den Griff zu bekommen, das auch hierzulande die erste Sorge der Bürgerinnen und Bürger ist. Viel zu lange mussten sie den berechtigten Eindruck haben, dass die Politik hier die Kontrolle verloren hat. Und nichts ist politisch fataler als das. Genau deshalb steht die unselige AfD hierzulande bei derzeit 23 Prozent, in manchen Bundesländern noch weit höher. Wird der gefundene europäische Asylweg zum Erfolg, könnte das – hoffentlich! – auch positive Auswirkungen auf Deutschland haben.

Der Praxistest steht allerdings noch aus. Und da lauern nicht bloß beim Schutz der Außengrenzen und der "Ruanda"-Idee noch Schlaglöcher auf der Strecke. Das größte Problem dürfte sich ergeben, wenn die erste Runde der Verteilung neuer anerkannter Asylbewerber ansteht.

Es ist unvergessen, wie sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach den Folgen ihrer schicksalsergebenen Flüchtlingspolitik (wörtlich bei Anne Will: "Es liegt nicht in unserer Hand, wie viele noch zu uns kommen") bei ihrer Lieblingsbefragerin schnodderig äußerte: Nun müsse man eben dafür sorgen, dass die anderen Länder Deutschland Flüchtlinge abnähmen.

Was macht Ungarn?

Leere Worte, hohle Phrase. Kaum ein Migrant ist seither von Deutschland aus woanders hin verteilt worden. Und auch jetzt bleibt beim Gebaren etwa des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán fraglich, ob alle Länder, die keine Migranten aufnehmen wollen, so einfach die Ablasszahlung dafür in Kauf nehmen.

Solidarität ist auf dem Papier immer einfacher als in der Praxis. Und wenn einer wie Orbán wie zuletzt bei einer wichtigen Abstimmung im Rat einfach vor die Tür geht (und dort über soziale Netzwerke auch noch pestet gegen das, was im Saal vor sich geht), dann könnte das ein Vorzeichen dafür sein, was in der Frage noch auf die Gemeinschaft der Staaten zukommt.

Ein Lichtblick dabei: Der neue polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Dem langjährigen EU-Ratspräsidenten ist abzunehmen und zuzutrauen, dass er Polen zurück auf einen dezidiert pro-europäischen Weg zurückführt. Das bedeutet aber ganz konkret, dass er seiner katholischen Bevölkerung klarmachen muss, dass sich künftig mehr Menschen anderen Glaubens und anderer Hautfarbe in den Straßen von Warschau und Krakau wiederfinden werden. Und das im günstigsten Fall, ohne angefeindet, sondern als Personen mit überprüft berechtigtem Schutzstatus als neue polnische Mitbürger willkommen geheißen zu werden.

Verwendete Quellen
  • Agenturmeldungen, eigene Beobachtungen
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