Ernährungssicherheit Weniger Fleisch bedeutet weniger Hunger
Der Krieg in der Ukraine hinterlässt seine Spuren auf dem Teller: In Nahost und Afrika drohen Nahrungsmittelkrisen, weil der ukrainische Weizen nicht mehr kommt. Was sich von Deutschland aus gegen den Hunger tun lässt.
Die Silos sind voll, die Getreidefrachter auch. Doch von den Millionen Tonnen Weizen, die in der Ukraine für den Export bereitliegen, geht nichts mehr hinaus in die Welt. Der Krieg hat das Land, das als eine der größten Kornkammern der Erde gilt, vom Weltmarkt abgeschnitten. Und löst damit eine lebensgefährliche Kettenreaktion aus.
Gerade dort, wo viele Menschen wegen Dürren, Starkregen und Kriegen bereits von Hunger bedroht sind, werden Brot und andere wichtige Getreideprodukte wegen der Lieferausfälle immer knapper und teurer. Zahlreichen Ländern im Nahen Osten und in Afrika droht deshalb nun eine Hungerkrise.
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Im Interview mit Nico Dannenberger von "Wissenschaft im Dialog" erklärt Agrarexperte Florian Freund, wie weniger Fleischverzehr in reichen Staaten zu volleren Mägen in anderen Teilen der Erde führt. Und was schimmeliges Toast mit der Welternährung zu tun hat.
Nico Dannenberger: Wegen der aktuellen Turbulenzen auf den globalen Getreidemärkten drohen in verschiedenen Ländern gerade Hungersnöte. Was kann man hierzulande individuell tun, um einen Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherheit zu leisten?
Florian Freund: Es gibt zwei zentrale Hebel. Eine Umstellung auf eine stärker pflanzenbasierte Ernährung und ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln. Allein in den deutschen Haushalten werden durchschnittlich 25 Prozent der gekauften Getreideprodukte weggeschmissen. Hier anzusetzen, wäre ein sehr wichtiger Beitrag, der verhältnismäßig einfach umzusetzen ist. Denn weniger Lebensmittelverschwendung würde kurzfristig dazu führen, dass mehr Getreide freigesetzt wird, was dann woanders verwendet und global besser verteilt werden könnte.
Abhängigkeit von ukrainischem Weizen: Der Nahe Osten und zahlreiche Staaten in Afrika importieren normalerweise bis zur Hälfte ihres Weizens aus der Ukraine: Im Jemen kamen noch Anfang des Jahres rund 40 Prozent aus dem nun umkämpften Land, in Ägypten stammten bisher 80 Prozent des Weizens aus der Ukraine und aus Russland. Nun sind die wichtigen Häfen am Schwarzen Meer, der Weizentransport über Land kompliziert. Die EU will zwar eine "Getreidebrücke" über das Schienennetz organisieren. Doch wann die ersten Züge rollen können, ist unklar.
Etwas weniger einfach umzusetzen ist eine dauerhafte Umstellung der Ernährung. Warum halten Sie das im Sinne der weltweiten Ernährungssicherheit dennoch für so wichtig?
Eine Umstellung der Ernährung hätte einen so großen Effekt, weil der Konsum von tierischen Produkten eine relativ ineffiziente Art der Ernährung ist: Für eine Kalorie Rindfleisch braucht es die siebenfache Kalorienmenge an Futter – das ist ein enormer Ressourceneinsatz. Bei Schweinen und Geflügel ist das Verhältnis zwar etwas geringer, aber dennoch ist es sehr ressourcenintensiv.
Von der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland werden allein 60 Prozent für den Anbau von Futtermitteln verwendet und nur 22 Prozent direkt für die Produktion von Lebensmitteln. Wenn man die Produktion von Nahrungsmitteln also erhöhen möchte, ist das der zentrale Ansatzpunkt und deutlich zielführender, als beispielsweise für Biodiversität zurückgehaltene Flächen jetzt noch für die Futtermittelproduktion freizugeben, wie es die EU und Deutschland als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine getan haben.
Welche kurzfristigen Effekte hätte eine Reduzierung des Fleischkonsums auf die angespannte Lage?
Oftmals wird argumentiert, der Verzicht auf Fleisch und tierische Produkte würde kurzfristig nichts bringen. Das ist aber nicht ganz richtig. Man würde die Effekte recht schnell in den absoluten Tierzahlen sehen – insbesondere bei Geflügel, weil es eben nur eine sehr kurze Zeit aufgezogen und gemästet wird. In der Schweinehaltung würde es wohl bis zu einem Jahr und bei der Rinderhaltung etwa eineinhalb Jahre dauern, bis eine Reduzierung des Fleischkonsums Effekte zeigen würde. Die Preise würden wegen der geringeren Nachfrage sinken, was den Anbietern signalisieren sollte, entsprechend weniger zu produzieren.
Wie stark würden diese Effekte wirken?
Wenn global gesehen die Tierproduktion um 10 Prozent abnehmen würde, würden etwa 57 Millionen Tonnen mehr Getreide und Hülsenfrüchte für die Ernährung von Menschen zur Verfügung stehen – das ist in etwa die Menge an jährlichen Exporten aus der Ukraine. Diese 10 Prozent weltweit würden helfen, die Welternährung zumindest gemäß dem Vorkriegsniveau sicherzustellen. Daher gilt: Je mehr Menschen individuell ihren Fleischkonsum anpassen, desto weniger müsste sich jede und jeder einzelne einschränken, um einen Effekt zu generieren.
Beobachten Sie aktuell eine Veränderung der Essgewohnheiten in Deutschland?
Laut aktuellen Konsumdaten gibt es eine recht deutliche Veränderung – im ersten Quartal 2022 betrug der Rückgang bei Rindfleisch in Privathaushalten knapp 20 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2021, bei Schweinefleisch betrug der Rückgang 16 Prozent und bei Geflügel immerhin 14 Prozent. Und bei Milchprodukten sehen wir gleichzeitig eine relativ starke Zunahme von alternativen Milchprodukten gegenüber konventionellen Milchprodukten. Der Trend ist also da und die Essgewohnheiten verändern sich aktuell merklich.
Ist dieser Rückgang auf den Krieg in der Ukraine und den Wunsch nach einem individuellen Beitrag zu mehr Ernährungssicherheit weltweit zurückzuführen?
Aus den Daten ist die Motivation nicht interpretierbar und der Ukraine-Krieg ist sicherlich nur einer von möglichen Faktoren. Bei dem Rückgang des Fleischkonsums könnte es auch ein Corona-Effekt sein, denn die genannten Daten messen die Einkäufe der Privathaushalte und durch die Lockerungen der Corona-Maßnahmen könnte sich der Konsum von Fleisch auch stärker wieder hin zu Restaurants verlagert haben. Aber dennoch bleiben die Zahlen bemerkenswert.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung intensiv mit den Auswirkungen von veränderten Ernährungsgewohnheiten. Welche positiven Effekte hätte eine Reduzierung des Fleischkonsums noch?
Der Rückgang von Fleisch in der Ernährung und tierischen Produkten generell würde sich vor allem spürbar positiv auf die Umwelt auswirken – weniger Methanausstoß, weniger Abholzung des Regenwalds für Anbauflächen von Futtermitteln und weniger Verschmutzung des Grundwassers durch Gülle und Stickstoffbelastungen. Aber auch die Gesellschaft wäre mit einer stärker pflanzenbasierten Ernährung tendenziell gesünder. Es gäbe weniger Herz-Kreislauf-Krankheiten, weniger adipöse Menschen und weniger Krebserkrankungen. Denn insbesondere der Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch – also Wurstwaren – ist mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für verschiedene Krebserkrankungen verbunden.
Florian Freund ist Volkswirt am Thünen-Institut für Marktanalyse. Dort beschäftigt er sich mit dem internationalen Agrarhandel und erstellt modellgestützte Politikfolgenabschätzungen. Freund ist Mitautor des offenen Briefs an die Bundesregierung, der aufzeigt, wie das Ernährungssystem angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine umgestellt werden könnte.
Was sind mögliche politische Hebel, um gesellschaftlich eine stärker pflanzenbasierte Ernährung zu erreichen?
Aktuell diskutiert wird eine Abschaffung der Mehrwertsteuer bei Obst und Gemüse – das wäre ein Preissignal, das direkt beim Kunden ankommt. Obst und Gemüse würden dadurch relativ gesehen günstiger als tierische Produkte. Dadurch könnte sich deren Nachfrage erhöhen. Gleichzeitig gilt für tierische Produkte ebenfalls der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer bei tierischen Produkten auf 19 Prozent wäre natürlich ein weiterer Hebel mit vergleichbarem Effekt – auch wenn es aktuell politisch nicht gewollt ist und zu einer Verteuerung der Lebensmittel führen würde. Aber auch stärkere Kommunikationsmaßnahmen über die Zusammenhänge wären ein wichtiges Element. Durch Aufklärung über die Auswirkung der Ernährung auf Umwelt und Gesundheit kann man noch viel erreichen.
Herr Freund, vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts "Die Debatte" von "Wissenschaft im Dialog" entstanden. Nico Dannenberger, der dieses Interview geführt hat, leitet das Projekt. Ziel ist es, die wissenschaftliche Perspektive stärker in die aktuelle Diskussion zu kontroversen Themen einzubringen.
- Oxfam: "Ukraine - Vom Brotkorb zum Brotkrumenland"
- Welthunger-Index: Ranking 2021
- Deutsche Welle: "Ägypten: Regierung ringt um Ernährungssicherheit"
- Agrar Heute: "Hat Deutschland genug Getreide – um sich zu versorgen?"
- Bundesinformationszentrum Landwirtschaft: "Gibt es in Deutschland eine "Vermaisung" der Landschaft?"
- RND (10.06.2022): "Ukraine sorgt sich um Ernte"
- Welthungerhilfe (2021): "Hunger - verbreitung, Ursachen, Folgen"