Autohersteller machen Druck Kommt jetzt die Kehrtwende beim Verbrenner-Aus?
Die kriselnde Autoindustrie macht Druck: In Brüssel fordern Branchenvertreter Zugeständnisse bei Grenzwerten und dem Verbrenner-Aus. Einig sind sie sich jedoch nicht immer.
In Brüssel sind am Donnerstag Beratungen über die kriselnde Autoindustrie gestartet. Die Hersteller sind mit Forderungen an die Politik herangetreten: Sie erwarten Zugeständnisse beim Verbrenner-Aus und bei drohenden Bußgeldern. Es bestehe "dringender Handlungsbedarf", um die Situation der Autobauer zu verbessern, erklärte die Präsidentin des Verbands der Deutschen Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Unternehmen bereits "Flexibilität" zugesagt.
Branche unter Druck
Die europäische Autoindustrie steht unter Druck. Sie sieht sich zunehmend der Konkurrenz aus China ausgesetzt, aber auch der US-Autobauer Tesla macht europäischen Unternehmen im E-Auto-Markt Anteile streitig. Für die Wirtschaft in der EU und vor allem im Autoland Deutschland ist diese Industrie von entscheidender Bedeutung.
Rund 13 Millionen Menschen sind laut Kommission in Europa direkt oder indirekt durch sie beschäftigt. Neben den Jobs bei Autobauern wie VW, Mercedes oder BMW und Zulieferern wie Bosch sind in den Zahlen auch vier Millionen indirekte Arbeitsplätze etwa im Handel oder Werkstätten enthalten.
"Die europäische Automobilindustrie befindet sich an einem entscheidenden Punkt", erklärte von der Leyen. "Wir sind uns der Herausforderungen bewusst, vor denen sie steht". Erste Ergebnisse des Dialogs erwartet die Kommission nach eigenen Angaben am 5. März. EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas soll dann einen Aktionsplan für die Autoindustrie vorlegen.
Konzernen drohen hohe Bußgelder
Im Zentrum stehen die sogenannten Flottengrenzwerte der EU, die zum Jahresbeginn gesunken sind. Das sind Vorgaben für die Autobauer, wie viel Kohlendioxid die von ihnen produzierten Neuwagen im Schnitt höchstens ausstoßen dürfen. Mehrere Hersteller, darunter VW und Renault, sind derzeit nicht auf Kurs für die verringerten Grenzwerte: Sie verkaufen nicht so viele E-Autos wie benötigt, um den Schnitt zu senken.
Ihnen drohen deshalb hohe Bußgelder. Der Verband der deutschen Automobilindustrie drängt – so wie andere Wirtschaftsvertreter – vehement darauf, die Strafen zu vermeiden, damit mehr Geld für Investitionen in E-Mobilität verfügbar ist.
Andere Autobauer wie BMW und der Stellantis-Konzern, zu dem Fiat, Peugeot und Opel gehören, lehnen eine Aufweichung der EU-Regeln hingegen ab, weil sie sich ausreichend vorbereitet sehen. "Das System muss fair sein, denn einige haben bereits investiert und sind beim Einhalten der Ziele erfolgreich", hatte von der Leyen am Mittwoch erklärt. Die EU brauche aber auch "das nötige Maß an Flexibilität und Pragmatismus", fügte sie hinzu.
"Die Industrie sofort finanziell zu bestrafen, ist keine gute Idee, denn die Industrie selbst ist in Schwierigkeiten", sagte auch der Chef des französischen Zulieferers Forvia, Patrick Koller, in Brüssel. "Wir sollten alles tun, damit die Automobilindustrie in Europa überleben kann", betonte er.
Der VDA forderte in diesem Zusammenhang, die Flottengrenzwerte für die kommenden zwei Jahre aufzuweichen und einen Teil der Fahrzeuge nicht in der Rechnung zu berücksichtigen.
Aufschub für das Verbrennerverbot?
Der Verband setzt sich in Brüssel zudem dafür ein, auch nach dem für 2035 beschlossenen Aus noch Pkw mit Verbrennermotoren zuzulassen. In diesem Zusammenhang sollen nach Vorstellung der Hersteller auch Hybridfahrzeuge zugelassen werden.
"Die Autoindustrie hat einen Großangriff auf die CO2-Vorgaben für Autos gestartet", kritisierte der Geschäftsführer der Umweltorganisation Transport & Environment (T&E, Verkehr und Umwelt), William Todts, der in der Brüsseler Runde mit von der Leyen auch am Tisch saß. Er warf den Herstellern vor, lediglich Bußgelder vermeiden zu wollen. "Sie haben kaum Vorschläge gemacht, wie man den Markt für Elektrofahrzeuge in Europa tatsächlich ankurbeln kann", fügte er hinzu.
Von der Leyen hatte in den vergangenen Tagen wiederholt betont, die Kommission halte an den Klimazielen aus ihrer vergangenen Legislaturperiode fest. Das gilt ihren am Mittwoch veröffentlichten Leitlinien für die kommenden Jahre zufolge auch für das Verbrenner-Aus für ab 2035 neu zugelassene Pkw – auch wenn die Kommission Verbrennerautos mit synthetischen Kraftstoffen, sogenannten E-Fuels, eine Rolle einräumt.
Uneinigkeit bei Zöllen für chinesische Autos
Dass die Interessen der europäischen Industrie nicht immer deckungsgleich sind, zeigt sich etwa an Zusatzzöllen auf E-Autos aus China. Während etwa die deutsche Industrie sie vehement ablehnt, hatte sich Frankreich in der Vergangenheit grundsätzlich positiv zu Strafmaßnahmen gegen Chinas E-Autos geäußert. Kurz vor Beginn des neuen Dialogs hatten unter anderem die deutschen Autobauer BMW und Mercedes angekündigt, vor Gericht gegen die Maßnahme vorzugehen.
Auf den Rechtsstreit angesprochen, sagte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, dass die Situation in der Autoindustrie komplex sei. Neben chinesischen Fahrzeugen, die unter Produktionskosten verkauft würden, seien etwa die Elektrifizierung, die Infrastruktur und Qualifikationen komplizierte Themenfelder. "Wenn man den verschiedenen Autoherstellern in ganz Europa zuhört, hat man sehr unterschiedliche Ansichten dazu", so von der Leyen.
In den Gesprächen mit Autobauern und Zulieferern geht es auch um einen möglichen Handelsstreit mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump, den die Hersteller vermeiden wollen.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen afp und dpa