Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Parteiprogramme Deutschlands Schulen brennen – und die Politik schaut weg

Bildungspolitik spielt im Wahlkampf und in den öffentlichen Debatten kaum eine Rolle. Dabei gibt es in den Parteiprogrammen radikale Vorschläge.
In meinen kühnsten Träumen starte ich eine Kolumne über Bildungspolitik mit einem Paukenschlag: Ich beschreibe den Durchbruch bei bundesweiten Regelungen zur Nutzung der Künstlichen Intelligenz. Ich beschreibe ein milliardenschweres Förderprogramm, dessen Gelder auch schon den jüngsten und ärmsten Kindern zugutekommen. Ich beschreibe eine Vision, die Deutschland innerhalb weniger Jahre an die Spitze internationaler Bildungsrankings katapultiert. In diesen Träumen preise ich die innovativen Ansätze der Parteien und staune über die vielen exzellenten Ideen.
Die Parteiprogramme lassen mich schnell aufwachen. Und ja, es gibt Ideen. Nur sind sie nicht groß genug, nicht weitreichend genug, nicht mutig genug.

Zur Person
Bob Blume ist Lehrer, Bildungsinfluencer und Podcaster. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. In seiner Kolumne für t-online kommentiert er aktuelle Bildungsthemen mit spitzer Feder. Man findet Blume auch auf Threads und auf Instagram als @netzlehrer, wo ihm mehr als 160.000 Menschen folgen. Sein neues Buch "Warum noch lernen?" ist ab sofort im Handel erhältlich.
Beginnen wir also realistisch mit zwei Wahrheiten und lassen die Träumereien weg: Erstens kann man mit Bildungspolitik zwar Wahlkämpfe verlieren, aber kaum gewinnen. Zweitens hat der Bund nur begrenzten Einfluss auf die Bildungspolitik der Länder. Kein Wunder also, dass der kurze Wahlkampf kaum Platz für Bildung lässt? Nicht ganz. Denn Digitalpakt, Bestimmungen zur Ganztagsschule und Investitionen in Schulgebäude funktionieren schon jetzt über Bund-Länder-Abstimmungen.
Den großen Wurf in der Bildungspolitik muss man in den Wahlprogrammen jedoch lange suchen. Dennoch gibt es einige radikale Vorschläge, die zumindest Teile der Bildungslandschaft auf den Kopf stellen würden.
Ein Schulsystem in der Krise
Bevor wir uns die Ideen anschauen, lohnt sich ein Blick auf den Status quo: Deutschland dümpelt in internationalen Tests im Mittelmaß, die Lese- und Schreibkompetenzen sind massiv gesunken und auch in puncto digitale Kompetenzen gab es erschreckende Rückgänge. Kurz: Die Schule brennt. Wie wollen die Parteien das Feuer löschen?
Föderalismus abschaffen?
Besonders weit lehnt sich die FDP aus dem Fenster: Sie fordert, die Kultusministerkonferenz (KMK) komplett abzuschaffen. Stattdessen soll ein Bundesbildungsrat eingeführt werden, der ein freies Budget für alle Schulen beinhaltet. Dieser Vorschlag würde tief in den Föderalismus eingreifen, ihn zumindest in der Bildungspolitik in Teilen sogar abschaffen.
Was macht die KMK?
Die Kultusministerkonferenz (KMK) ist ein Gremium der Bildungs- und Kultusminister der 16 Bundesländer in Deutschland. Sie koordiniert länderübergreifende Bildungsstandards, Schulabschlüsse und hochschulpolitische Fragen, wobei die Entscheidungsgewalt weiterhin bei den Ländern liegt. Ihre Beschlüsse sind rechtlich nicht bindend, haben jedoch große Bedeutung für die Einheitlichkeit des Bildungssystems. Ein bekanntes Beispiel ihrer Arbeit ist die Vereinheitlichung des Abiturs und die Anerkennung von Schulabschlüssen.
Ähnlich argumentiert VOLT. Die Partei will eine "Bundesbildungskommission" schaffen und das sogenannte Kooperationsverbot aufheben. Dieses besagt, dass der Bund die Schulpolitik der Bundesländer nicht beeinflussen darf. Zumindest in Ansätzen findet sich diese Forderung auch beim BSW, das die Bildungskleinstaaterei beenden will.
Abschied vom Gymnasium
Sowohl VOLT als auch Linke wollen das dreigliedrige Schulsystem abschaffen, also das Ende von Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Die Linke plädiert für eine "Schule für alle", die darauf verzichtet, Kinder frühzeitig zu kategorisieren und stattdessen alle Kinder und Jugendlichen zu einem Abschluss führen soll – unabhängig von ihren Voraussetzungen.
Genau das Gegenteil fordert die AfD: eine "Rückbesinnung" auf ein stark mehrgliedriges Schulsystem, das Schulpflicht in Bildungspflicht verändert. Dies würde Homeschooling ermöglichen. Noch brisanter: Das in der UN-Behindertenrechtskonvention verbriefte Recht auf Bildung (Artikel 24) wird als "Ideologieprojekt" relativiert. Die Inklusion soll abgeschafft werden.
Es gibt einen gemeinsamen Nenner
Grüne, SPD und CDU sind im Vergleich weniger radikal in ihren Forderungen. Sie alle sehen Sprachförderung als zentrales Mittel für mehr Bildungsgerechtigkeit. Die Grünen setzen dabei besonders auf Investitionen in Erzieherausbildung, mehr Schulsozialarbeit und Schulpsychologie. Die SPD sieht vor, die Erzieher während der Ausbildung besser zu entlohnen. Die CDU fordert eine einheitliche vorschulische Sprachförderung.
Spannend wird es bei der Finanzierung.
- Die CDU setzt auf ein weiteres Investitionsprogramm.
- Die Grünen wollen eine Ausbildungsumlage für Betriebe, die nicht ausbilden.
- Die SPD plant, die Schenkungs- und Erbschaftssteuer zur Gegenfinanzierung anzuzapfen.
- Die AfD macht – wenig überraschend – keine konkreten Angaben zur Finanzierung.
Wenn Sie sich beim Lesen gefragt haben, ob diese Vorschläge das Industrieland Deutschland wirklich zurück zur "weltbesten Bildung" führen, wie es bei der FDP heißt, dann kann ich nur mit den Schultern zucken. Denn es stimmt ja: Deutschlands gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft hängt von der Qualität seiner Bildung ab – von den Grundkompetenzen im Lesen und Schreiben bis hin zur digitalen und KI-Kompetenz.
Vor diesem Hintergrund wirken sogar die radikalsten Forderungen der Parteien wie Fußnoten. Und das ist der eigentliche Skandal: Bildungspolitik bleibt auch in diesem Wahlkampf eine Randnotiz. Es hilft wohl nur noch, zu träumen. Armes Deutschland.
- Eigene Meinung
- Parteiprogramme
- deutsches-schulportal.de: "Bundestagswahl: Was die Wahlprogramme der Parteien für die Bildung versprechen"