Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kampf gegen Rechtsextremismus Von wegen "besorgte Bürger"
In Sonneberg könnte der erste AfD-Landrat gewählt werden, Bürger sympathisieren dort offen mit der NSDAP. Diese Ewiggestrigen sind verloren – wir sollten uns um etwas anderes kümmern.
Ein Team von "Spiegel TV" war dieser Tage in jenem thüringischen Landkreis Sonneberg unterwegs, wo an diesem Sonntag der erste AfD-Landrat gewählt werden könnte. Für die Menschen, die dort unverhohlen in die Kamera sprechen, eine durchaus gemäßigte Partei.
Ohne Widerspruch der um ihn herum Sitzenden sagt ein Mann, Mitte 50, in die Kamera, dass er auch die NDSAP wählen würde. "Die NSDAP hat 6 Millionen Juden getötet", hört man den Journalisten aus dem Off. "Na ja."
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Dort sind wir also wieder. Es erscheint fraglich, ob für Menschen, die eine solche himmelschreiende Ignoranz an den Tag legen, die Bezeichnung "besorgte Bürger" noch gilt. Genauso fraglich, wie die ständige Behauptung, dass man sie zurückholen müsse. Von wo denn? 1939? Stattdessen erscheint es sinnvoller, jedem Bürger ein Grundgesetz auf den Nachttisch zu legen. Oder vielleicht ein Geschichtsbuch.
Vergesst die Verlorenen – kümmert euch um die Kinder und Jugendlichen
Womit wir beim Thema Bildung wären. Es ist zu einfach, den Ewiggestrigen, die ihre Menschenfeindlichkeit stolz in die Kamera raunen, Bildung abzusprechen. Und wer mit seinen Äußerungen diesen Rubikon überschritten hat, verdient vielleicht auch nur noch Verachtung. Aber wir müssen uns um diejenigen kümmern, die nachkommen: die Kinder und Jugendlichen.
Und damit ist nicht nur gemeint, dass Treffpunkte, Räume und Vereine unterstützt werden müssen, die konkret vor Ort für Austausch und Selbstwirksamkeit sorgen. Sondern ganz konkret: Möglichkeiten für demokratisches Handeln und die kritische Reflexion. Dies ist in Zeiten, in denen fast 20 Prozent eine Partei wählen würden, die mit Rechtsextremisten feiert, eine der wichtigsten Aufgaben von Lehrkräften.
"Lehrkräfte müssen neutral sein", heißt es dann oft. Ein falscher Mythos, der leider immer wieder geäußert wird. Das Gegenteil ist richtig. Eine Erziehung im Sinne demokratischer Grundsätze ist ein wichtiger Teil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags, wie er in ähnlicher Form in allen Schulgesetzen zu finden ist.
"Lehrkräfte müssen neutral sein"? So ein Quatsch
Natürlich gibt es für politische Bildung wichtige Leitplanken. Die vielleicht wichtigsten Grundsätze wurden 1976 im Rahmen einer Tagung erarbeitet und sind jetzt als "Beutelsbacher Konsens" bekannt. Nach ihnen richtet sich übrigens auch die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung.
Bob Blume
Bob Blume ist Lehrer, Blogger, Podcaster und Aktivist. Er schreibt Bücher zur Bildung im 21. Jahrhundert und macht in den sozialen Medien auf Bildungsthemen aufmerksam. Man findet Blume auf Twitter und auf Instagram, wo ihm über 100.000 Menschen folgen. Sein Buch "10 Dinge, die ich an der Schule hasse" ist überall erhältlich.
Demzufolge sollen Lehrkräfte ihre Schülerinnen und Schüler nicht überwältigen (Überwältigungsverbot), also ihre Meinung aufzwingen. Sie müssen kontrovers darstellen, was kontrovers ist (Kontroversitätsgebot). Und sie müssen sich an den Schülerinnen und Schülern orientieren (Lernerzentrierung).
Ansonsten bedeutet politische Bildung aber genau das: den jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich ein Urteil über aktuelle Themen zu bilden.
Ein anderer Aspekt wird in Schulen sträflich vernachlässigt: Demokratie aktiv erlebbar zu machen. Denn Demokratieerziehung müsste viel mehr heißen, demokratische Prozesse selbst anzuwenden. Sich als Teil von etwas zu sehen, bei dem man mitbestimmen kann. Selbstwirksam zu sein.
Das Problem: All das ist schwammig und kann nicht abgeprüft werden. Und damit für viele Schulen sekundär.
Rechte Parteien machen sich das Gefühl der Ohnmacht zunutze
Aber wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie ohnmächtig sind, beginnen sie, nach Gründen für ihre scheinbare Ohnmacht zu suchen. Und wenn dann ein politischer Führer oder eine Partei dieses Gefühl für sich als Hebel nutzt, haben sie leichtes Spiel.
Der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Michel Friedmann, wird nicht müde, den Theaterschriftsteller George Tabori zu zitieren, der sagte: Jeder ist jemand! Dies ist die kürzeste Formel der Menschenwürde, an der sich die Menschen orientieren müssen. So früh es geht und vor allem in unseren Bildungsinstitutionen. Um allen Menschen die Möglichkeit zu geben zu verstehen, wohin Menschenhass, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus führen.
Der Blick nach Sonneberg zeigt erneut: Man muss befürchten, dass manche verloren sind. Sie holen wir nicht mehr zurück in die Sphäre demokratischer Grundordnung und uneingeschränkt geltender Menschenwürde.
Und genau deshalb müssen wir all unsere Anstrengung jenen widmen, die noch ansprechbar sind. Und die sich noch finden. Das müssen wir überall tun, auf der Straße, im Freundeskreis, in der Familie. Und vor allem in der Schule.
- Eigene Recherche