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Autismus: Wie Autisten den Weg in den Beruf finden


"Loyal und leistungswillig"
Wie Autisten den Weg in den Beruf finden

Früher wurden autistische Kinder und Jugendliche auf Sonderschulen geschickt. Heute haben sie trotz ihrer Entwicklungsstörung die Chance auf eine ganz normale Ausbildung. Auf dem Arbeitsmarkt können ihre besonderen Fähigkeiten sogar besonders wertvoll sein.

01.04.2016|Lesedauer: 3 Min.
Von dpa
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Einzelfall, Einzelfall, Einzelfall - dieses Wort fällt in der Würzburger Don-Bosco-Berufsschule (DBS) immer wieder. Denn allgemeingültige Lösungen gibt es für Autisten nicht. An der DBS werden junge Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet: Häftlinge, Flüchtlinge, Schulverweigerer - und Autisten.

Kilian Reder ist Autist und absolviert eine Ausbildung zum Lageristen.Vergrößern des Bildes
Kilian Reder ist Autist und absolviert eine Ausbildung zum Lageristen. (Quelle: dpa)

"Es gibt kein Patentrezept"

Lehrer, Fachärzte, Sozialwissenschaftler - alle betonen, dass es kein Patentrezept im Umgang mit Autisten gebe. "Zehn Autisten, zehn unterschiedliche Wege", sagt Schulleiter Harald Ebert, ein zupackender Mann mit Brille und Vollbart. Seine Schule hat 2015 den Deutschen Schulpreis gewonnen.

Für Kilian Reder bedeutet der richtige Weg eine Mischung aus Struktur, Nachhilfe und vielen kleinen Hilfestellungen. Im Unterricht sitzt der 19-jährige Autist vorne; anstelle von Gruppenarbeit lernt er für sich. Im Gespräch schaut Reder an seinem Gegenüber vorbei. Die auf dem Tisch gefalteten Hände drückt er fest zusammen.

Autisten mögen Struktur und Planbarkeit

Vor Reder liegt ein Zettel. Er hat sich vorbereitet auf dieses Gespräch. Eine Unterhaltung ist spontan, situativ, unvorhersehbar - all das, was Autisten in der Regel nicht mögen. Sie mögen: Struktur und Planbarkeit. Reder wird in Würzburg zum Fachlageristen ausgebildet. Was ihm an der DBS gefällt? "Hier werden mir Sachen genau erklärt, wenn ich es nicht sofort verstehe." Er fühle sich wohl, erfahre Unterstützung. Und die Arbeit? "Es sind sehr viele interessante Arbeiten, man hat mit Kunden zu tun, man hat mit Lieferanten zu tun."

So sieht Reder das. Den Zettel braucht er letztlich doch nicht, aber er gibt Sicherheit. Kontakte zu knüpfen und mit Mitschülern ins Gespräch zu kommen, das fällt Reder schwer. Autismus wirkt sich oft als Kommunikationsstörung aus. Gestik und Mimik können Betroffene häufig nicht lesen, Metaphern nicht deuten.

Schulbegleiter unterstützen die Schüler

Für Christopher Berg (20), der zum Gebäudereiniger ausgebildet wird, ist der richtige Weg ein anderer. Bei Berg, dessen richtiger Name nicht genannt werden soll, kommt eine weitere Kommunikationsstörung hinzu: Er stottert stark. Für ein "Ja, schon" braucht er mitunter eine halbe Minute.

Deshalb sitzt in Teilen des Unterrichts ein Schulbegleiter neben ihm. Mit diesem kann er Antworten abstimmen, ehe er sich im Plenum äußert. Der Schulbegleiter sei ein Mittler zwischen Schüler und Klasse, sagt Tanja Hofbeck vom Beratungszentrum der DBS. Regina Taurines, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, vergleicht ihn mit einer Brille. "Er gleicht Defizite aus und unterstützt die Kommunikation."

Konstanz und Verlässlichkeit geben Sicherheit

Nachteilsausgleich heißen all diese kleinen und großen Hilfen in der Fachsprache, wie Taurines sagt. Bei jedem Autisten müsse individuell beurteilt werden, welchen Nachteilsausgleichs es bedarf. An der DBS kommen dazu alle Betroffenen an einen Tisch: Eltern, Jugendliche, Lehrer, Ärzte.

Manchmal bräuchten Autisten schlicht mehr Zeit für Aufgaben, sagt Taurines. Manchmal dürfen sie Prüfungen in einem separaten Raum absolvieren, um sich besser zu konzentrieren. Manchmal werden sie die gesamte Schulzeit über in ein und demselben Raum unterrichtet. "Konstanz und Verlässlichkeit geben Sicherheit", sagt Taurines. Alles, was unerwartet kommt, könne Stress oder Angst hervorrufen.

Kompetenzen der Autisten nutzen

Reder und Berg werden im gegenüberliegenden Berufsbildungswerk ausgebildet. Beide betonen, sich an der DBS wohl zu fühlen. Der Berufseinstieg sei für Autisten dennoch eine große Hürde, sagt Matthias Dalferth (66) von der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) in Regensburg. Dalferth ist Professor für Sozialwissenschaften und beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit der beruflichen Eingliederung von Autisten. Zudem ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbands zur Förderung von Menschen mit Autismus in Hamburg.

An Berufsbildungswerken würden nur Autisten mit normaler Intelligenz - also mit hochfunktionalem Autismus - unterrichtet, sagt Dalferth. Viele Autisten seien jedoch minderintelligent. Rund 30 Prozent jener Menschen mit hochfunktionalem Autismus und guter Ausbildung oder Studium werden laut Dalferth in den Arbeitsmarkt integriert. "Das ist viel zu wenig." Bislang wüssten viel zu wenig Arbeitgeber, welche Kompetenzen Autisten mitbringen.

"Loyal und leistungswillig"

Besonders geeignet seien sie in der Regel für den IT-Bereich, ebenso für das Archivwesen oder technische Berufe - Tätigkeiten ohne viel Kontakt zu anderen. Menschen mit Autismus würden akribisch arbeiten, hätten ein gutes Verständnis von Maschinen, seien loyal und leistungswillig.

Dalferth hat 1989 zum ersten mal Zahlen in Berufsbildungswerken erhoben. Damals hätten bundesweit vier Autisten einen beruflichen Abschluss gemacht - zwei von ihnen seien berufstätig gewesen. "In den 80ern wurden die ja alle auf Sonderschulen geschickt." Das ist heute anders. Knapp 30 Jahre später seien rund 800 bis 900 Autisten an Berufsbildungswerken in Ausbildung und beruflicher Förderung. Matthias Dalferth ist optimistisch, dass es mehr werden.

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