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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hausaufgaben Unsinniges Ritual oder sinnvolle Übung?
Seit gut 150 Jahren gibt es in Deutschland allgemeinbildende Schulen und genauso lang existiert der Hauptfeind aller unbeschwerten Nachmittage: die Hausaufgaben. Doch wie sinnvoll ist das tägliche Wiederholen und Üben von Unterrichtsinhalten am heimischen Schreibtisch? Hier gehen die Meinungen der Fachleute auseinander.
Fragt man Schüler nach Hausaufgaben, überwiegen verständlicherweise die negativen Kommentare: Die 16-jährige Nina beschwert sich beispielsweise, dass sie nachmittags manchmal zwei Stunden am Schreibtisch sitzt und büffelt, auch wenn gerade keine Klassenarbeit anfällt. Und der Neuntklässler Timo schimpft: "Das ist manchmal ziemlich öde, dieses stupide Üben, vor allem dann, wenn man schon acht Stunden Schule hinter sich hat. Einen Text in Deutsch oder Englisch zu schreiben, seh‘ ich ja noch ein, aber warum jede Menge Mathe-Aufgaben so spät am Tag, wenn man alles verstanden hat? Da bleibt ja gar keine Freizeit mehr."
Die 13-jährige Nina findet dagegen Hausaufgaben eigentlich ganz okay, wenn man sich daheim auf ein neues Thema vorbereiten oder Vokabeln lernen soll: "Aber Auswendig-Gebimse und dummes Abschreiben aus Büchern nerven mich total."
Hausaufgaben als Disziplinierungsmaßnahme sind nicht erlaubt
Manchmal werden Hausaufgaben von Lehrern benutzt, um Schüler zu disziplinieren, obwohl dies im Schulrecht der Länder untersagt ist. So erzählt der zwölfjährige Ben im Chat, dass seine Klasse manchmal Unterrichtsstoff, den der Lehrer in der Stunde nicht geschafft hat, zur Hausaufgabe umfunktioniert: "Das macht vor allem unser Mathelehrer. Dann sagt er total sauer: 'Ihr wart mal wieder viel zu laut heute. Zur Strafe müsst ihr jetzt die restlichen Rechnungen zu Hause machen.'"
Studie: Schüler werden durch Hausaufgaben nicht besser
Wie sinnvoll sind Hausaufgaben? Darum ging es in einer Umfrage der Fakultät Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Dresden unter 1300 sächsischen Ganztagsschülern und 500 Lehrern. Etwa ein Drittel der Pädagogen gab zu, nicht einschätzen zu können, ob Hausaufgaben ihren Schülern überhaupt etwas bringen. Bei etwa drei Viertel ihrer Schüler beobachteten die Lehrer überhaupt keinen Erfolg.
Nur ein Drittel der Schüler glaubte, dass sich Noten, beziehungsweise schulisches Können, durch Hausaufgaben verbessern lassen.
Das Fazit der Wissenschaftler fiel ernüchternd aus: Hausaufgaben seien häufig nicht mehr als ein Ritual, das den Schülern oft unreflektiert und phantasielos nach Schema F verschrieben werde. Gute Schüler, so die Dresdner Erziehungswissenschaftler, würden durch Lernübungen daheim nicht unbedingt besser, und schlechte Schüler begriffen zu Hause durch bloßes Wiederholen noch lange nicht, was sie schon am Vormittag nicht richtig verstanden hätten. Ob man also die Mathe-Aufgaben direkt nach der Schule, nachts unter der Bettdecke oder überhaupt nicht macht, hätte keinen besonderen Effekt auf die schulische Karriere.
Eine lieb gewonnene Gewohnheit?
Dennoch pflegen die meisten öffentlichen Schulen Hausaufgaben noch immer wie eine liebgewonnene Gewohnheit, die nicht in Frage gestellt werden darf. So ist es nicht verwunderlich, dass manche Lehrer eine kritische Debatte darüber ablehnen und Untersuchungen wie die der Dresdner Erziehungswissenschaftler als populistisches Gegröle abtun.
Auf "Lehrerfreund.de" wettert eine Pädagogin: "Ich bin entsetzt. Generationen von Schülern haben also Tausende und Abertausende Stunden mittags am Schreibtisch verschwendet - alles umsonst? Am Morgen eine Formel lernen, sie mittags in einer Übung anwenden - soll das also nichts bringen? Vokabeln lernen Zeitverschwendung? Einen Aufsatz schreiben, Verben konjugieren, die Innereien des Frosches auswendig lernen? Alles Unsinn?"
Ein anderer Lehrer fragt: "Wie soll das denn bitteschön ohne Hausaufgaben gehen? Die Schüler können doch in der knapp bemessenen Unterrichtszeit - gerade bei G8 - eigentlich nur zu Hause den durchgenommenen Stoff vertiefen. Da gibt es keine Alternative. Außerdem lernen sie so besser selbstständiges Arbeiten."
Hausaufgaben sind bei sprachlichen Fächern sinnvoll
Differenzierter argumentiert der pensionierte Gymnasiallehrer Werner Meyer, der 29 Jahre lang im Schuldienst war und Physik und Chemie an der Immanuel-Kant-Schule in Rüsselsheim unterrichtete. Gegenüber der Elternredaktion von t-online.de erklärt er: "Hausaufgaben als sinnvolle Ergänzung zum Unterricht oder als Vorbereitung auf neuen Stoff haben vor allem bei geisteswissenschaftlichen Fächern, bei Deutsch oder Fremdsprachen Sinn. Denn hier müssen die Schüler trainieren, wie man richtig recherchiert, formuliert oder freie Texte schreibt. Dazu ist in der Schule oft zu wenig Raum und Ruhe."
Ohne Kontrolle und Verbesserungen kein Lernerfolg
Wenn Hausaufgaben zu machen sind, sollten sie aber unbedingt verbindlich und nicht auf freiwilliger Basis sein, so der erfahrene Studienrat. Die Kinder müssten wissen, woran sie sind. Dazu gehöre eine konsequente Kontrolle durch den Lehrer, da die Schüler sonst nicht aus ihren Fehlern lernen könnten.
Leider fällt gerade das in der täglichen Praxis allzu oft unter den Tisch. Viel zu selten werden wegen Zeitmangels die Aufgaben im Unterricht besprochen oder korrigiert. Ein Umstand, der das häusliche Üben nutzlos und pädagogisch wertlos macht.
Üben im Unterricht ist eine gute Alternative
Während seiner Zeit als Lehrer für Chemie und Physik hat Werner Meyer am liebsten auf Hausaufgaben verzichtet. Er bevorzugte eine andere Trainingsmethode: "Bei Naturwissenschaften finde ich grundsätzlich Hausaufgaben nicht sehr hilfreich. Ich habe die Zeit, die normalerweise zur Kontrolle von Hausaufgaben drauf geht, lieber dazu genutzt, mit meiner Klasse direkt im Unterricht zu üben. Dadurch wusste ich immer, welche Anforderungen ich stellen kann und konnte den Schülern auch unmittelbar und individuell je nach Können helfen."
"Bei Hausaufgaben läuft man dagegen nicht selten Gefahr, dass nur drei sie gewissenhaft erledigen und der Rest sie abgeschrieben hat." So bekäme der Lehrer keinen realistischen Überblicküber das Können seiner Schüler, meint der ehemalige Gymnasiallehrer: "Mit dieser Vorgehensweise bin ich mein ganzes Berufsleben gut gefahren und meine Schüler auch."
Ähnliches empfehlen auch die Erziehungswissenschaftler von der TU Dresden für künftige Schülergenerationen. Gerade angesichts der steigenden Zahl von Ganztagsschulen sollte es mehr vom Lehrer begleitete und individuell abgestimmte Übungs- und Förderangebote direkt im Unterricht geben. Dann könnten Hausaufgaben endlich der Vergangenheit angehören.
Unzumutbares Lernpensum
Meyer wünscht sich ebenfalls in Zukunft einen Schulalltag ohne leidige Hausaufgaben, vor allem in Zeiten von G8: "Eigentlich bin ich immer der Ansicht gewesen, dass Kinderarbeit in diesem Land abgeschafft sei. Aber ein wöchentliches Unterrichtspensum von 35 bis 40 Stunden und dann noch zusätzlich Hausaufgaben ist irgendwann nicht mehr zumutbar. Auch junge Menschen haben eine Grenze bei ihrer Aufnahmefähigkeit. Nach sechs Stunden ist eigentlich schon die Erschöpfungsgrenze erreicht. Wir nehmen unseren Kindern so einen Teil ihrer Freiheit."