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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verlust durch Corona "Mein Vater musste qualvoll und völlig allein an Covid-19 sterben"
Immer mehr Menschen trauern um Angehörige, die durch eine Corona-Infektion gestorben sind. Wie ist es, einen geliebten Menschen durch die Pandemie zu verlieren? Zwei t-online-Leser berichten
Über 20.000 Menschen sind in Deutschland inzwischen im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Sie alle haben Angehörige, Freunde und andere ihnen nahestehende Menschen. Entsprechend viele haben durch die Pandemie jemanden verloren und müssen ihren Verlust aktuell verarbeiten.
Die Sterbenden waren oft allein, Angehörige konnten durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie kaum Abschied nehmen. Beileidsbekundungen waren meist nur auf Distanz möglich. Eine Umarmung, um Trost zu spenden, Anteilnahme durch gemeinsame Trauerfeiern oder andere Gesten der Anteilnahme fehlten.
Wir wollten von unseren Lesern wissen: Haben Sie einen Verlust durch Corona erlitten? Wie können Sie in Zeiten der Pandemie trauern und Abschied nehmen? Uns haben sehr ergreifende Geschichten erreicht. Zwei davon lesen Sie hier:
"Ich habe meine Trauer in einen verschlossenen Raum gesperrt"
Ein anonymer t-online-Leser: "Meine Familie hat bis Februar 2019 25 Jahre lang mit meiner Mutter unter einem Dach gewohnt. Dann schlug das Alter zu: Unerkannte Demenz mit Altersdepression bei meiner Mutter führte zu einem dermaßen heftigen Zerwürfnis, dass wir im Sommer 2019 ausgezogen sind. Für uns ging es nach Eschwege, für meine Mutter in eine Seniorenresidenz in Kassel. Corona nahm uns die Möglichkeit, noch einmal zusammenzufinden: Erst kamen der Lockdown und die Besuchsverbote, dann der Tod. Sie ist im August an Covid-19 gestorben, ohne dass ich noch Abschied nehmen konnte, und ist direkt verbrannt worden.
Im Mai hat meine Frau im Lockdown mit mir als Hebamme in Alleingeburt unser fünftes Kind geboren. Wie ich mit meiner Trauer und den Selbstvorwürfen umgehe? Ich habe sie in einen verschlossenen Raum gesperrt, die Tür zugenagelt, und versuche durchzuhalten.
Meine Frau und ich sind beide chronisch krank, ich bin 56 Jahre alt, wir haben fünf Kinder. Der Vater meiner Frau lag gerade zehn Tage im Koma und Hilfs- oder Entlastungsangebote gibt es hier nicht. Auf einen Termin bei einem Therapeuten musste man schon vor Corona mindestens neun Monate warten. Nun dauert es noch länger.
Jetzt heißt es für uns: durchhalten. Sich vor jedem Kinderhusten, vor jedem Unwohlsein fürchten. Sich vor der Nacht fürchten. Und immer wütender werden über den Lockerungsirrsinn des Sommers. Vielleicht sollten Menschen wie wir mal auf die Straße gehen und rumbrüllen: "Wir sind das Volk!" Aber das können wir nicht: Es wäre hochriskant, wir haben Kinder, an die wir denken müssen. Durchhalten. Und später trauern."
"Mein Vater ist von uns gegangen, ohne dass wir Abschied nehmen durften"
t-online-Leserin Daniela: "Das ist die Geschichte meines Vaters, der qualvoll und völlig allein an Covid-19 sterben musste. Die Ärzte haben weder meinen Vater noch uns Angehörige ernst genommen.
Es begann damit, dass er für die Amputation seines Beines ins Krankenhaus musste. Neun Wochen war er allein in einem Zimmer untergebracht. In der letzten Woche wurde urplötzlich seine Station geräumt, damit eine Covid-Station daraus gemacht werden konnte. Mein Vater wurde auf eine andere Station verlegt – zu jemandem aufs Zimmer.
Der Zimmergenosse hatte starken Husten und an seinem Entlassungstag über 38 Grad Temperatur. Dieser Herr wurde ohne einen Test nach Hause geschickt. Kurz vor Ostern durfte nun endlich auch mein Vater das Krankenhaus verlassen, ohne dass er oder wir wussten, dass er sich das Virus im Krankenhaus geholt hat.
Zu Hause ging es ihm von Tag zu Tag schlechter. Er wurde wieder ins Krankenhaus gebracht, leider steckte er meine Mama und meinen Mann auch mit dem Virus an. Genau eine Woche später kollabierte seine Lunge während der Dialyse. Er wurde ins künstliche Koma gelegt und beatmet. Am 21.4. um 14.55 Uhr ist mein Vater von uns gegangen, ohne dass wir Abschied nehmen durften.
Meine Familie und ich können den Verlust bis heute nicht verkraften, da es keinen Abschied gab, sondern wir vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Bereits einen Tag später wurde mein Vater verbrannt. Auch hier war kein Abschied möglich."
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