Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kolumne "Lust, Laster und Liebe" Vorgetäuschter Orgasmus – der Anfang des Teufelskreises
"Kneifen Sie sich in die Wangen, verziehen Sie Ihr Gesicht, stöhnen Sie sehr laut und üben Sie zusätzlich Kontraktionen mit Ihrem Beckenbodenmuskel aus." Diese Anleitung, wie Frauen einen Orgasmus vortäuschen können, ist auf Platz eins bei Google. Klingt echt anstrengend und bestätigt nur, dass Frauen keinen Orgasmus vortäuschen sollten.
Sie kennen es vielleicht: Der Sex ist eher langweilig, eigentlich haben Sie auch gar keine richtige Lust, und mit den Gedanken sind Sie sowieso schon beim Wochenendeinkauf. Dabei strengt sich Ihr Liebster wirklich an, um Sie zum Höhepunkt zu bringen. Doch was jetzt tun? Sagen Sie: "Du, Schatz, das wird heut nichts? Du machst das toll, aber ich hab nicht so richtig Lust"? Dann wird er Sie sicherlich mit einem enttäuschten Hundeblick und einer ordentlichen Erektion angucken und nicht wissen, was er tun soll. Vielleicht wird er sogar an seinen Fähigkeiten als Liebhaber zweifeln.
Da Sie das bereits ahnen, pressen Sie Ihre Zähne beziehungsweise eher Ihre Beckenbodenmuskeln zusammen, stöhnen: "Ja! Oh ja! Ich komme!" und geben ihm einen langen Kuss, nachdem er schließlich gekommen ist.
Das ist ein Fehler!
Fast jede tut es
Zwischen 70 und 80 Prozent der Frauen täuschen einmal oder mehrmals ihren Orgasmus vor. Das ergaben mehrere Studien und Umfragen, unter anderem von der Berliner Charité und von Statista. (Auch wenn die Zahlen von 2004 bzw. 2008 sind, wird sich wahrscheinlich nicht viel geändert haben.) Die knapp 80 Prozent schockieren Sie? Heftiger ist eigentlich, dass rund 70 Prozent der Männer wissen, dass beinahe jede Frau schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht hat. Also warum weiter den Höhepunkt faken und nicht gleich mit der Wahrheit rausrücken?
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Warum täuschen Frauen ihren Orgasmus vor?
"Weil der Partner sonst kein Interesse mehr an mir hat", ist das Argument vieler Frauen laut einer Studie amerikanischer Sexualwissenschaftler. "Die Frauen hoffen zudem, dass er ihnen dann nicht abtrünnig wird und zu einer anderen Frau überläuft", sagt die Studienleiterin. Die gleichen Ergebnisse liefern auch Sexualwissenschaftler aus Kansas. Frauen spielen also ihren Orgasmus vor, damit der Mann glücklich, zufrieden (32,6 %) und sein Ego gepusht (21,7 %) ist oder um es einfach schnell zu beenden (32,6 %). Das klingt nach ganz schlechtem Sex.
Ein weiterer Grund, warum Frauen zur Methode "Fake-O" greifen: Männer wüssten angeblich nicht, wie Sie die Klitoris oder Vagina richtig stimulieren müssen. Hallo?! "Die Klitoris enthält mehr Nerven als der gesamte Penis", sagt Dr. Carla Thiele, Sexualtherapeutin. Und zwar insgesamt 8.000 Nerven – So schwer kann es angesichts der hohen Zahl gar nicht sein, richtig zu stimulieren. Vielleicht braucht es dann nur ein bisschen Nachhilfe.
Frauen sind schuld am schlechten Sex
Das Schlimme daran ist, dass wir Frauen selbst schuld an dem schlechten Sex und der Unwissenheit einiger Männer sind. Ja! Wenn wir ständig – oder mal ab und zu – einen Orgasmus vortäuschen, wie soll denn dann unser Partner wissen, was wir beim Sex wollen und mögen? Wenn wir vorspielen, dass er angeblich sooo toll ist und alles richtig macht, anstatt unseren Mund aufzumachen und klipp und klar zu sagen, was uns gefällt – oder es sogar zeigen? Und das häufig nur, weil Frauen den Konflikt oder Diskussionen mit ihrem Partner scheuen und lieber die Harmonie wahren. Aber es kann doch nicht besser werden, wenn keine etwas sagt und es über sich ergehen lässt.
Und das Faken von Orgasmen ist nicht nur ein Teufelskreis für die eigene Beziehung à la "Dann hab ich es wenigstens hinter mir und kann schlafen." – denn Männer hören laut Wissenschaftlern häufig erst dann auf, wenn die Frau befriedigt ist. Nein! Der vorgetäuschte Höhepunkt ist auch ein Schuss ins Knie für alle anderen Frauen. Denn wenn wir unseren Sexpartner von der Bettkante gestoßen haben, dann hat eine andere ihn an der Backe – und seine schlechten Fähigkeiten im Bett. Frauen werden zunehmend unzufriedener und Männer glauben, sie sind weiterhin die Hengste im Bett. Und wie sollen denn Männer sonst lernen, wie es richtig geht, wenn Frauen es ihnen nicht sagen?
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Also, zu unserem eigenen Wohle, zum Wohle von allen anderen Frauen und den Männern selbst – schließlich wollen sie wirklich unser Bestes und uns einen Orgasmus schenken – täuschen Sie bitte nicht mehr vor. Seien Sie ehrlich. Zeigen Sie ihm, was Sie wollen. Auch wenn es schwer fällt und er dann vielleicht die beleidigte Leberwurst spielt. Denken Sie an sich und die Frauen nach Ihnen.
Auch Männer tun es
Ach übrigens, so unschuldig sind Männer ebenfalls nicht. Denn auch sie schummeln gern mal beim Sex. Knapp jeder Vierte hat laut Wissenschaftlern schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht. Das geht? Oh ja! Aber dann genauso nach hinten los, wie bei Frauen.
Wie das bei Männern funktioniert, erfahren Sie in einer der nächsten Kolumnen.
Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online.de, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe" über Liebe, Partnerschaft und Sex.