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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zeitforscher erklärt "Beim Strandurlaub vergeht die Zeit viel schneller"
Wer verreist, möchte die Zeit am liebsten anhalten. Denn so ein Urlaub ist einfach viel zu schnell vorbei. Woran das liegt und wie Sie die gefühlte Zeit im Urlaub verlängern können, verrät Zeitforscher Dr. Marc Wittmann im Interview.
Inhaltsverzeichnis
- t-online.de: Warum haben wir im Urlaub eine andere Zeitwahrnehmung?
- Und warum ist der Urlaub manchmal viel zu schnell vorbei?
- Haben Sie Tipps, wie der Urlaub gefühlt verlängert werden kann?
- Woran liegt es, dass die Zeit manchmal gar nicht vergeht?
- Wie kommt unser Gefühl von Zeit überhaupt zustande?
- Nicht nur im Wartezimmer oder im Urlaub haben wir eine andere Zeitwahrnehmung. Je älter wir werden, desto zügiger ziehen die Jahre an uns vorbei. Wieso vergeht die Zeit im Laufe des Lebens immer schneller?
- Ist es möglich, die Zeit wieder zurückzudrehen?
- Gibt es einen Zeitpunkt, an dem die Zeit im Leben wieder langsamer vergeht? Zum Beispiel wenn wir in Rente gehen?
- Wie kann man die Zeit im Alter am besten auskosten?
Manchmal vergeht die Zeit gar nicht, dann rast sie wieder. Wie unterschiedlich unsere Zeitwahrnehmung sein kann, erleben wir besonders im Laufe des Lebens: Mit steigendem Alter vergeht die Zeit gefühlt immer schneller. Und auch im Urlaub ist unser Zeitgefühl ganz anders. Zeitforscher und Psychologe Dr. Marc Wittmann kennt das Phänomen – und kann es auch erklären.
t-online.de: Warum haben wir im Urlaub eine andere Zeitwahrnehmung?
Dr. Marc Wittmann: Es gibt diesen typischen Urlaubseffekt, dass die Zeit am Anfang viel langsamer vergeht. Wir kommen in ein neues Land, hören eine neue Sprache, nehmen neue Gerüche wahr. Abends liegen wir dann im Bett und denken: Heute Morgen war ich noch zu Hause, jetzt bin ich hier und wie lange kommt mir dieser erste Tag vor. Das ist der typische Gedächtniseffekt der Zeitwahrnehmung: Weil wir so viel Neues erlebt haben, was im Gedächtnis aufgenommen wurde, kommt uns der Tag länger vor.
Und warum ist der Urlaub manchmal viel zu schnell vorbei?
Machen wir jedoch einen typischen Strandurlaub – ohne viel Abwechslung, um uns zu erholen – und gehen eine Woche lang immer zum selben Strand, dann tritt ein Gewöhnungseffekt ein: Die Ereignisse an den verschiedenen Tagen können wir gar nicht mehr auseinanderhalten und dann vergeht die Zeit rückblickend viel schneller, weil nicht viel im Gedächtnis behalten wird.
Haben Sie Tipps, wie der Urlaub gefühlt verlängert werden kann?
Machen Sie viel Abwechslungsreiches: Legen Sie sich einen Tag an den Strand, machen Sie am nächsten Tag einen Ausflug in einen anderen Ort, versuchen Sie neue Leute kennenzulernen und viel Neues und Emotionales zu erleben. Das ist das Wichtigste: Seien Sie offen für Neues, lassen Sie keine Routine einkehren. Wenn Sie viele verschiedene Dinge unternehmen, dann dehnt sich die Zeit.
Ein verlängertes Wochenende kann uns zum Beispiel unglaublich lange vorkommen, wenn wir in einer neuen Stadt wie Paris oder Rom waren und viel erlebt haben. Kommen wir zwei, drei Tage später zurück, hat sich die Zeit subjektiv viel mehr gedehnt, als wenn wir die zwei, drei Tage im immer selben Büroalltag erlebt hätten.
Woran liegt es, dass die Zeit manchmal gar nicht vergeht?
Die Frage ist immer: Worauf achte ich? Worauf habe ich meine Aufmerksamkeit gerichtet? Achte ich auf die Zeit, vergeht die Zeit langsam – achte ich nicht auf die Zeit, vergeht sie schnell. Ein Beispiel: Wenn ich auf den Bus warte und in ein interessantes Gespräch vertieft bin, dann sind vier Minuten ganz schnell vergangen. Aber wenn ich ganz alleine auf den Bus warte und nichts zu tun habe, vergehen vier Minuten plötzlich ganz langsam, weil ich stärker auf die Zeit achte.
Dr. Marc Wittmann, Jahrgang 1966, ist Psychologe und Humanbiologe am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Außerdem befasst er sich mit der Zeitwahrnehmung und hat mehrere populärwissenschaftliche Bücher zu diesem Thema geschrieben. Unter anderem: Gefühlte Zeit: Kleine Psychologie des Zeitempfindens.
Wie kommt unser Gefühl von Zeit überhaupt zustande?
Meine Forschung hat gezeigt: Das Gefühl von Zeit ist mit unserer Körperwahrnehmung verbunden. Uns selbst nehmen wir über die Zeit wahr und das macht unser Gefühl für Zeit aus. Das heißt, wenn wir abgelenkt sind, dann sind wir von unserer Körperlichkeit, von unserem Selbst, abgelenkt, weil wir zum Beispiel in ein Gespräch vertieft sind. Dann vergeht die Zeit schnell. Wenn wir allerdings sehr fokussiert sind auf uns, auf unsere Körperlichkeit – weil wir auf etwas warten, weil wir hungrig sind, uns heiß ist oder wir Rückenschmerzen haben – dann bemerken wir uns selbst sehr und dann vergeht die Zeit ganz langsam.
Erklärt das zum Beispiel auch das Phänomen, warum die Zeit im Wartezimmer beim Zahnarzt nicht vergeht?
Ja, Gefühle wie zum Beispiel Angst bedeuten: Mein ganzer Körper ist aktiviert, ich spüre meinen Körper, das Herzklopfen und andere negative Körpergefühle – ich spüre mich selbst besonders – und dann vergeht die Zeit wieder langsamer.
Nicht nur im Wartezimmer oder im Urlaub haben wir eine andere Zeitwahrnehmung. Je älter wir werden, desto zügiger ziehen die Jahre an uns vorbei. Wieso vergeht die Zeit im Laufe des Lebens immer schneller?
Wenn wir von größeren Zeiträumen sprechen, ist es so: In der Kindheit, im Jugendalter und auch im jungen Erwachsenenalter ist die Zeit durch so viel Neuartigkeit geprägt. Alles passiert zum ersten Mal, alles ist neu, alles ist besonders und wichtig: der erste Kuss, das erste Mal ohne die Eltern in den Urlaub fahren, der erste Umzug, das erste Mal in eine neue Stadt gehen, die erste Berufsausbildung.
Irgendwann ist man dann aber zwanzig Jahre im Beruf, im selben Büro, mit denselben Kollegen, am selben Ort. Das sind dann Sachen, die nicht mehr besonders im Gedächtnis abgespeichert werden müssen und so vergeht die Zeit dann viel schneller, weil wir nicht mehr so viel Neuartiges und Aufregendes erleben, wie in früheren Jahren.
Ist es möglich, die Zeit wieder zurückzudrehen?
Nein, wir können nie wieder in den Erlebniszustand kommen, wie wir ihn in früheren Jahren hatten. Denn auch, wenn ich jedes Jahr in ein neues Land fahre, dann bin ich irgendwann zum 30. Mal in ein neues Land gefahren und das kann man nicht mit dem ersten oder zweiten Mal vergleichen. Dann wird die Varianz im Verhalten doch wieder zur Routine. Das hat vielleicht einen etwas melancholischen Beigeschmack: Die Neuartigkeit, die wir im Jugend- und Kindesalter hatten, die kann man im Erwachsenenleben kaum noch so zurückholen.
Gibt es einen Zeitpunkt, an dem die Zeit im Leben wieder langsamer vergeht? Zum Beispiel wenn wir in Rente gehen?
Bekannte von mir, die in Rente gegangen sind, sagen, dass sie jetzt überhaupt keine Zeit mehr haben. Die hatten vorher einen Arbeitstag mit acht, neun Stunden und der fällt jetzt weg – und sie haben plötzlich keine Zeit mehr. Das liegt aber vor allem auch an einem selbst und wie man mit der neuen Situation umgeht. Fällt man plötzlich in ein Loch und spürt Langeweile, weil nichts passiert, dann ist man der Zeit ausgesetzt. Das ist der paradoxe Effekt, den auch Altersheimbewohner erleben: Im Moment, weil nichts passiert, vergeht die Zeit ganz langsam. Aber rückblickend vergehen die Monate und Jahre dann ganz schnell, weil nichts im Gedächtnis abgespeichert ist.
Andere nutzen die Zeit hingegen, werden aktiv, machen Weltreisen. Für diese Menschen dehnt sich die Zeit dann durchaus wieder. Das hängt immer individuell davon ab, wie man mit der Zeit umgeht. Jemand, der es nach 30 Jahren langweiligem Büroalltag schafft – das ist ja oft das Problem, dass das nicht gelingt – plötzlich Abenteuerurlaube zu machen, für den dehnt sich dann die Zeit.
Wie kann man die Zeit im Alter am besten auskosten?
Sie sollten sich immer wieder mit Sachen fordern, die Sie bisher noch nicht getan haben. Jemand, der schon sieben Sprachen spricht, der sollte nicht noch eine neue Sprache lernen, sondern zum Beispiel ein Musikinstrument. Jemand, der viele Musikinstrumente spielt, aber nur Deutsch und ein bisschen Englisch spricht, der sollte hingegen eher noch eine andere Sprache als ein weiteres Instrument lernen. Es ist immer abhängig davon, was Sie können und welche Variation Sie in Ihrem Leben haben. Davon abhängig sollten Sie versuchen, wirklich etwas Neues zu machen. Wenn Sie ein Einzelgänger waren, könnten Sie versuchen, mehr auf Leute zuzugehen oder sich sozial engagieren. Denn dann erleben Sie wieder ganz neue Sachen.
Wann vergeht die Zeit bei Ihnen gefühlt sehr langsam oder sehr schnell?
Ich bin ja kein Alien (lacht). Auch bei mir sind das die typischen Momente: Wenn ich zwei, drei Tage weg war und nach Hause komme, dann merke ich: Mensch, das kommt mir jetzt subjektiv so lang vor. Und wenn ich dieselben Tage im Büro verbringe, dann sind die viel schneller vergangen. Außerdem versuche ich, im Urlaub immer an neue Orte zu fahren – dann vergeht die Zeit langsamer.