Wege aus der Kaufsucht Ist Ihr Shopping-Verhalten noch normal?
Im Elektronikmarkt die neueste Technik testen, in der Boutique durch die Regale stöbern oder mit ein paar Klicks im Internet bestellen: Vielen Menschen macht Einkaufen Spaß. Manche kommen aus dem Kaufrausch jedoch nicht wieder raus.
Von Kaufsucht sind den Schätzungen zufolge zwischen 1 bis 6 Prozent der Bevölkerung betroffen. Das problematische Verhalten beginnt oft vor dem 20. Lebensjahr und verläuft meist chronisch mit symptomfreien Intervallen, die Monate bis Jahre dauern können (www.psychiater-im-netz.de).
Heilung nur mit Unterstützung möglich
Hier ein neues Kleid, dort ein paar Schuhe – meist beginnt es ganz harmlos. Doch manche Menschen geraten irgendwann in einen Kaufrausch, den sie nicht mehr kontrollieren können. Sie shoppen auch, was sie nie benutzen, und horten Unmengen sinnloses Zeug. Auf Dauer verschulden sich die Betroffenen. Und nicht selten stehen sie am Ende ganz allein da – ohne Job, ohne Partner, ohne Freunde.
Menschen mit pathologischem Kaufverhalten benötigen deshalb unbedingt Unterstützung. Dafür braucht es aber zuallererst die Erkenntnis, dass aus harmlosen Shoppingtouren eine Sucht geworden ist.
Ist Kaufsucht mit einer Drogensucht zu vergleichen?
Kaufsucht gehört zu den substanzungebundenen Abhängigkeiten. Im Gegensatz etwa zu Drogenabhängigkeit ist der Betroffene nicht nach einer Substanz wie Kokain oder Alkohol süchtig, sondern nach einer bestimmten Tätigkeit. Die Mechanismen gleichen sich aber. In beiden Fällen feuert das Belohnungssystem, wenn der Süchtige mit seinem Suchtstoff konfrontiert wird – egal, ob es sich um eine Flasche Wein handelt oder um ein neues Paar Schuhe.
Trotzdem gibt es bisher nur eine substanzungebundene Abhängigkeit, die als Krankheit anerkannt ist: die Glücksspielsucht. Andere, ebenfalls vorhandene Abhängigkeiten – beispielsweise die Kaufsucht – werden dann bagatellisiert. Wie viele Menschen in Deutschland betroffen sind, ist schwer zu sagen. Die Zahlen unterscheiden sich – je nachdem, ab wann jemand als kaufsüchtig definiert wird. Eine Metaanalyse auf der Basis von Studien aus unterschiedlichen Ländern ergab, dass im Mittel rund fünf Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig sind. Diese Zahl wurde unlängst in einer deutschen Bevölkerungsbefragung bestätigt.
Shoppen als Drang und Zeitvertreib
Prof. Karl Kollmann, der unter anderem für die österreichische Arbeiterkammer zum Thema Kaufsucht geforscht hat, ist überzeugt: "Gesellschaftlich und kulturell besteht der Anspruch, auf allen Ebenen ein erfülltes Leben zu führen." Das erzeuge Druck, für den viele Menschen einen Ausgleich suchen: Nach einem stressigen Arbeitstag belohnen sie sich mit dem Kauf eines neuen Pullovers. Der Konsum sei die simpelste Medizin, um Frustration aus dem Alltag zu kompensieren, erklärt Kollmann: "Ich entschädige mich dafür, indem ich mir etwas kaufe, das mir gefällt."
Das an sich ist natürlich kein Problem. Bei Menschen mit Kaufsucht verselbstständigt sich dieser Mechanismus jedoch. Dann macht Kaufen keinen Spaß mehr, es befriedigt nur noch einen Drang – und vertreibt Langeweile.
Die Gefahren des Online-Shoppings
Verstärkt wird das Phänomen durch die Möglichkeit, auch online einzukaufen – ungesehen, per Mausklick und ohne Bargeld. TV-Shopping, Kataloge, Online-Versandhändler und Dash-Buttons machen Produkte jederzeit und mit extrem kurzen Lieferzeiten verfügbar. Bei bestimmten Betroffenen ist dadurch die Schwelle für exzessives Kaufverhalten oft geschmälert.
Kaufsucht ist schwer zu erkennen
Für jemanden, der mit einem Kaufsüchtigen zusammenlebt, ist schwer zu verstehen, was da passiert: Schon wieder neue Schuhe? Neue Technik, die niemand nutzt? Dass eine Erkrankung dahinterstecken könnte, vermuten die wenigsten. Kaufsüchtige wirken weder verwahrlost noch krank. Im Gegenteil: Betroffene sind häufig besonders gut gekleidet.
Von ihrem Umfeld werden sie allenfalls für willensschwach gehalten – eine Stigmatisierung, unter der sie leiden. Kaufsüchtige haben häufig Schuld- und Schamgefühle und versuchen ihre Probleme daher zu verschweigen. Auch gegenüber engen Vertrauten verharmlosen, rechtfertigen oder verheimlichen viele deshalb ihre Kaufexzesse.
Die wahren Auslöser für Attacken finden
Die individuellen Auslöser sollten in einer Therapie identifiziert werden, rät der Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN).
Betroffene könnten sich darüber hinaus selbst Regeln setzen und beispielsweise nur mit Bargeld bezahlen und Kreditkarten bei ihrer Bank zurückgeben. Eine weitere Strategie sei, die Ware vor dem Gang zur Kasse wieder zurückzulegen und das Geschäft zu verlassen. Denn bei manchen Süchtigen lasse der Drang nach, sobald sie die Kaufatmosphäre hinter sich gelassen haben.
Das können Angehörige tun
Angehörigen sollte das Kaufverhalten offen ansprechen und dem Betroffenen helfen, sich seine Probleme einzugestehen. Damit das funktioniert, hilft es, verständnisvoll und nicht anklagend auf den anderen zuzugehen. Trotzdem ist es wichtig, die Dinge beim Namen zu nennen. Nur so lässt sich der Betroffene motivieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Für Angehörige ist es aber auch wichtig, auf sich selber zu achten und wenn nötig ebenfalls Unterstützung zu suchen. Selbsthilfegruppe gibt es nicht nur für Süchtige, sondern auch für deren Angehörige.
Eine Therapie kann helfen
Geeignete Beratungs- und Behandlungsangebote für Kaufsüchtige sind in Deutschland allerdings rar. Idealerweise werden Kaufsüchtige in kleinen Gruppen therapiert. So können sich die Teilnehmer gegenseitig unterstützen. Einige psychosomatische Ambulanzen bieten solche Gruppentherapien an. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Kaufsuchttherapie nicht.
Während der Therapie analysieren die Teilnehmer erst einmal, in welchen Situationen sie unkontrolliert kaufen. "Dann suchen wir gemeinsam nach Wegen, sich auf andere Weise zu belohnen als durch den Kauf eines unnötigen Kleidungsstücks." Ist die Therapie abgeschlossen, sei es ratsam, sich eine Selbsthilfegruppe zu suchen. Kaufsüchtige sind, wie alle anderen Süchtigen, nie vollständig geheilt. Sie müssen mühevoll lernen, ihre Impulse besser zu kontrollieren, und diese Kontrolle ein Leben lang aufrechterhalten.
- Nachrichtenagentur dpa
- Prof. Nina Romanczuk-Seiferth, leitende Psychotherapeutin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité
- Prof. Astrid Müller von der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinische Hochschule Hannover