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Ann-Marlene Henning im Interview: "Hab Sex im Hirn - gibt diese Idee nicht auf!"


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Ann-Marlene Henning
"Habt Sex im Hirn, gebt diese Idee nicht auf!"

Ein Interview von Nina Bürger

Aktualisiert am 22.11.2013Lesedauer: 7 Min.
Ann-Marlene Henning ist Sexologin und Paartherapeutin. Sie moderiert die 5-teilige TV-Doku "Make Love""Vergrößern des Bildes
Ann-Marlene Henning ist Sexologin und Paartherapeutin. Sie moderiert die 5-teilige TV-Doku "Make Love" (Quelle: Rainer Freese)
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Die Sexologin Ann-Marlene Henning ist spätestens seit Beginn der Dokuserie "Make Love - Liebe kann man lernen" einem breiten Publikum bekannt. In der Sendung geht es derzeit jeden Sonntag um 22.15 Uhr im MDR um Aufklärung, Partnerschaft und den Weg zu besserem Sex.

Vor allem Jugendliche will die Paartherapeutin mit ihrem Wissen rund um Anatomie und sexuelle Identität erreichen. Deshalb gab sie schon 2012 mit Tina-Olszewski das gleichnamige Buch "Make Love. Ein Aufklärungsbuch" heraus. Besonders die darin enthaltenen, freizügigen Fotos von "echtem Sex" sind ungewöhnlich und sorgten für Aufmerksamkeit. Doch auch Erwachsene, die in Hennings Publikationen hinein schnuppern, wissen vieles nicht. Wir haben mit der Neuropsychologin über die Wirkung von Pornos, den weiblichen Orgasmus und Faktoren für guten Sex gesprochen.

Beiträge im Online-Blog, ein Buch und eine TV-Serie: Was genau war und ist Ihre Motivation für so viel Aufklärung?

Ann-Marlene Henning: Täglich sehe ich in meiner Praxis Menschen jeglicher Altersklasse, die elementare Dinge nicht wissen und deshalb unter großem Druck stehen. Viele denken, Dinge können oder tun zu müssen. Falsch geboren zu sein oder gleich aufgeben zu müssen, weil sie nicht kommen können. Dabei habe ich immer wieder gedacht: Da könnte man doch mit einem kleinen bisschen Nachhilfe alles auf den richtigen Weg bringen.

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit jede Frau und auch jeder Mann weiß, dass es einen Klitoralkomplex, eine weibliche Prostata und all das gibt? Und was müssen Männer noch lernen?

Ann-Marlene Henning: Es muss ein Umdenken stattfinden. Weg von Scham und Schuld und der Sperrung von guten Webseiten am Tag (Die Aufklärungs-Homepage zu "Make Love" hat der MDR aus Jugendschutzgründen von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends gesperrt, Anmerkung der Redaktion), hin zu "lass uns mal endlich reden mit den Kindern". Dann können die nämlich selber entscheiden, was sie gucken und was sie nicht gucken. Das, was sie nicht sehen sollten, was Schaden anrichtet, können sie ja oft frei schauen. Das ist grässlich. Warum gibt es kein Fach "Kommunikation, Beziehung und Sexualität" in der Schule, das über ein Jahr oder länger einmal die Woche lang unterrichtet wird? Da muss auch politisch ein Umdenken stattfinden.

Das ganze Problem wird ins Erwachsenenalter hineingetragen. Gibt es einen Unterschied aus Ihrer Praxis, was Frauen eher nicht wissen und was viele Männer nicht wissen oder sind die Differenzen ähnlich?

Ann-Marlene Henning: Man könnte sagen, beide Geschlechter wissen bestimmte Sachen nicht. Aber es gibt einen großen Unterschied: Die Männer wissen besser über ihr Geschlecht Bescheid, die haben sich früher und ausgiebiger damit angefreundet als die Frauen. Da ist wirklich seit über 200 Jahren das weibliche Geschlecht komplett ignoriert worden. Das hat gravierende Folgen.

Sie kritisieren, dass viele Jugendliche sich ihre Aufklärung in Pornos suchen. Wäre ohne Pornos alles besser?

Ann-Marlene Henning: Der Porno ist ja das Einzige, wo man überhaupt was sieht. Da würde ich gerne etwas dran ändern und bin gerade dabei. Deshalb zeigen wir auch in unseren Folgen, wie normale Sexualität aussehen kann. Es ist gut, wenn man überhaupt sehen kann, was Körper machen und wie sie aussehen. Im Porno ist das Bild allerdings verfälscht. Da kommt dann noch ein Problem hinzu: Pornografie ist eine echte Gefahr, weil sie das Gehirn verändert. Dazu gibt es verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen. Für Jugendliche ist das gefährlich. Sie sind gerade dabei, Sexualität zu lernen und sprechen viel mehr auf das Dopamin und die körpereigenen Drogen an, die vom Porno gefüttert werden. Sie kommen viel schneller zum Suchtverhalten. Die Reizschwelle verändert sich. So kommt es zum Beispiel, dass ganz junge Männer plötzlich Probleme mit der Erektion bekommen. Die kommen auch zu mir in die Praxis. Sie trainieren am Computer Dinge, die nicht gut zu Partnersexualität passen. Und deswegen ist meine Meinung: Porno hat negative Auswirkungen.

Können Sie aus Ihrer Praxis drei Dinge nennen, die die meisten Erwachsenen nicht wissen?

Ann-Marlene Henning: Ein verbreitetes Vorurteil ist: "Frau kommt beim Geschlechtsverkehr - mehrfach und leicht". Und wenn sie das nicht kann, stimmt etwas mit ihr nicht. Oder: Wenn meine das nicht kann, dann stimmt etwas mit mir nicht - ich kann es ihr nicht besorgen. Die Leute wissen nicht, dass Frauen sich selber kümmern könnten, ihren Körper kennenzulernen, ihre Lust zu steigern und sich zum Orgasmus zu bringen. Dann kann man lernen, über bessere Wahrnehmung, irgendwann auch vaginal kommen zu können.

Das zweite Vorurteil ist, dass der Penis ja sowieso immer durchgehend stehen muss. Wenn der dann plötzlich nicht mehr so steht - ab Mitte 40 fangen die nicht mehr ganz so stabilen Erektionen an - weiß kaum ein Mann, dass das biologisch bedingt und normal ist. Und dass man deshalb jetzt lernen muss, sich zu erregen. Die meisten reagieren mit: "Ach, meine Frau langweilt mich".

Als drittes könnte ich dieses "Ich habe keine Lust auf Sex" nennen. Da ist so eine Idee im Kopf, dass die Lust universal und angeboren ist. Das stimmt nicht. Es ist angeboren, dass man es irgendwie hinkriegt, zu reproduzieren. Aber wie es einem dabei geht, welchen Genuss man dabei hat, das ist gelernt. Das sind so drei große Irrtümer: Alles muss von alleine funktionieren und die Frau kommt, man hat automatisch Lust und der Penis funktioniert, wie man möchte.

In der Sendung "Make Love" klären Sie über die Klitoris und die weibliche Prostata auf. Was ist für den weiblichen Orgasmus entscheidend?

Ann-Marlene Henning: Am wichtigsten ist der Beckenboden. Man sollte wissen, wo er ist und wie man ihn richtig einsetzt. Vor allem kann man ihn auch nutzen, um gezielt zu entspannen. Viele Frauen liegen da, und spannen ihn gravierend an. Sie wissen nicht, was das macht und haben dann zum Beispiel Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Und denken "ich bin zu eng geboren" oder "ich habe irgendeine Entzündung" - dabei ist es meistens der Beckenboden, den man zu stark anspannt, gerade heutzutage mit diesem ganzen Druck, den man hat. Oder man spannt den Kiefer und oft damit auch den Beckenboden an, ohne das zu merken und zu wissen. Beckenboden und Kiefer arbeiten sehr oft zusammen. Sie gehören zu unserem Flucht- und Stresssystem.

Jetzt reden wir schon eine ganze Weile über Sex und spätestens seit den 60ern sind wir eigentlich ja alle total locker bei dem Thema. Wie kommt es dann, dass so viele beim Thema Sex in der eigenen Partnerschaft doch so verklemmt sind?

Ann-Marlene Henning: Diese sogenannte sexuelle Revolution hat doch etwas gebracht. Sie hat ermöglicht, dass ich heute überhaupt das mache, was ich mache. Aber dass das jeden einzelnen erreicht hat, ist ein Trugschluss. Alice Schwarzer zum Beispiel und ihre ganze Arbeit waren für Frauen unglaublich wichtig. Aber jede einzelne Frau wurde damit lange nicht angesprochen. Was ich einfach feststelle ist: Sobald es um den eigenen Sex geht und damit um das eigene Unvermögen, ist es wie in allen anderen Lebensbereichen: Das gebe ich nicht zu und da rede ich auch nicht drüber.

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Sind die Deutschen im Umgang mit ihrer Sexualität besonders gehemmt?

Ann-Marlene Henning: Die Kirche der letzten 200 Jahre hat da großen Einfluss gehabt, aber es gibt Unterschiede. Zum Beispiel in anderen Kulturen. Auf Kuba oder in Uganda gibt es schon andere Arten, mit Sexualität umzugehen. Und es gibt Studien die zeigen, dass die Deutschen wenn mit dem Penis etwas nicht stimmt, viel viel seltener zum Arzt gehen als Amerikaner oder andere Europäer. In anderen europäischen Ländern sind es über 40 Prozent, die zum Arzt gehen, in Amerika sogar 60 Prozent, in Deutschland sind es nur um die 20 Prozent. Aber da tut sich was.

Wie muss man sich eine Sexualtherapie bei Ihnen vorstellen? So wie in der ersten Folge "Make Love"?

Ann-Marlene Henning: So ähnlich. Nur dass wir ein sehr viel genaueres Diagnosegespräch führen. Dabei wird auch die Kindheit abgefragt, um herauszufinden: Wie sah die sexuelle Entwicklung aus. Und dabei kommen sehr interessante Dinge raus. Wir wollen versuchen, das ganze sexuelle System von unseren Klienten zu verstehen. Dieser sexocorporelle Ansatz beschäftigt sich mit dem Verhalten. Man lernt diese Dinge. Es ist alles sexuelles Lernen, und das muss ich von jedem einzelnen Klienten wissen: Wie lief sein sexuelles Lernen? Das ist ein ganzheitliches Konzept mit Fokus auf das körperliche Lernen. Und dann gibt es Übungen und Hausaufgaben. Die Leute üben zu Hause selber. In der Praxis behält man die Kleidung an und ich fasse niemanden an.

Was erwartet die Zuschauer in den nächsten Folgen "Make Love?"

Ann-Marlene Henning: In der vierten Folge geht es um die erektile Dysfunktion. Da kommt ein Mann um die 50, der seine Erektion nicht mehr so halten kann, wie er will. Und wir reden auch mit Frauen: Was ist dir wichtig im Bett? Wir reden mit jungen Frauen, Cheerleadern und Footballspielern. Und fragen: "Was muss man performen im Bett?" Wie wichtig ist es, dass er steht und so weiter. In der fünften geht es um ein Paar mit einem sehr großen Altersunterschied, das weniger Sex hat, weil es so viel streitet. Da geht es quasi um den Effekt: Wir streiten und entfernen uns körperlich.

Gibt es entscheidende Tipps, die sie Paaren für mehr und besseren Sex geben würden, ganz ohne Sextherapie?

Ann-Marlene Henning: Ja. Das hört sich so banal an, aber ich sage: "Trau dir was". Trau dich zu reden, trau dich zu sagen: "Ich mag nicht, dass du mich so anfasst." Das steht eng im Zusammenhang mit: Zeig dich! Auch wenn du schlechte Eigenschaften hast, dann steh dazu! Gesteh diese Schwäche ein und streite sie nicht ab! Sei ehrlich, authentisch. Das hört sich immer so belanglos an, aber es ist wirklich so wichtig. Und dann: Hör nie auf zu küssen! Bleibt ein Liebespaar! Mit dem Partner immer kleine körperliche Dinge tun, die nicht Bruder-Schwester sind. Haltet diesen Kontakt! Und das bedeutet zum Beispiel auch: Achte darauf, wie du dich anziehst! Zeig dich als sexuelles Wesen! Ich meine jetzt nicht unbedingt kurze Röcke und auch nicht unbedingt Schlabber-Jogginghosen-Verbot. Aber kümmer dich ein bisschen, wie du aussiehst und geh weiter zum Friseur! Mach deine Nägel oder rasier dich! Kümmer dich, dass du weiterhin attraktiv bist. Habt Sex im Hirn, auch im Alltag! Gebt diese Idee nicht auf!

"Make Love" ist ein Aufklärungsbuch für Jugendliche. Haben Sie angedacht, ein Buch für Erwachsene zu schreiben?

Ann-Marlene Henning: Ich bin dabei. Das Buch soll Ende nächsten Jahres erscheinen.

Gibt es da schon einen Titel?

Ann-Marlene Henning: Ja. "Make more Love" beim gleichen Verlag.

Mehr Aufklärung und Informationen zum Buch sowie zur Sexualtherapie finden sich auf der Homepage von Ann-Marlene Henning www.doch-noch.de

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