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"Stern TV": Sportwetten als gefährliche Einstiegsdroge


"Stern TV"
Wettanbieter verführen Minderjährige zum Glücksspiel

t-online, rev

07.11.2013Lesedauer: 4 Min.
Schätzungen von Experten zufolge hat jeder zweite Jugendliche schon einmal Erfahrungen mit Glücksspiel gesammelt.Vergrößern des Bildes
Schätzungen von Experten zufolge hat jeder zweite Jugendliche schon einmal Erfahrungen mit Glücksspiel gesammelt. (Quelle: Schoening/imago-images-bilder)

Über 3000 Wettbüros gibt es in Deutschland mit einem jährlichen Umsatz von 2,9 Milliarden Euro. Der Reiz aus wenig Geld viel Geld zu machen, ist groß, doch die Gewinnchancen offensichtlich nicht so hoch, wie manch einer denkt: Denn von sämtlichen Wetteinsätzen blieben letztes Jahr rund eine Milliarde Euro bei den Anbietern. Da Wetten unter 18 Jahren nicht erlaubt ist, müssen sich aber wenigstens Eltern keine Sorgen machen, dass ihre Kinder bei Sportwetten ihr Taschengeld verprassen. Oder doch? Die RTL-Sendung "Stern TV" ist dieser Frage nachgegangen.

"Der Erstkontakt ist ein sehr prägendes Erlebnis", sagt der Experte für Glücksspielsucht Dr. Tobias Hayer von der Universität Bremen. "Wenn junge Leute schon mit 13, 14 oder 15 Jahren Erfahrungen mit Glücksspielen sammeln und auch noch Erfolgsmomente dazu kommen, dann ist die Gefährdung für eine spätere Problementwicklung groß."

"Das war denen völlig egal": 40 Prozent der Anbieter lassen Jugendliche wetten

Während das Gesetz deshalb Glücksspiel für Jugendliche verbietet, gehen viele Wettanbieter fahrlässig mit diesem Risiko um. Das zeigt ein Test von "Stern TV": Mit versteckter Kamera und ausreichend Bargeld ausgestattet wurden die beiden 15-Jährigen Johnny und Freddy in zwölf verschiedene Wettbüros geschickt, wo sie versuchten, Fußballwetten abzuschließen. Der Einlass war in der Regel kein Problem. Kaum jemand nahm die Teenager überhaupt wahr.

"Man muss nur an einen Automaten kommen und dann ist die Sache schon vorbei. Man muss nur kurz was drücken - ist schon ziemlich einfach", berichtet Johnny. Das Ergebnis des Tests: Von zwölf Wettbüros konnten Freddy und Johnny bei fünf Büros Wetten abgeben und stellten anschließend fest: "Wir hätten noch einen Schein machen können. Das war denen völlig egal." Und wenn es einmal nicht klappt, ist die Auswahl bei 3000 Sportwettenanbietern in Deutschland groß genug. Viele davon sind interessiert daran, junge Kunden zu gewinnen, um sie dann über Jahrzehnte zu binden.

Sportwetten als Einstiegsdroge für Jugendliche

Sportwetten gehören längst zum täglichen Gespräch auf dem Schulhof, wie Freddy und Johnny im "Stern TV"-Beitrag bestätigen. "Es ist schon ziemlich beliebt. Extrem verlockend aus wenig viel Geld zu machen", sagt Freddy und verdeutlicht, welche Ausmaße es bereits nimmt: "Es gibt auch solche, die tippen jeden Tag. Die sagen dann 'chinesische Liga, griechische Liga, türkische Liga, alles!'" Konkrete Zahlen, wie viele der Zwölf- bis 17-Jährigen in Deutschland auf diese Weise zocken, gibt es nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass die Hälfte aller Jugendlichen schon mal Kontakt mit Glücksspiel hatte.

Experten wissen, dass es für gewöhnlich nicht bei einem einzigen Wettversuch bleibt: "Wenn ein Jugendlicher einmal wettet, sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass er das nie wieder tun wird", ist sich Hayer sicher. Die Teenager selbst sehen es genauso: "Ich denke schon, dass da ein gewisser Suchtfaktor ist. Vor allem, wenn man das erste Mal gewinnt", erklärt Johnny. "Dann sagt man 'ich spiele jetzt nur so viel, bis der Gewinn wieder weg ist'. Aber das stimmt nicht, man spielt so lange weiter, bis man etwas gewinnt und sieht dann meistens nur den Gewinn und vergisst, dass man schon hundert Euro verballert hat."

Der erste Kick vor 25

Zwischen dem Einstiegsalter und der Suchtgefahr bestehe ein Zusammenhang, so Glücksspielexperte Ingo Fiedler von der Universität Hamburg. Der Studiogast bei "Stern TV" hält Glücksspiel für ein "suchtgefährdendes Gut", das er mit Drogen und Alkohol vergleicht. Er sagt: "Bei Menschen, die schon unter 25 Jahren mit Sportwetten angefangen haben, ist das Gehirn auf den Kick konditioniert. Ein Ausstieg fällt dann schwer." Gerade Teenager, die dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, glauben daran, mit ihrem Tipp das Spiel zu kontrollieren.

Wettbüros müssen Gewinn an Minderjährige nicht auszahlen

Was aber geschieht, wenn Personen unter 18 Jahren tatsächlich einen Gewinn erzielen und ihren Wettschein einlösen wollen? Auch Johnny und Freddy hatten beim "Stern TV"-Test richtig getippt. Doch ein Geschäft ist nicht zustande gekommen. Die beiden sind noch keine 18 Jahre und durften noch nicht wetten. Da der Vertrag somit nichtig ist, muss der Betreiber einen etwaigen Gewinn nicht auszahlen - jedoch den Einsatz zurückgeben. Was spätestens auf Nachhaken von RTL - wenn zum Teil auch nur widerwillig - jedes der Wettbüros getan hat. Allerdings sollte es den Jugendlichen normalerweise leicht fallen, einen volljährigen Kumpel oder Verwandten zu finden, der den Wettschein dann für sie einlöst.

Allein schon dass die Jungs gewettet haben, ist aber bereits eine Ordnungswidrigkeit. Das kann zum Lizenzentzug führen oder laut Informationen von "Stern TV" mit bis zu 50.000 Euro Bußgeld bestraft werden. Der Betreiber kann sich auch nicht mit dem sogenannten Taschengeldparagraphen herausreden, der Kindern in begrenztem Rahmen "Kaufverträge" erlaubt. Denn: Im Glückspielstaatsvertrag ist geregelt, dass unter-18-Jährige nicht am Glücksspiel teilnehmen dürfen. Das Jugendschutzgesetz sagt das selbe.

Zu wenig Kontrollen aufgrund fehlender Lizenzen

Ein anderes wesentliches Problem ist, dass die meisten Wettbüros noch keine Konzession haben, sie werden bislang nur geduldet. Die Lizenzen, die es in Deutschland geben soll, sind noch nicht verteilt. Deshalb gibt es auch nur wenige Kontrollen. Die Mitglieder des Verbands Europäischer Wettunternehmer (VEWU) würden sich jedoch zur Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen und zum Schutz ihrer Kunden verpflichten, sagt der Präsident des VEWU Markus Maul, der sich seit Jahren für die Liberalisierung des Marktes und die privaten Wettanbieter einsetzt. Er war ebenfalls als Gast im "Stern TV"-Studio und betont: "Unsere Mitglieder nehmen den Minderjährigenschutz ernst und versuchen alles, um zu gewährleisten, dass der auch eingehalten wird. Schon in ihrem eigenen Interesse, denn die Unternehmen haben aufgrund der rechtlichen Begebenheiten genug Probleme."

Tatsächlich zeigten sich laut RTL auch die meisten Betreiber der Wettläden bei der Konfrontation einsichtig. Aufgrund der rechtlichen Grauzone, in der sie sich befinden, fürchten viele um ihre Existenz - so wie angesichts des oft verantwortungslosen Umgangs mit jugendlichen Kunden viele Eltern doch um das Taschengeld ihrer Kinder fürchten müssen und dass diese in eine Schuldenspirale geraten, trotz eindeutiger Gesetze.

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