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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Essen & Trinken Aielo de Malferit: Enjoy Kola-Coca!
Alle im Dorf kennen die Geschichte. Jeder in Aielo de Malferit weiß Bescheid. Vom kleinen Schuljungen bis zum tattrigen Greis. Juan Micó nimmt eine dünne Glasröhre und gießt eine zähe braune Flüssigkeit hinein. Durch die staubigen Fenster fallen fahle Lichtkegel in den Raum. In einer kleinen Gemeinde im Süden Spaniens glaubt ein Unternehmer, seine Firma habe der Welt erfunden - Coca-Cola. Er hat sogar Beweise.
Es riecht nach feuchtem Holz. "Gehobelte Kola-Nuss und Kräuter vermengt mit Alkohol", sagt Micó. "Etwa einen Monat reift alles zusammen im Tonkrug. Was danach passiert, ist geheim." Micó trägt einen weißen Kittel und eine Brille mit silbernem Rand. Sein Haar ist grau. Der 74-Jährige hütet ein großes Geheimnis. Das Rezept für seinen Likör Nuez de Kola-Coca soll die Basis für das berühmteste Getränk der Welt sein: Coca-Cola.
Noch einmal schüttelt Micó die Flüssigkeit im Glas, so als wolle er ihre Konsistenz prüfen. Träge schwappt der Likör hin und her. Dann lässt der 74-Jährige uns kosten. Der Geschmack ist süß, sehr süß. Zuckerrübensirup ist ein Wässerchen dagegen. "Es ist besser ihn zu mischen, als ihn pur zu trinken", sagt Micó beinahe entschuldigend. "Mit etwas Wasser schmeckt er am besten, Frauen trinken ihn auch mit Milch." >>
Vor mehr als 120 Jahren haben Micós Vorgänger den Anís Celestial, den himmlischen Anis, erfunden. Heute ist der Likör als Nuez de Kola-Coca bekannt. Und manchmal kommen ganze Busladungen zu Micó, um ihn zu kosten, denn der Likör hat eine große Vergangenheit.
"Tränen des Steuerzahler"
Die Geschichte der Fábrica de Licores von Aielo geht bis in das Jahr 1880 zurück. Damals gründeten die drei Unternehmer Bautista Aparici, Ricardo Sanz und Enrique Ortiz die Fabrik. Ihnen gelang es, einige exzellente Produkte herzustellen, darunter Liköre mit so klangvollen Namen wie "Perfecto Amor" (Perfekte Liebe), "Lagrimas de Contribuyente" (Tränen des Steuerzahlers) und "Placer de Damas" (Genuss für Frauen).
Schon bald reiste Aparici, der für den Vertrieb zuständig war, auf Messen nach Rom, Paris, London und Chicago. Als er 1885 nach Philadelphia fuhr, hatte er auch einige Flaschen eines neuen Getränks namens Kola-Coca im Gepäck. >>
Das stellten die drei damals aus koffeinhaltigen Kola-Nüssen und den Blättern des Coca-Strauchs aus Peru her. Prompt gewannen sie den Preis für die beste Neuerfindung. Einige Flaschen ließ Aparici als Proben bei Vertretern in den USA. Zufall oder nicht: Nur ein Jahr später erfand der amerikanische Pharmazeut John Pemberton Coca-Cola.
Micó steht in seinem Büro und hält einen goldenen Bilderrahmen in der Hand. Darin: Medaillen. Mailand 1881, Chicago 1883, Philadelphia 1885, London 1889, Paris 1900. Es sind einige der Auszeichnungen, die die Firma einst für ihre flüssigen Kreationen erhielt. "Insgesamt 20 Goldmedaillen und zehn Ehrendiplome", sagt Micó. Der Unternehmer hält den Rahmen wie einen Beweis in die Luft, denn die Basis für Coca-Cola wurde in der 5000-Seelen-Gemeinde erfunden, da ist er sich sicher.
Der Siegeszug von Coca-Cola in Amerika
Auffällig: Auch bei Coca-Cola gehörten Kola-Nüsse und Coka-Blätter zu den ursprünglichen Zutaten. "Damals konnte man Getränke leicht kopieren. Denn Patente wurden erst angemeldet, wenn ein Getränk Erfolg hatte." Deshalb ließen seine Vorgänger Nuez de Kola-Coca auch erst 1903 für Spanien patentieren - zu einem Zeitpunkt, als Coca-Cola in den USA schon längst auf dem Siegeszug war.
Spanische Cola wurde zum Likör
Doch die Wege der beiden Firmen kreuzten sich erst ein halbes Jahrhundert später. Als Coca-Cola in den 1960er-Jahren den spanischen Markt erobern wollte, führte an der kleinen Fabrik aus Aielo de Malferit kein Weg mehr vorbei. 1953 fanden die Manager der Coca-Cola Company den Weg in die spanische Provinz und kauften dem damaligen Besitzer die Namensrechte an seinem Getränk ab. Die Fabrik durfte zwar weiter unter dem Namen Kola-Coca produzieren, allerdings nur noch mit Alkohol. Seitdem ist Nuez de Kola-Coca ein Likör. 30000 Peseten sollen damals über den Tisch gegangen sein. Doch so genau weiß das niemand mehr, auch nicht Micó, denn viele der alten Dokumente wurden zerstört. In jedem Fall war es viel Geld, glaubt Micó. Doch nichts ist das gegen das, was daraus hätte werden können. "Würden wir heute nur ein Tausendstel der Anteile besitzen, wären wir alle Millionäre." >>
Micó und die ehemaligen Besitzer könnten reiche Leute sein, doch sie sind es nicht. Stattdessen besteht das Unternehmen aus nicht viel mehr als einem altem Fabrikgebäude, von dessen Fassade der Kalk abbröckelt, einem ausgetretenen Steinboden und ein paar Dutzend Holzfässern. Nach zahlreichen Besitzerwechseln kaufte Micó das Unternehmen 1971. Acht Jahre arbeitete er da schon im Betrieb, zuerst als einfacher Angestellter, dann als Assistent des Chemikers, später als Vertriebsleiter. Damals hatte die Fabrik noch mehr als drei Dutzend Angestellte, heute sind es nur noch vier. "Das Geschäft ist schwierig geworden", sagt Micó. Ausländische Firmen hätten den Markt erobert. Die meisten traditionellen Betriebe seien verschwunden. Auch er verkauft nur noch direkt ab Lager. Um überleben zu können, ist Micó heute nebenbei Landwirt. Außerdem hat seine Firma vor einiger Zeit den Vertrieb für eine große spanische Bierbrauerei übernommen.
Micó steht jetzt vor einem Buch. Es ist so groß wie ein Weltatlas, nur dreimal so dick. Seit den 1920er-Jahren trugen die Mitarbeiter der Fabrik hier alle Verkäufe ein. Hunderte Seiten gestochen scharf geschrieben mit schwarzer Tinte. Micó hat das Buch aus reiner Nostalgie aufgehoben, eingetragen wird hier schon lange nichts mehr. "Die Fabrik ist für uns heute kaum mehr als ein Hobby", sagt der Unternehmer. "Wir wollen die Tradition aufrecht erhalten, damit sie nicht verloren geht. Aber wir können nichts mehr investieren, denn es fehlt uns an Mitteln." Micó ist 74. Vielleicht führt er das Unternehmen noch fünf oder sechs Jahre weiter. Dann wird sein Sohn José Juan die Firma übernehmen. Er ist 43. "Danach", sagt Micó, "danach ist dieses Kapitel Geschichte wahrscheinlich beendet, und wir schlagen dieses Buch zu."
Die Anreise findet zum Beispiel mit Tuifly von elf deutschen Flughäfen nach Valencia oder mit Air Berlin nach Alicante statt. Von Valencia sind es zirka 80 Kilometer nach Aielo de Malferit, von Alicante 95 Kilometer.
Die Likörfabrik Destílerías Ayelo finden Sie am Plaza Palacio 7, Tel. 0034/96/2360007, ES-46812 Aielo de Malferit. Die Likörfabrik hat werktags von 9:30 bis 13 Uhr und von 15:30 bis 19:30 Uhr geöffnet, samstags von 9:30 bis 13 Uhr. Der Eintritt ist frei.