Kolumne "Lust, Laster und Liebe" Einfacher Test zeigt, wer das Zepter in der Hand hat
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Sie bestimmen, wohin der Urlaub geht? Ihr Partner hat das Sagen bei größeren Anschaffungen? All das zeigt nicht, wer bei Ihnen das Sagen hat. Doch was zeigt es dann?
Aufmerksam wurde ich, als mich meine Freundin Anna mit diesen Worten versetzte: "Ich habe heute Abend sturmfrei." Eigentlich ist das erst recht ein Grund, um feiern zu gehen. Allerdings nicht für Anna. Stattdessen bejubelt sie die Abwesenheit ihres Mannes, indem sie es sich auf dem Sofa bequem macht – und dort bleibt. Den ganzen Tag. Den ganzen Abend. Und, wenn möglich, die ganze Nacht. Was sie dabei macht? Essen. Und – das Wichtigste: die Glotze laufen lassen.
Was erst einmal bekannt und banal klingt, öffnete mir in gewisser Hinsicht die Augen. Denn: Wer wirklich wissen will, wie es um die Machtverhältnisse in einer Partnerschaft steht, muss nur eine einzige Frage stellen: "Wer hat die Macht über die Fernbedienung?"
Aus der Distanz betrachtet, schienen Anna und Paul auf Augenhöhe zu sein. Mal bestimmte sie das Restaurant für den Abend. Mal suchte Paul das Reiseziel aus. Und war die eine mit dem Vorschlag des anderen nicht einverstanden, einigten sie sich friedlich und einvernehmlich auf einen Kompromiss.
Das funktionierte meist sehr gut. Nur eben nicht beim Fernsehprogramm, wie Anna mir irgendwann offenbarte. "Die Kochshows hängen mir zum Hals raus", sagte sie gefrustet. "Manchmal möchte ich einfach nur meine Marvel-Serien genießen. Ohne mir anhören zu müssen, dass das vollkommener Schwachsinn sei." Abwechselnd das Fernsehprogramm zu bestimmen, käme für beide nicht infrage. Genauso wenig, wie den Abend in getrennten Räumen zu verbringen und dabei die eigene Wunschserie zu konsumieren. "Dafür lieben wir es viel zu sehr, beieinander zu sein."
Ein Dilemma.
Ein Generationen-Ding?
Plötzlich wurde mir bewusst, wie vertraut auch mir schon seit meiner Kindheit das Machtphänomen "Fernbedienung" war. Wie oft habe ich mit Freunden gejubelt, weil wir sturmfrei hatten und uns endlich in Ruhe und rauen Mengen "He-Man", "Knight Rider" und Co. im Fernsehen reinziehen konnten, ohne dass die Erwachsenen meckerten. "Macht die Flimmerkiste aus! Eine Serie ist mehr als genug!"
Auch furchtbar: Damals wurde beim Besuch bei Verwandten und Bekannten die Fernbedienung selbstverständlich dem Oberhaupt der Familie – damals stets der Vater – überreicht, sobald dieser in den Raum trat. Der Chef erhielt das Zepter. Sodann oblag es seiner Entscheidungshoheit, ob zum Kaffee Tennis oder Formel 1 geschaut oder der Fernseher ausgestellt und sich während des Essens unterhalten werden durfte.
Was für ein absurder Usus! Eine einzelne Person darf in aller Willkür darüber bestimmten, wie ein oder mehrere Anwesende ihre gemeinsame Lebenszeit zu verbringen haben. Noch absurder ist, dass dieser Brauch in einigen Beziehungen noch immer gepflegt wird.
Was jetzt anders ist
Dabei gibt doch einen entscheidenden Unterschied zu damals: Heute können viele Partner ohne Fernbedienungsmacht problemloser selbst bestimmen, wie sie mit der Situation umgehen: Sie können den Raum verlassen und im Nebenzimmer auf einem anderen mobilen Endgerät über einen Streamingdienst anschauen, wonach ihnen der Sinn steht. Oder sie teilen zumindest physisch weiterhin einen Raum mit ihrem fernsehenden Partner und gehen dort ihren eigenen Interessen nach – lesen, stricken, am Tablet surfen.
Im Gegensatz zu damals können sich die meisten Haushalte heutzutage auch zwei Fernseher in getrennten Räumen leisten. Doch aufgemerkt: Denn das befeuert insbesondere die Stromrechnung anstelle der Paarbindung.
Kurzum, im Großen und Ganzen kann ich die Lösung meiner Freundin absolut nachvollziehen, sie hat sich smart an die Realität angepasst. Denn auf diese Weise kann man seine Lieblingsserie am Stück durchgucken, ohne Unterbrechung, ohne Jammern des oder der anderen. Schön in eine Decke gekuschelt, mit Snacks in bequemer Nähe. Und mit Pinkelpausen genau an den Stellen, an denen man es vor lauter Blasendruck nicht mehr aushält. Kein Pausieren, kein Zurückspulen, keine Zwischenfragen. Ich persönlich suche zudem explizit nach wirklich guten Serien – und behalte auch, was ich konsumiert habe. So gesehen, gebe ich in diesem Punkt gerne die Macht ab. Solange ich bei anderen, mir wichtigen Themen häufiger den Ton angeben darf.
Jennifer Buchholz, Redakteurin bei t-online.de, schreibt in ihrer Kolumne "Lust, Laster, Liebe" über Liebe, Partnerschaft und Sex.