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Energiewende: 90 Prozent der Solaranlagen befinden sich auf Privatdächern


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Probleme bei Subventionen in Deutschland
"90 Prozent bleiben ungenutzt"

InterviewVon Lucas Maier

Aktualisiert am 21.06.2024Lesedauer: 6 Min.
Chinas Energiepolitik (Symbolbild): "China hatte einen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit".Vergrößern des Bildes
Chinas Energiepolitik (Symbolbild): "China hatte einen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit". (Quelle: imago/NurPhoto, Xinhua, Getty Images/xijian (Collage t-online)/imago-images-bilder)

In Deutschland könnten viel mehr Solarzellen verbaut werden. Woran es hakt, erklärt ein Solarexperte im Interview.

Bis 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Dafür ist ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien notwendig, bis 2030 soll sich deren Anteil verdoppeln, so der Plan der Bundesregierung. Dafür muss auch der Bereich der Solarenergie stark ausgebaut werden. Im Interview erklärt der Solarexperte Melchior Schulze Brock, an welchen Stellen noch nachgebessert werden muss.

t-online: Wie gut ist Deutschland bei der Stromgewinnung durch Photovoltaik-Anlagen aufgestellt?

Melchior Schulze Brock: Generell sind die Zahlen für Photovoltaik (PV) aktuell sehr stark. Mehr als eine Million neue Solaranlagen mit einer Spitzenleistung von 14 Gigawatt (GW) wurden allein im letzten Jahr in Betrieb genommen.

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Aktuell werden in Deutschland gut 82 GW Solarleistung erzeugt. Die Regierung will aber bis 2030 auf insgesamt 215 GW kommen. Das ist mit 14 GW zusätzlich im Jahr nicht zu erreichen.

Stimmt. Zumal das gesamte Potenzial ungefähr zehnmal höher liegt. Auf deutschen Dächern könnten rund 560 GW produziert werden. Der Großteil der Anlagen befindet sich derzeit auf Wohngebäuden. Im Jahr 2022 wurden etwa rund 90 Prozent der neuen PV-Anlagen auf Wohngebäuden, und nicht auf gewerblich genutzten Häusern oder Hallen, installiert.

Gibt es denn so viel mehr Wohngebäude?

Eben nicht – hier wird großes Potenzial für die Energiewende liegen gelassen. Rund 19 Millionen Wohngebäuden stehen etwa 21 Millionen Nicht-Wohngebäuden gegenüber. Wenn man sich etwa Lager- und Logistikhallen vor Augen führt, wird schnell klar, dass hier viel mehr Dachfläche verfügbar ist als bei privaten Häusern. In Summe sprechen wir hier von mehr als 90 Prozent der geeigneten Firmendächer, die für die Energiewende ungenutzt bleiben.

Ist die Installation zu aufwendig, oder woran liegt das?

Nein. Die Installation auf Gewerbedächern ist häufig einfacher als auf Einfamilienhäusern. Denn die meisten Firmendächer sind Flachdächer mit einer Folie oder Bitumenbahn als Dachhaut. Bei Schrägdächern mit Ziegelsteinen, wie sie bei Einfamilienhäusern typisch sind, ist die Installation oft komplizierter. Die Herausforderung liegt vielmehr in der Größe der Anlagen. Weil die Dachflächen gewerblich genutzter Bauten größer sind, sind es auch die Anlagen. Regulatorisch fristen sie deshalb ein Zwitterdasein.

Was meinen Sie damit?

Einerseits sind sie auf Dächern montiert, so wie die kleineren Systeme auf Privathäusern. Andererseits erbringen sie Leistungen, die mit großen Anlagen auf freiem Feld vergleichbar sind.

Zur Person

Melchior Schulze Brock ist der Gründer von dem Solar-Startup Enviria. Das deutsche Unternehmen bietet seit 2017 Konzepte für Firmen an, die auf Solar-Strom wechseln möchten. Zuvor arbeitete Brock als Banker.

Warum ist das ein Problem?

Aufgrund zu hoher Leistung erhalten sie nicht die gleichen Förderungen wie Privatanlagen. Gleichzeitig sind die Anlagen auch weit weniger ertragreich als Freiflächenanlagen. Notwendige Investitionen fallen dadurch viel stärker ins Gewicht. Außerdem sind große Anlagen mit weitaus größerem Aufwand verbunden. Sie können nicht einfach an den Hausanschluss angeschlossen werden, sondern müssen in das überregionale Stromnetz eingebunden werden.

Und das ist kompliziert?

Ja, denn häufig sind hier extra Trafo-Stationen notwendig, welche die Spannung umwandeln. Das ist nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Hinzu kommt die Abstimmung mit den Netzbetreibern. Eine kleine 5 Kilowatt-Solaranlage auf einem Einfamilienhaus hat fast keinen Effekt auf das Stromnetz. Eine 1.000 Kilowatt-Anlage hingegen schon – das Netz könnte überlasten und ausfallen. Um das zu verhindern, sind ausgiebige Prüfungen notwendig.

Aber es gibt doch auch Vorteile: Den Strom, den Firmen mit ihrer Anlage ins Netz einspeisen, bekommen sie vergütet.

Ja, aber für sie gibt es keine feste Einspeisevergütung, anders als bei kleineren Anlagen etwa auf privaten Hausdächern mit bis zu 100 Kilowatt. Der Strom aus größeren Anlagen wird direkt vermarktet. Damit ist der Preis vom Strommarkt abhängig und unterliegt einem ständigen Wechsel – damit lässt sich schlecht bis gar nicht planen.

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Könnten Unternehmen mit einer großen PV-Anlage sich stattdessen dann nicht autark versorgen, also unabhängig vom allgemeinen Stromnetz?

Nein, der Stromverbrauch von Unternehmen ist häufig weitaus höher als bei Privathäusern. Für die Produktion muss die Versorgung außerdem zuverlässig sein – das ist das A und O. Wenn gerade also kein Solarstrom verfügbar ist – würden die Bänder stillstehen und es würde zu sehr hohen Kosten führen, die sich nicht kalkulieren lassen.

Könnte in diesen Ausnahmefällen dann nicht Strom hinzugekauft werden?

Das kann schnell kostspielig werden, und es besteht die Gefahr, dass der zugekaufte Strom dann aus weit weniger grünen Quellen kommt. Damit das alles nicht passiert, müssen die einzelnen Komponenten perfekt aufeinander abgestimmt werden – das erfordert ein hohes Maß an Planung. Kurzum: Im Gegensatz zu Privathaushalten kommt für die meisten Unternehmen eine Lösung von der Stange nicht infrage.

Versagt der Markt also bei Solaranlagen für Unternehmen?

Marktversagen klingt schon sehr dramatisch. Tatsächlich hat der Markt für Photovoltaik-Systeme in den vergangenen Jahren beeindruckende Fortschritte gemacht. 2023 wurden mehr Anlagen ans Netz genommen als je zuvor. Seit 2010 sind die Kosten für neue Anlagen um mehr als 80 Prozent gefallen. Eine große Hürde ist und bleibt aber die Anfangsinvestition. Viele Anbieter, Enviria inklusive, bieten deswegen verschiedene PV-Modelle, etwa zum Mieten an. Uns war es von Anfang an wichtig, Unternehmen die Umsetzbarkeit von Photovoltaikanlagen so einfach wie möglich zu machen.

Wenn es nicht am Markt scheitert – woran dann?

Im Fall der regulatorischen Hürden können wir uns nicht nur auf den Markt verlassen. Wir benötigen deutliche Zeichen der Politik. Das gerade verabschiedete Solarpaket ist da ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Darin werden endlich auch die Herausforderungen für die Installation großer Dach-Anlagen berücksichtigt. Trotzdem wirkt die Bürokratie immer noch wie ein Flaschenhals. Aber auch der schleppende Netzausbau hemmt den PV-Ausbau enorm. Es ist also ein Zusammenspiel aus Nachfrage, Markt und Politik.

China subventioniert den PV-Anlagen-Markt und hat damit, nach Einschätzung von Experten, den deutschen Markt ausgetrocknet.

Die Situation ist sehr komplex: Während die Subventionen in China einen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit hatten, entstanden durch die sinkenden Preise auch weltweit Chancen für den Ausbau der Solarenergie. Statistiken zeigen, dass die Preise für Solarmodule zwischen 2010 und 2020 um satte 90 Prozent gesunken sind. Dadurch wird der Solarausbau natürlich auch immer erschwinglicher.

Video | Macht China wirklich unser Klima kaputt?
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Quelle: t-online
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Also war Chinas Subventionspolitik in Ihren Augen richtig?

Sie war, wie sie war. Wichtig ist: Auch in Deutschland und Europa ist die Solarproduktion absolut wünschens- und erhaltenswert. Nur wird das ohne Förderung schwer. Die Maßnahmen sollten allerdings mit Bedacht gewählt werden, damit der Solarausbau nicht ins Stocken gerät. Schließlich sind die Ziele der Bundesregierung mit 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien und 215 GW Solarleistung bis 2030 hochgesteckt.

Sehen Sie Ansätze dafür?

Ja. Die EU hat mit dem Net Zero Industry Act (NZIA) einige spannende Vorschläge gemacht, wie die Herstellung von Klimatechnologien in Europa gestärkt und Hindernisse abgebaut werden können. Die Umsetzung beobachten wir mit großem Interesse.

Was müsste vereinfacht werden?

Insbesondere der komplizierte Netzanschluss. In Deutschland gibt es über 850 Netzbetreiber. Der Prozess zum Netzanschluss ist bei fast allen unterschiedlich. Das macht es gerade für große Anlagen kompliziert, weil hier viel mehr Dinge abgestimmt werden müssen. Für jedes Projekt muss zudem ein Netzanschlussbegehren geäußert und der Netzbetreiber nach einem möglichen Anschlusspunkt gefragt werden. Dieser weist dann den Anschlusspunkt zu. Per Gesetz hat er dafür acht Wochen Zeit, wir erleben in der Praxis aber oft längere Wartezeiten.

In einigen Fällen müssen Anlagen dann auch verkleinert werden, weil es keinen optimalen Netzanschlusspunkt gibt. Das deutsche Stromnetz ist nicht an allen Stellen so ausgebaut, dass eine große PV-Anlage gebaut werden kann.

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Auf den Punkt gebracht: Was müsste die Politik tun, um PV-Anlagen attraktiver zu machen?

Insgesamt sind die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland viel zu komplex. Wir brauchen klarere und einheitlichere Regelungen, weniger Bürokratie und gezielte steuerliche Anreize. Der Ausbau von Infrastruktur und eine konkrete Speicherstrategie sind überfällig. Ich weiß aber auch, dass die Politik bereits aktiv an Verbesserungen arbeitet. Endlich kommt etwas Bewegung in das Thema.

Wie viel CO2 könnte eingespart werden, wenn es flächendeckend PV-Anlagen auf Firmendächern gäbe?

Allein an Seitenrandstreifen, über Parkplätzen, sowie auf Industrie- und Gewerbeflächen könnten laut einer Studie 287 Gigawatt Solarenergie installiert werden. Das ist deutlich mehr als die Zielgröße des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das 200 Gigawatt für Freiflächen-PV-Anlagen bis zum Jahr 2040 vorsieht. Eine flächendeckende Installation von Photovoltaik-Anlagen auf Firmendächern kann, wenn sie fossile Energie ersetzt, in Deutschland Millionen Tonnen CO2 einsparen. Wir haben hier enorm viel ungenutztes Potenzial.

Verwendete Quellen
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