Gipfel in Glasgow Wo steht Deutschland beim Klimaschutz?
Unaufhörlich schreitet der Klimawandel voran, die Länder der Vereinten Nationen müssen den Kampf aufnehmen. Auch Deutschland ist in der Pflicht. Ein Überblick.
In wenigen Tagen beginnt in Schottland die Weltklimakonferenz. In Berlin laufen parallel Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung. Experten sehen in dieser Kombination eine große Chance, aber auch eine besondere Verantwortung.
Deutschland werde bei der Weltklimakonferenz keine "lame duck" sein, keine lahme Ente also. Das stellt Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth klar. Die Bundesregierung sei zwar nur noch geschäftsführend im Amt, aber "voll handlungsfähig", sagt er in einer Konferenz vor Journalisten, die unter anderem wissen wollen: Welche Rolle wird Deutschland in den kommenden zwei Wochen bei der UN-Konferenz in Glasgow spielen?
Knackpunkt: Finanzierung
Klar ist: In den vergangenen anderthalb Jahren ist bereits viel diplomatische Vorarbeit geleistet worden, auch von deutscher Seite. Erst Anfang dieser Woche erklärte Flasbarth, dass Deutschland seinen Beitrag zur Unterstützung ärmerer Staaten bei der Klimaanpassung in den kommenden Jahren "substanziell erhöhen" werde. Im vergangenen Jahr lag er bei mehr als sieben Milliarden Euro. Insgesamt müssten die Industriestaaten aber noch viel mehr Geld beisteuern, meinen Umweltverbände. Geld wird eines der Knackpunktthemen sein, wenn ab diesem Sonntag die Vertreter von fast 200 Nationen in Schottland zusammenkommen.
Die geschäftsführende Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wird die entscheidenden Weichenstellungen zunächst nur aus der Ferne begleiten. Wegen der Koalitionsverhandlungen in Berlin wird die Ministerin erst gegen Ende der Konferenz anreisen können. "Deutschland kommt mit einem starken, neuen und rechtsverbindlichen Klimaziel nach Glasgow", sagt die SPD-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur.
Umweltministerin verspricht Klimaneutralität bis 2045
Das Land wolle bis 2045 klimaneutral werden, also nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen, wie wieder gebunden werden können. Fünf Jahre früher als auf EU-Ebene, betont Schulze. Die deutsche Delegation gehöre zu den "Akteuren, die in der Lage sind, Brücken zu bauen zwischen den einzelnen Lagern. Wir haben die Expertise, die Erfahrung und die Vertrauensbasis, die Fortschritte auf solchen Konferenzen möglich machen."
Diese Fortschritte sind nötiger denn je. Bis zum Ende des Jahrzehnts droht der Welt ein Temperaturanstieg von 2,7 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Dabei ist das große Ziel, auf das sich die Staaten bereits 2015 in Paris festgelegt hatten, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, idealerweise auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Flutkatastrophe auch Folge der Krise
In Deutschland hat die Erderwärmung bereits 1,6 Grad erreicht. Die möglichen Folgen haben die Menschen in diesem Flutkatastrophen-Sommer am eigenen Leib erfahren. Umso eindringlicher warnen Umweltverbände davor, bei den globalen Ambitionen nachzulassen. Deutschland müsse in Glasgow verhindern, "dass das Pariser Abkommen durch einen weltweiten Markt für CO2-Kompensationen entstellt wird", sagt etwa Greenpeace-Klima-Expertin Lisa Goeldner der dpa.
Greenpeace befürchtet eine Art "Ablasshandel", der dazu führen könnte, dass sich finanziell starke Länder von der Verantwortung freikaufen, ihre Treibhausgasemissionen drastisch zu senken. Die Umweltorganisation und andere erhoffen sich daher eine starke Stimme Deutschlands bei den entscheidenden Verhandlungen zum Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, der die Klimaschutz-Kooperation zwischen den Staaten regelt.
Goeldner glaubt auch, dass die COP-Teilnehmer sehr genau darauf schauen werden, was sich die möglichen Koalitionäre in Berlin beim Klimaschutz vornehmen. "Mutige Entscheidungen, die den CO2-Ausstoß in Deutschland schnell real senken, könnten das Herz von Paris in Glasgow zum Leuchten bringen", sagt Goeldner. Was sie mit "mutig" unter anderem meint: einen vorgezogenen Kohleausstieg und deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien. Auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel müsse noch viel passieren.
Aus Sicht der klimapolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Lisa Badum, ist in den vergangenen Jahren einiges versäumt worden. Deutschland habe eine Bringschuld, da es einen höheren Treibhausgasausstoß pro Kopf habe als andere Länder, sagt sie im dpa-Interview. Die Klima-Vorreiter-Rolle sei längst "verspielt". "Wir werden nicht in ein, zwei Jahren aufholen können, was wir in 16 Jahren verpasst haben."
Zeitgleiche Regierungsbildung könnte Chance sein
Dass die COP in Glasgow nun zeitgleich mit den Koalitionsverhandlungen in Berlin stattfindet, sieht Badum als Chance. Die Klimakonferenz könne wichtige Impulse für den Klimaschutz in Deutschland bringen, sagt sie. Eine Aufgabe, die ihre Partei künftig in Regierungsverantwortung federführend mitgestalten will.
Die geschäftsführende Bundesumweltministerin Schulze ist nach eigenen Angaben zuversichtlich, dass die Ampel-Verhandler "deutlich mehr" für den Klimaschutz erreichen werden als die bisherige Regierung unter Beteiligung von CDU und CSU. Für den Fortschritt bei den internationalen Verhandlungen könnte dieser Spirit eine gute Ausgangsbasis sein.
- Nachrichtenagentur dpa