Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kampf gegen Klimakrise Keine Partei hat einen Plan, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten
Um der Klimakrise zu begegnen, hat die Bundesregierung 2016 einen umfassenden Klimaschutzplan vorgelegt. Doch reicht dieser aus? Eine aktuelle Studie zeigt, dass es mehr braucht, erklärt Nick Heubeck im Gastbeitrag für t-online.
Der September 2020 war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Er reiht sich damit in eine Reihe von Temperaturrekorden der letzten Jahre ein. Gleichzeitig schmilzt das arktische Eis, viele Regionen der Welt sind von außergewöhnlichen Waldbränden betroffen – der menschengemachte Klimawandel zeigt seine ersten Auswirkungen. Kein Wunder, dass die Politik das Thema für sich entdeckt. Doch sind die bisher beschlossenen Maßnahmen ausreichend, um die wichtige 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten? Eine neue Studie zeigt, wie Deutschland tatsächlich zum Klimaschutz beitragen könnte. Ein Gastbeitrag von Nick Heubeck von Fridays for Future.
Man könnte meinen, wir haben es im Griff: Der Kohleausstieg ist beschlossen, erstmals wird in Deutschland ein CO2-Preis eingeführt und Wirtschaftsminister Peter Altmaier legt einen 20-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Klimakrise vor. Klingt doch prima. Politik und Wirtschaft haben die größte Bedrohung unserer Lebensgrundlagen endlich verstanden. Fridays For Future geht in die Ferien. Oder?
Guckt man genau hin, trügt dieses Bild gewaltig. Der letzte Monat war der heißeste September seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, die Ostküste der USA brennt und in Asien flüchten Millionen vor Überschwemmungen. Und das Gravierende dabei: Wir stehen ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl und keine einzige Partei hat einen Plan, das kritische 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Das ist ein Fakt. Und damit nicht genug: Weder die Bundesregierung noch die Grünen haben bislang auch nur eine einzige Studie in Auftrag gegeben, um auszurechnen, wie dieser deutsche Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel überhaupt aussehen könnte. Seit dem Beginn der weltweiten Klimastreiks lässt kein Politiker eine Möglichkeit verstreichen, sich zum Pariser Klimaabkommen zu bekennen. Und bis heute hat niemand in Erfahrung gebracht, welche Maßnahmen wir dazu überhaupt bräuchten? Es ist eine Katastrophe.
Nick Heubeck ist 22 Jahre alt und studiert Kommunikation und Politik in Bamberg. Er ist seit Anfang 2019 bei Fridays For Future aktiv und dort für Digitales und Presse verantwortlich.
Es braucht Wechsel in der Klimapolitik
Zum Glück ändert sich das genau heute. Im Auftrag von Fridays for Future hat das renommierte Wuppertal Institut eine Studie erstellt, die einen Plan aufzeigt, wie Deutschland bis zum Jahr 2035 noch klimaneutral werden kann – also nicht mehr Treibhausgase ausstößt, als durch natürliche CO2-Speicher wie Wälder und Moore wieder eingefangen werden.
Die Ergebnisse zeigen deutlich: Ohne einen sofortigen Wechsel der Politik in allen gesellschaftlichen Bereichen werden wir die Klimakrise nicht mehr eingrenzen können. Und: Nur noch im kommenden Jahr und im Rahmen der nächsten Bundesregierung können wir die Emissionen ausreichend senken. Wie das aussehen kann? Ich zeige es Ihnen.
- Zu den Klimazielen: Die Ziele der Bundesregierung sind trügerisch. Zwar hat sich der Bundestag ohne Gegenstimme schon vor vier Jahren zum Pariser Klimaabkommen bekannt – die notwendigen Reduktionsziele werden aber bis heute nicht übernommen. Bei Netto-Null-Emissionen müssen wir schon in 15 Jahren angelangt sein. Doch gleichmäßiges Reduzieren reicht nicht: Die Emissionen müssen in den nächsten Jahren besonders stark sinken. Eine Wahrheit, die vor allem die Regierungsparteien bisher verschweigen, wenn sie vom Erreichen der Klimaneutralität bis "spätestens 2050" sprechen.
- Verkehr: Unter dem seit jeher von der CSU-geführten Ministerium ist der Verkehr zum Sorgenkind geworden. Seit Jahren stagnieren die Emissionen, während in Hessen gerade eine Autobahn durch ein Naturschutzgebiet gebaut wird. Die Studie zeigt: Der Autoverkehr muss sich in den nächsten 15 Jahren halbieren und in den Städten sogar um zwei Drittel sinken – die Kapazität des Öffentlichen Personennahverkehrs sich gleichzeitig verdoppeln. Dafür müsste aber vor allem die finanzielle Förderung des ÖPNV verdoppelt werden. Um die kritischen 1,5-Grad einzuhalten, müssen wir zusätzlich in fünf Jahren ein Zulassungsverbot neuer Verbrennungsmotoren erlassen. Innerdeutsche Flüge müssen beendet werden. Viel zu tun also.
- Energie: Auch die Energiewende stockt. Die weltweit gelobte deutsche Energiewende wurde politisch abgewürgt – ein Großteil der Arbeitsplätze ist etwa nach China abgewandert. Besonders blockiert wird politisch der Ausbau von Windkraft an Land, der etwa unter Markus Söder in Bayern vollständig zum Erliegen gekommen ist. Insgesamt müssen Wind- und Solarenergie vier- bis fünfmal schneller zugebaut werden als heute. Die guten Nachrichten: Technisch ist das möglich. Und es ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Neue Anlagen für Erneuerbare Energien sind längst billiger als Kohle, Öl und Gas. Die Stilllegungen von Kohlekraftwerken in ganz Europa während des Anfangs der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie wenig sich die dreckigsten Energieträger lohnen, wenn sie nicht mit zusätzlichen Milliarden an Steuern am Leben gehalten werden.
Es gibt Hoffnung
Die Studie beleuchtet zusätzlich die Bereiche Industrie und den Gebäudesektor, der übrigens von allen Sektoren am energieintensivsten ist und bisher kaum Beachtung findet. Die Ergebnisse zeigen klar, wie stark die Maßnahmen der Regierungen von den Pariser Verpflichtungen abweichen. Doch es gibt Hoffnung: Die Wissenschaftlerinnen sagen klar, dass der Umschwung technisch in allen diesen Bereichen noch möglich ist.
Dass das alles andere als leicht wird und dass wir mit den aktuellen grün angemalten Wohlfühlentscheidungen nicht mehr hinkommen, wird jedoch auch deutlich. Die Klimakrise schlägt schon heute deutlich zu. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die Parteien in Deutschland bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, dass sie jetzt nicht katastrophal eskaliert.
Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.