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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Es hat einen globalen Einfluss" Besorgniserregende Entwicklung an der Antarktis
In der Antarktis herrscht derzeit tiefster Winter – und doch fehlt eine riesige Fläche Eis. Forscher beobachten die Entwicklung mit großer Sorge, Folgen sind bereits jetzt spürbar.
Die Temperaturen im Landesinnern der Antarktis liegen derzeit bei etwa -70 Grad Celsius. Eigentlich sollten rund um den Südpol gerade große Mengen Meerwasser zu Eis gefrieren.
Doch im diesjährigen antarktischen Herbst und Winter ist bislang weit weniger Meereis entstanden als normalerweise – noch weniger als im vergangenen Jahr, dem bisherigen Rekordtief. Im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt fehlen zurzeit mehr als zwei Millionen Quadratkilometer Eis.
Die Gründe dafür seien vielschichtig, erklärt der Glaziologe und Klimaforscher Dr. Johannes Feldmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung im Gespräch mit t-online. Auch mögliche Folgen eines anhaltenden Rückgangs des antarktischen Meereises ließen sich bereits erschließen.
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In der Antarktis herrscht tiefster Winter, die Temperaturen im Landesinnern liegen derzeit bei rund -70 Grad Celsius. Eigentlich sollten rund um den Südpol gerade große Mengen Meerwasser zu Eis gefrieren. Doch es friert viel zu wenig.
Die Folgen sind bereits jetzt spürbar – und könnten einen erheblichen Einfluss auf das globale Klima haben.
Dr. Johannes Feldmann vom Potsdam-Institut für Klimaforschung beschäftigt sich seit Jahren mit dem Eis in der Antarktis. Im Gespräch mit t-online zeigt er auf, warum die Entwicklungen am Südpol besorgniserregend sind.
Feldmann:
"Es ist tatsächlich so, dass jetzt das achte Mal in Folge das Meereis-Minimum, was immer so im Februar gemessen wird, wenn der antarktische Sommer quasi zu Ende geht, das achte Mal in Folge unter dem langjährigen Mittel liegt. Und letztes Jahr war es schon ein Rekordjahr und der Rekord wurde jetzt aber noch mal übertroffen. Das heißt, dieses Jahr ist noch mal speziell.
Und wenn man das vergleicht mit dem langjährigen Mittel, dann fehlen jetzt so 2,5 Millionen Quadratkilometer ungefähr. Das entspricht ungefähr der Fläche des Mittelmeers."
Diese Grafik verdeutlicht, wie sich die Meereisfläche normalerweise entwickelt. Die blaue Linie zeigt das Mittel zwischen 1981 und 2010. Die rote Linie steht für das Jahr 2023 – ein Negativ-Ausreißer in der Statistik.
Feldmann:
"Was man bereits jetzt erkennen kann, sind Veränderungen im Ökosystem.
Wir können sagen, weniger Meereis beeinflusst die Thermo-Zirkulation, macht weniger starkes Schutzschild für das für die Antarktis, weniger Brutfläche für Pinguine, weniger nährstoffreiches Habitat für die Nahrungskette, was dann auch wieder Auswirkungen auf den Menschen hat.
Es hat aber auch einen globalen Einfluss.
Der südliche Ozean, also um die Antarktis herum, ist ein Ort, wo das Wasser sich sehr stark abkühlt und dann salzhaltiges, schweres, kaltes Wasser in Richtung Meeresgrund sinkt und damit wie so eine große Umwälz-Zirkulation, die wirklich global Wassermassen transportiert und damit auch Wärme beeinflusst. Und wenn wir jetzt weniger Meereis haben, haben wir auch weniger von dieser Tiefenwasserbildung. Und es gibt erste Hinweise darauf, dass sich die Umwälz-Zirkulation verlangsamt."
Und das schwindende Eis birgt ein weiteres Problem: Die riesigen weißen Flächen reflektieren Sonnenlicht. Schmelzen diese, kommt dunkleres Meerwasser zum Vorschein, das die Sonnenstrahlen stärker absorbiert. Die Folge: die Erde heizt sich weiter auf und das Meereis schmilzt schneller.
Vor allem im Weddellmeer, in der D'Urville-See sowie der Bellingshausensee fehlt Meereis. Das zeigt die rote Einfärbung dieser Grafik. Im westlichen Rossmeer und der Amundsensee ist dagegen etwas mehr Eis vorhanden als im Durchschnitt - hier in Blau dargestellt. Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Feldmann:
"Da spielen die Winde eine große Rolle, wie stark die Winde aus welcher Richtung wehen und dann das Meereis weg transportieren können, sodass Neues gebildet werden kann. Die Ozean-Zirkulation selber spielt eine große Rolle, einfach weil die auch maßgeblich darüber entscheidet, was für Wassermassen unterm Eis ankommen."
Doch die bisher das Meereis bestimmenden Faktoren scheinen zunehmend hinter die global steigenden Temperaturen zurückzutreten, die bald zum wichtigsten Faktor für die weitere Entwicklung werden könnten.
Feldmann:
"Wenn wir die Emissionen reduzieren auf unserem Planeten, die CO2-Emissionen, dann schaffen wir es, der globalen Erwärmung Einhalt zu gebieten. Und dann können wir immer diese mögliche Überschreitung von Kipppunkt verhindern. Zumindest wird es dann unwahrscheinlicher, dass wir so einen Kipppunkt überschreiten. Wir sind schon nah dran: die Westantarktis zum Beispiel könnte schon gekippt sein. Oder das arktische Meereis, da ist es eigentlich auch nur noch eine Frage der Zeit, wann das im Sommer vollkommen eisfrei sein wird, das Nordpolarmeer.
Aber mit stark reduzierten Emissionen, bis hin zu, dass wir wirklich bald null Emissionen erreichen - Das ist so der entscheidende Faktor. Es wird immer mal ein Jahr geben, wo viel Meereis ist oder wenig Meereis ist."
Langfristige Entwicklungen und Prognosen lassen sich bislang noch schwer abschätzen, zu kurz ist der 40-jährige Zeitraum von Satellitenaufzeichnungen, auf die sich die Forschung stützt.
Aus bisherigen Erkenntnissen der Klimaforschung lassen sich jedoch bereits mögliche Folgen eines anhaltenden antarktischen Meereisrückgangs erschließen.
Feldmann:
"Ich habe eine Studie gelesen, da wurde auch auf einen längerfristigen Zeitraum geschaut und da wurde gefunden, dass die meisten Klimamodelle für den Süden, für die Südkontinente, also auf der südlichen Hemisphäre, extremere Hitze voraussagen und stärkeren Regenfall also, aber wirklich auf einer langfristigen Skala, also auch über Jahrzehnte."
Es könnte also sein, dass die aktuellen Entwicklungen den Beginn eines neuen Kapitels der Antarktis markieren, das gravierende Auswirkungen für die ganze Welt haben könnte. Es könnte aber auch sein, dass der Zustand des Meereises nach den Ausnahmejahren 2022 und 2023 wieder zum Normalzustand zurückkehrt. Welches der beiden Szenarien wahrscheinlicher ist, ist allerdings noch völlig unklar.
Warum die Entwicklungen in der Antarktis besorgniserregend sind, welche globalen Folgen der Rückgang des Eises haben könnte und warum dieses Jahr speziell ist, sehen Sie hier oder oben im Video.
- Interview mit Dr. Johannes Feldmann (PiK)
- mit Material von Reuters und meereisportal.de