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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gesundheitsrisiko Hitze Eckart von Hirschhausen: Wie eine Sauna ohne Tür
Der Körper tut alles, um seine Temperatur zu halten. Das klappt aber nur begrenzt. Was, wenn es zu warm wird? Eckart von Hirschhausen im Expertengespräch.
An heißen Tagen brutzelt es nicht nur auf der Haut, sondern auch im Kopf. Das menschliche Gehirn ist besonders anfällig für steigende Temperaturen. Der Körper kurbelt zwar die Schweißproduktion an, weitet die Gefäße und pumpt mehr Blut durch die Haut, um möglichst viel Wärme abzugeben. Doch bei extremer Hitze hilft das nur bedingt.
Arzt und Autor Eckart von Hirschhausen und Charité-Hitzeforscher Hanns-Christian Gunga sprechen darüber, wieso der Organismus sich nicht an die heißeren Sommer in der Klimakrise gewöhnt, für wen Hitze besonders riskant ist und weshalb sehr hohe Temperaturen das Gehirn zerlöchern.
Eckart von Hirschhausen: Professor Gunga, was war das Heißeste, das Sie schon mal ertragen mussten?
Hanns-Christian Gunga: Das war eine arbeitsmedizinische Untersuchung im Salzbergbau. In den Minen herrschten teilweise über 50 Grad Lufttemperatur. Vor allem weil die Luft sehr trocken ist, lässt sich das aber noch aushalten.
Im Gespräch
Eckart von Hirschhausen ist Arzt und Bestsellerautor und macht mit seiner Stiftung "Gesunde Erde - Gesunde Menschen" auf die Klimakrise als größte gesundheitliche Bedrohung dieses Jahrhunderts aufmerksam. Hanns-Christian Gunga forscht als Facharzt für Physiologie an der Berliner Charité im Bereich Extremmedizin dazu, welche Risiken die Klimaerhitzung für den menschlichen Organismus hat.
Bei mir waren es 100 Grad – aber nicht lange. Für eine Sendung bin ich mal mit einem rohen Ei in die Sauna gegangen. Ich war nach zehn Minuten immer noch in der Lage, mich zu bewegen, das Ei war hart.
Die Schale kann sehr gut Wärme ins Innere leiten. Dieses Prinzip gilt auch für Menschen. Deshalb ist es zum Beispiel gefährlich, mit kleinen Kindern in die Sauna zu gehen: Die Temperaturbelastung für den Organismus des Kleinkinds, das vielleicht nur zwölf Kilo wiegt, ist dort in kurzer Zeit wesentlich größer als für den eines Erwachsenen, der 70 Kilo und mehr wiegt. Das Gleiche gilt für ältere Personen, deren Herz-Kreislauf-System nicht mehr das leisten kann wie das von jüngeren.
In der Sauna ist es ja nur auszuhalten, weil man weiß, dass man sich anschließend abduschen kann. Aber was uns mit der Klimakrise bevorsteht, ist sozusagen Sauna ohne Tür.
Die Hitzewellen, die wir in den letzten Jahren in Deutschland hatten, ließen uns spüren: Wir kommen auch hier an physiologische Grenzen. Belastend werden kann die Mischung aus Lufttemperatur und Luftfeuchte. Auch die Sonnenstrahlung und die Windgeschwindigkeit wirken auf das sogenannte Klimasummenmaß. Jeder kennt das: Wenn es durch hohe Luftfeuchtigkeit draußen schwül ist, spüren wir, dass wir schwitzen.
Mehr als Temperatur: das Klimasummenmaß
Um zu bestimmen, wie stark der Hitzestress an einem bestimmten Ort ist, nutzen Mediziner, Meteorologen und Klimaforscher das sogenannte Klimasummenmaß. Es bezieht sich auf Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Sonneneinfallswinkel und Bewölkungsdichte. Mögliche Risiken für den menschlichen Organismus lassen sich hiermit besser abschätzen als mit herkömmlichen Temperaturmessungen, die sich nur auf die Lufttemperatur im Schatten beziehen.
Wie jetzt hier in Ihrem Büro.
Hier in diesem Raum ist die Feuchtigkeit gefangen, die wir ausatmen. Deshalb steigt die Feuchtigkeit langsam an, und das erschwert die Wärmeabgabe. Wir können gut und gerne bei 40 Grad draußen sein, wenn die Luftfeuchtigkeit nahezu null ist, weil wir wunderbar über die Schweißabgabe unseren Körper kühlen können und dabei Energie verlieren.
Wo kommt die Energie her?
Wir sitzen beide, haben kaum äußere Muskeltätigkeit. Aber unser Herz pumpt und versucht unseren Kreislauf in Gang zu halten. Andere Zellen sind aktiv und ermöglichen uns zu denken oder zu verdauen. Aber nur etwa 20 Prozent dieser Energie können für die tatsächlich geleistete Arbeit verwendet werden, 80 Prozent fallen als Wärme an. Diese überschüssige Energie muss abgeführt werden. Der Mensch gibt ständig etwa 100 Watt Wärme ab.
Das ist ja so viel wie eine altertümliche Glühbirne, und die wurden sehr heiß. Den Menschen gibt es also nicht in einer Energiesparversion. Wie wird der Körper die Wärme los?
Dafür hat er ein sehr ausgefuchstes System: Herz und Kreislauf regeln unter anderem die Mikrozirkulation, also die kleinen Gefäße, sie werden geöffnet und geschlossen. Über den Hals- und den Kopfbereich geben wir 30 Prozent unserer ganzen Wärmemenge ab. Die Hände sind unser Fenster: Über sie können wir bis zu 600-fach die Durchblutung regulieren. Wir können sie zumachen, etwa im Winter, dann sind sie eiskalt. Oder wir können sie aufmachen, dann werden sie hellrot, sind gut durchblutet, und wir verlieren beträchtliche Wärmemengen an die Umgebung. Nur wenn man seinen Verstand einschaltet, lassen sich Umgebungen von über 35 Grad tagsüber aushalten. Das Hirn muss sagen: "Es ist jetzt zu warm, ich gehe woanders hin, ich lege meine Kleidung ab, ich mache das Fenster auf."
Mein Verstand leidet extrem unter Hitze. Man sagt ja nicht umsonst, wir müssen "einen kühlen Kopf bewahren", um zu sinnvollen Gedanken zu kommen. Ab wann sinkt die geistige Leistungsfähigkeit bei übermäßiger Wärme?
Wenn Ihre Körperkerntemperatur, die normalerweise bei maximal 37 bis 37,5 Grad liegen sollte, über 38,2 Grad steigt, erhöht sich bereits Ihre Fehlerquote. Nach unten hin haben wir auch nicht sehr viel Spielraum: Schon bei 35 Grad haben Sie messbare Veränderungen, und bei 27 Grad sind Sie bewusstlos. Wir leben auf einem irrsinnig schmalen Temperaturhorizont. Unser Körper muss unbedingt diese 37,5 Grad halten. Nur ganz wenige Lebensformen wie Bakterien sind in der Lage, kurzfristig höhere Temperaturen auszuhalten. Für alle Säugetiere ist bei circa 42 Grad Schluss. Nach oben hin haben wir eine Spanne bis maximal 4 Grad. Mehr halten die Eiweißstoffe in unserem Körper nicht aus.
Auf gut Deutsch: Dann sterben wir. Was macht Übergewicht mit unserem Wärmehaushalt?
Da ist die Hitzebelastung größer als für einen schlanken, sportlichen Körper. Der kann wesentlich besser seine Wärmemengen abgeben. Hinzu kommt, dass bei übermäßig dicken Menschen Herz und Kreislauf nicht so belastbar sind. Kommen dazu noch Stoffwechselerkrankungen – Diabetes oder eine Erkrankung der Nieren –, sind der Flüssigkeitshaushalt und die Durchblutung und damit die Temperaturregulation geschädigt. Bei älteren Menschen ist häufiger die Niere nicht mehr in der Lage, den Harn zu konzentrieren. Daher scheiden sie Flüssigkeit aus, die sie eigentlich gebrauchen könnten für die Temperaturregulation. Auch kleine Kinder nehmen mehr Hitze auf. Wenn Sie denen nicht ausreichend zu essen und vor allem zu trinken geben, sind sie maximal gefährdet. Das führt unter anderem auch zu der hohen Kindersterblichkeit in den warmen Regionen, etwa in der Subsahara.
Bei der Körpertemperatur herrscht die Vorstellung, die ließe sich senken – so wie der Blutdruck mit Medikamenten. Haben wir vergessen, dass der Mensch nicht nur aus Geist, sondern auch aus einem Körper besteht, einer Physiologie, die der Physik folgt?
Es ist den meisten nicht bewusst, dass es nur ein bis zwei Grad sind, die uns von Leistungs- oder Nichtleistungsfähigkeit trennen. Die Temperaturregulation ist wie ein Orchester. Der Dirigent sitzt in unserem Hirn. Und wenn dieses Hirn nur ein bisschen zu viel oder zu wenig Wärme hat, weiß der Dirigent nicht mehr, was er spielt, und die unterschiedlichen Teile des Orchesters gehen ihren eigenen Weg. Eine physiologische Kakophonie mit desaströsen Folgen.
Was passiert mit dem Hirn, wenn es 41 Grad hat?
Je wärmer es wird, desto mehr Sauerstoffradikale produzieren die Nervenzellen und degenerieren. Bildlich gesprochen werden die Zellen durchlöchert.
Wir sitzen hier in der Charité. Ich denke an die Pflegekräfte, die hier arbeiten. Wenn ich jemanden umlagern müsste, bei 27 Grad Raumtemperatur und dazu noch Covid-19-Schutzkleidung und eine Atemmaske: Wie könnte ich dann meine eigene Wärme loswerden?
Das ist tatsächlich nicht mehr möglich. Deswegen sollte das Personal längere Pausen einhalten. Das wird aber bei einer voll belegten Intensivstation schwierig. Die Pflegekräfte müssen raus, sich entkleiden und später wieder neu einkleiden. Das kann eine halbe Stunde brauchen. Es ist aber gar nicht vorgesehen. Kommen dazu im Sommer noch hohe Temperaturen, stehen insbesondere Ärzte und Pflegepersonal unter maximalem Hitzestress. Wir sind gerade dabei, eine Studie aufzulegen, bei der protokolliert werden soll, wie hoch die Temperatur während eines üblichen Arbeitstages steigt. Man könnte eventuell leichte Kühlwesten einsetzen, um die Erwärmung zu verzögern.
Kann man sagen, dass unser Gesundheitswesen miserabel vorbereitet ist auf die Veränderung, die der Klimawandel und damit die heißeren Durchschnittstemperaturen in Deutschland mit sich bringen?
Ich würde eher sagen, es ist ein Problem bei der Ausbildung unserer Ärzte und unseres Pflegepersonals. Temperaturregulation und der Einfluss des Klimawandels auf die Gesundheit spielten in den letzten zwanzig Jahren eine viel zu geringe Rolle.
Es fällt uns offenbar schwer, Krisen anzuerkennen. Solange man diese ignoriert, kommt man nicht dazu, sich Lösungen zu überlegen. Warum handeln wir nicht bei der größten Gesundheitsgefahr: der Klimakrise?
Der Klimawandel vollzieht sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, und die einzelnen Staaten verfolgen ihre je eigene Politik. Deshalb sind wir relativ begrenzt, um dafür ein globales Verständnis zu entwickeln und uns einzugestehen: Die Hitze, die heute in der Subsahara herrscht, wandert langsam auf uns zu, und all diejenigen, die dort leben, brauchen einen neuen Lebensraum. Diese Erkenntnis schieben wir und auch die Politiker im Bewusstsein erst mal von uns weg. Wir Wissenschaftler müssen sehr viel mehr darauf dringen, dass wir die Folgen jetzt schon spüren.
Sollten auch die Ärzte und die Gesundheitsberufe lauter werden?
Ja. Die Folgen treffen jeden gesellschaftlichen Bereich – und schon jetzt unser Gesundheitssystem. Wir können sieben Minuten ohne Sauerstoff überleben, vielleicht sieben Tage ohne Flüssigkeit und sieben Wochen ohne Nahrung. Sauerstoff, Flüssigkeitshaushalt und Temperatur: Das sind Kernelemente. Genau an denen drehen wir beim Klimawandel.
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Sie forschen auch in Westafrika. Wie viele Menschen werden dort in den nächsten 20 Jahren rein physiologisch gar nicht mehr leben können, weil es zu heiß wird?
Die Subsahara reicht von Westafrika bis nach Kenia und Äthiopien. Dort leben im Augenblick etwa eine Milliarde Menschen. Die meisten leben nur von dem, was sie selbst anbauen. Wenn dort das Klimasummenmaß nur um zwei Grad steigt, sinkt die Leistungsfähigkeit arbeitender Menschen um nahezu 50 Prozent! Das ist bei jedem so, egal, wie lange der unter diesen Bedingungen bereits gelebt hat. Anders als viele glauben, passen sich Menschen nämlich nicht an. Das heißt, die Menschen können nur noch die Hälfte des Tages arbeiten und haben weniger zu essen. Also werden sie wandern, in Regionen, die nicht so heiß sind.
Es gibt die Metapher, die Erde hat Fieber – wir sind der Erreger, weil wir unterschätzt haben, welchen Stress acht Milliarden Menschen für diesen Planeten bedeuten. In der Entwicklungsgeschichte der Erde – ich habe ja auch Geologie und Paläontologie studiert – gibt es Perioden, innerhalb derer die Erde kurzfristig sehr warm wurde. Die hohen Temperaturen haben dazu geführt, dass hauptsächlich kleine Organismen überlebten.
Ist Intelligenz eventuell gar kein Evolutionsvorteil? Ich frage das ganz im Ernst, weil Bakterien oder Organismen mit weniger als einem Kilo Gewicht uns überleben werden. Wir sehen die Katastrophe kommen, sind aber nicht in der Lage zu reagieren. Das ist ja nicht besonders klug.
Menschen zeichnen sich auch durch ein manchmal sehr hohes soziales Engagement und Empathie aus – das ist, glaube ich, ein noch viel größerer Vorteil als reine Intelligenz. Und aufgrund dieses Verhaltens bin ich nicht so pessimistisch wie Sie. Nur müssen wir gesellschaftliche Kreise überzeugen, diese Situation wirklich ernst zu nehmen.
Statistiken von Meteorologen warnen: Bei einer Verdopplung des CO2 steigen die Temperaturen um fünf bis sechs Grad. Das ist zu viel für diesen Planeten. Das wird zu Veränderungen in der Biologie und auch der Geografie bei der Verteilung von Land und Meer führen. Und der Lebensraum wird für die Menschheit wesentlich kleiner werden. Das wird unweigerlich soziale Konflikte nach sich ziehen.
- Dies ist ein Auszug aus Eckart von Hirschhausens Buch "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben". Seit 20. Juli 2022 ist es in neuer Auflage als Taschenbuch erhältlich.