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Sie predigen Wasser und trinken Wein – eine Kolumne


Privatjet statt Bahn
Sie predigen Wasser und trinken Wein

MeinungSara Schurmann

18.10.2024 - 05:00 UhrLesedauer: 6 Min.
Meinung
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Friedrich Merz in seinem Privatflugzeug (Archivbild): Damit reiste er zur Hochzeit von Christian Lindner an.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz in seinem Privatflugzeug (Archivbild): Damit reiste er zur Hochzeit von Christian Lindner an. (Quelle: Axel Heimken/dpa)

Politikerinnen und Politiker leben zu selten klimafreundliches Verhalten vor. Dabei könnte das einen wichtigen Effekt haben.

Markus Söder isst gern öffentlichkeitswirksam Döner und bayerische Wurstspezialitäten, Friedrich Merz steuert seine Propellermaschine nach Sylt, Annalena Baerbock fliegt Kurzstrecke für ein EM-Spiel. Und ich soll auf Fliegen, Fleisch und Autofahren verzichten?

Die Frage hat sich wohl schon so mancher gestellt. Berechtigterweise. Führende Politikerinnen und Politiker besitzen eine Vorbildfunktion. Gehen sie beim Klimaschutz mit gutem Beispiel voran, könnte das ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu notwendigen Veränderungen sein. Das ergab eine Studie, die Ende September in "Nature" veröffentlicht wurde, einem der führenden naturwissenschaftlichen Fachjournale.

Das sind die drei größten Hebel

Individuelle Verhaltensveränderungen werden die Klimakrise nicht beenden, aber alle Menschen müssen letztlich anders leben, wenn die rasante Erderhitzung gestoppt und die Lebensgrundlagen bewahrt werden sollen. Weniger oder nicht fliegen, kaum oder kein Fleisch essen, weniger Autofahren: Auf individueller Ebene sind genau diese drei Dinge die größten Hebel.

Die Forschenden fanden heraus, dass Menschen wesentlich eher bereit sind, ihren eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern, wenn sie sehen, dass führende Politiker das auch tun. Das klingt zwar logisch, überrascht aber trotzdem. Denn es wird oft auch als sogenanntes "Virtue signalling" (zu Deutsch: Tugendsignalisierung) wahrgenommen, wenn bekannte Personen sich vorbildlich verhalten. Oder: ihr Verhalten auffällig zur Schau stellen. Sei es nun im Bereich soziale Gerechtigkeit, Antirassismus, Inklusion oder eben Klimaschutz.

Wir haben ein Umsetzungsproblem

Die Studie ergab auch, dass die Menschen deutlich weniger bereit sind, ihr eigenes Verhalten zu ändern, wenn Führungsfiguren dies nicht tun. Das ist nicht so trivial, wie es vielleicht scheinen mag, schließlich haben wir in der Klimakrise vor allem ein Umsetzungsproblem. Wissenschaftlich betrachtet ist seit Jahrzehnten klar, was zu tun ist, nur wird es nicht getan. Dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe, über die ich schon oft geschrieben habe. Dass es kaum Führungspersonen im politischen Bereich gibt, die mit gutem Beispiel vorangehen, ist ein weiterer.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

Wichtige Faktoren, damit das Engagement glaubhaft und beispielhaft wirkt, sind den Forschenden zufolge Beständigkeit und eine offene Kommunikation. Es gehe nicht darum, möglichst große Kunststücke zu vollbringen, sondern darum, konsistent im Verhalten zu sein.

Außerdem sei es wichtig, anzuerkennen, dass gewisse Verhaltensänderungen nicht für alle Bürgerinnen und Bürger ohne weiteres möglich sind, etwa weil sie – derzeit noch – zu teuer oder schwer umzusetzen sind. So können es sich nicht alle gleichermaßen leisten, ein Elektroauto zu kaufen oder eine Wärmepumpe zu installieren. Oder auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.

Geld wiegt mehr als das Klima

Nur weil privilegierte Politiker sich klimafreundlich verhalten, müssen das also nicht automatisch alle anderen auch tun. Aber wenn sie es tun, hilft das, andere zu motivieren.

Beim Thema Fliegen fallen mir trotzdem nur Negativ-Beispiele ein. Das mag auch daran liegen, dass über diese eher berichtet wird. Aber sie sind es auch, die damit in der Öffentlichkeit hängen bleiben: so wie Friedrich Merz’ (CDU), der 2022 zur Hochzeit von Christian Lindner (FDP) auf Sylt im Privatflieger anreiste. Merz’ Firma besaß zwischenzeitlich sogar zwei Flugzeuge. Oder Olaf Scholz (SPD) und andere Politiker, die im Sommer zu EM-Spielen in Deutschland flogen, statt die Bahn oder zumindest das Auto zu nehmen. Kritisiert wurde, dass der Spaß insgesamt über eine halbe Million Euro kostete, über den Effekt aufs Klima wurde hingegen kaum gesprochen.

Das würde die Kommunikation glaubwürdiger machen

Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reiste im Flugzeug zu Spielen an. Bei Amtsantritt hatte sie noch verkündet, möglichst klimaschonend reisen zu wollen – zugegeben: nicht ganz einfach für eine Außenministerin. Statt der Flugbereitschaft der Bundeswehr wollte sie öfter mal einen Linienflieger nehmen, der ohnehin unterwegs sein würde. Der Anteil blieb aber verschwindend gering, das Vorhaben sei nicht praktikabel gewesen. Zurück bleibt dann der Eindruck: Sie predigen Wasser und trinken Wein.

Dabei ist es den Empfehlungen der Forschenden folgend nicht schlimm, wenn etwa eine Außenministerin nicht komplett auf Flüge verzichten kann. Das anzuerkennen und auch gewissen anderen Gruppen zuzugestehen, könnte die Kommunikation dessen, dass die Zahl der Flüge insgesamt dennoch gesenkt werden muss, sogar glaubwürdig machen. Wenn die Außenministerin zuverlässig, wann immer möglich, jeden Linienflug, Bus und Zug nähme.

33 Jahre nach dem Umzug der Regierung zieht die Bundeswehr nach

Öfter diskutiert wird auch, dass die Flugbereitschaft der Bundeswehr nicht die zuverlässigste ist und es ständig Pannen gibt. Kaum darüber gesprochen wird jedoch, dass die Flugzeuge bis heute zum größten Teil in Köln stationiert sind. Jeder Flug eines Regierungsmitglieds zieht entsprechend zwei Leerflüge ohne Passagiere nach sich, um die Maschine am Einsatzort zur Verfügung zu stellen. Ein Umzug nach Berlin ist jetzt für 2032 geplant – 33 Jahre nach dem Umzug der Bundesregierung und des Bundestages.

Bisher seien Maßnahmen, um den menschengemachten Klimawandel zu bekämpfen, eher auf einer technokratischen und strukturellen Ebene erfolgt, stellen die Forschenden fest. Etwa die Umstellung auf erneuerbare Energien und neue Technologien. Das sind wesentliche Bestandteile, aber sie reichen nicht aus. Wählerinnen und Wählern echte Veränderungen zuzumuten, wurde dagegen bislang vermieden. Bis heute versprechen viele Parteien lieber, dass sich eigentlich nichts ändern müsse.

"Erhebliches ungenutztes Potenzial"

Dabei müsste die Politik aktiv helfen, diese immense Lücke zu schließen, wie auch der Weltklimarat (IPCC) feststellt: Die Treibhausgasemissionen könnten bis 2050 um 40 bis 70 Prozent gesenkt werden, wenn die richtigen politischen Maßnahmen, Infrastrukturen und Technologien zu einem veränderten Lebensstil und Verhalten der Menschen führen würde.

Die Forschenden der Arbeitsgruppe 3 des IPCC-Sachstandsberichts haben analysiert, wie der Klimawandel abgemildert werden kann. Verhaltensänderungen bieten demzufolge "ein erhebliches ungenutztes Potenzial". Und sie könnten gleichzeitig unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden verbessern. Zum Beispiel durch eine Ernährungsumstellung.

Bekennende Vegetarier gibt es in der Politik kaum. Bekannt sind vor allem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ist ebenfalls Vegetarier, auch für Mitreisende – im Flugzeug – gibt es bei ihm vegetarische oder vegane Bewirtung.

Die Rückkehr der Currywurst

Als Fleischesser positionieren sich Politikerinnen und Politiker hingegen gern, Bilder am Wurststand gibt es viele, vor allem im Wahlkampf. Legendär ist dabei der Einsatz von Altkanzler Gerhard Schröder für die Currywurst. Als VW seine Kantine 2021 auf eine vegetarische Verpflegung umstellte, verteidigte Schröder die Wurst als "Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion". 2023 kehrte die Currywurst schließlich zurück in die Kantine in Wolfsburg.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hingegen betont gern, dass er Döner liebt. Das geht sogar so weit, dass auf dem CSU-Parteitag in Augsburg vergangene Woche "Söder Döner" für 3 Euro verkauft wurden; selbst in Berlin ist das schon lange ein utopischer Preis. Ohnehin inszeniert sich Söder als Fleischliebhaber und damit Mann des Volkes. "Eine zwanghafte Veganisierung Deutschlands und Bayerns macht keinen Sinn", hatte Söder im vergangenen Jahr ein Drohszenario herbeifantasiert. "Ein Leben ohne Schweinebraten mag möglich sein, aber nicht sinnvoll." Man könnte ganze Fotostrecken damit füllen, wie er öffentlichkeitswirksam Fleisch und Wurst ist.

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Spitzenpolitiker rasseln durch

Die Crux: Individuelle Verhaltensänderungen werden uns einerseits nicht mehr retten. Sie sind andererseits aber unbedingt notwendig. Und sie können gleichzeitig strukturelle Lösungen, wie einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, Bahnstrecken und Radwege, wahrscheinlicher machen, wenn genug Menschen ihr Verhalten ändern. Das senkt nicht nur Emissionen, sondern verschiebt auch Normen, also das, was als normal wahrgenommen wird: regelmäßige Inlandsflüge, drei Mal am Tag Fleisch essen, mit dem Auto zum Bäcker um die Ecke? Dafür ist auch entscheidend, was Politiker und andere bekannte Persönlichkeiten vorleben.

Um zum Bundestag oder Terminen zu kommen, steht Bundestagsabgeordneten die Fahrbereitschaft zur Verfügung, Ministerinnen und Spitzenpolitiker der Länder haben eigene Dienstwagen. Sie werden regelmäßig beim Dienstwagencheck der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unter die Lupe genommen, selbst viele Umweltminister fallen dort durch. Die einzige mit einem Dienstfahrrad ist da die grüne Umweltsenatorin von Bremen, Kathrin Moosdorf.

Diese Politiker setzen auf den Drahtesel

Zum Bundestag radeln nicht viele Politikerinnen und Politiker, aber immerhin kommen die, die es tun aus allen Parteien, etwa Katja Hessel von der FDP, Gero Storjohann, fahrradpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Franziska Brantner von den Grünen und Mathias Stein von der SPD.

Radelnde Politiker bleiben wegen ihres Seltenheitswertes in Erinnerung: Cem Özdemir etwa fuhr mit dem E-Bike zum Bundespräsidenten. Auch Anton Hofreiter (Grüne) hat man ab und zu auf dem Fahrrad gesehen, ebenso den ehemaligen Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU).

Unvergessen bleibt Christian Ströbele. Der inzwischen verstorbene Kreuzberger Grünen-Abgeordnete war einer der Ersten, die mit dem Rad täglich zum Bundestag fuhren – und es auch ansonsten so oft wie möglich benutzten.

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