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Klima-Kolumne: Es wird lebensgefährlich


Es wird lebensgefährlich
Meinen Kindern könnte ich nichts versprechen

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

11.10.2024 - 09:56 UhrLesedauer: 4 Min.
Meinung
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Tampa: Überschwemmungen durch den Hurrikan "Milton".Vergrößern des Bildes
Tampa: Überschwemmungen durch den Hurrikan "Milton". (Quelle: Uncredited/Kairat Kassymbekov/AP/dpa)

Kann man trotz Unwetter-Vorhersagen noch reisen? Nur weil etwas in der Vergangenheit sicher war, bedeutet es nicht, dass es das heute auch noch ist, schreibt unsere Kolumnistin.

Ich musste diese Woche beruflich nach Großbritannien reisen. Da ich wegen der Klimakrise vermeide zu fliegen, hatte ich Zugtickets gebucht. Wenn die Bahn pünktlich ist, kommt man so von Berlin über Köln und Brüssel in rund 10 Stunden nach London. Als ich Anfang der Woche die Wettervorhersage anschaute, hatte ich jedoch Sorge, ob ich mit der Verbindung gut durchkommen würde. Denn es sollte stürmisch werden.

In den vergangenen Wochen wüteten mehrere Hurrikane über dem Atlantik. Besonders betroffen waren davon die USA. Schon "Helene" wurde als historisch bezeichnet, mehr als 230 Menschen starben. Hauptursache für die katastrophalen Auswirkungen dieses Hurrikans ist der menschengemachte Klimawandel. Das ergab eine Studie der World Weather Attribution, die untersucht, inwiefern Extremwetterereignisse mit der Erderhitzung in Zusammenhang stehen.

Es hat sich etwas verschoben

Wenige Tage später mussten sich die USA auf den nächsten Hurrikan einstellen. "Milton" traf am Mittwochabend mit zerstörerischer Kraft in Florida aufs Land. Mehr als 3 Millionen Haushalte waren anschließend ohne Strom, das befürchtete Worst-Cast-Szenario ist jedoch ausgeblieben. Präsident Joe Biden hatte vorsorglich seine Deutschland-Reise abgesagt. Zur gleichen Zeit bewegte sich ein weiterer Hurrikan, genannt "Kirk", auf Europa zu. Am Tag vor meiner Abreise war er bereits abgeschwächt zu einem Sturm. Wo und wann genau er auf Land treffen, wo er entlangziehen und wie stark er über Deutschland, Belgien und Nordfrankreich noch sein würde, diese Einschätzungen veränderten sich im Laufe der Tage. Doch klar war: Auch er sollte Windböen und starken Regen mit sich bringen. Und damit möglicherweise Schäden an Bäumen, Dächern und Strommasten zur Folge haben, und so zu Stromausfällen, blockierten Straßen und Gleisen führen.

Video | Bis zu 600 Tote durch Hurrikan "Helene" erwartet
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Quelle: reuters

Auch wenn früh klar war, dass "Kirk" nicht ganz so schlimm werden würde wie die Hurrikane in den USA, machte ich mir Sorgen, ob ich es überhaupt bis nach London schaffen oder ob ich bei Sturm und Regen irgendwo auf der Strecke festhängen würde. Die Zugstrecke sollte schließlich erst in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag betroffen sein, wenn ich bereits an meinem Ziel wäre. Daher stieg ich am Mittwochmorgen in den Zug. Im Endeffekt ist für mich alles gut gegangen. Aber alleine, dass ich mir diese Sorgen machte, zeigt, dass sich etwas verschoben hat. Solche Befürchtungen hatte ich in der Vergangenheit nicht, jedenfalls nicht so häufig, dabei reise ich seit meinem Abitur regelmäßig längere Strecken.

Ins Freie zu gehen, kann lebensgefährlich werden

Starkregen am Berg auf Sizilien, eine Hitzewelle in Kroatien, Turbulenzen über New York: Ich habe schon einige Extremwetter erlebt und die Gefahren immer wieder auch unterschätzt, wie ich es hier bereits beschrieben habe. Nur weil etwas in der Vergangenheit sicher war, bedeutet das nicht, dass es das in der Gegenwart auch noch ist. Die Klimajournalisten Toralf Staud und Nick Reimer bringen es in ihrem Buch "Deutschland 2050" auf den Punkt: "Klimawandel bedeutet auch eine radikale Entwertung von Erfahrungswissen." Die Risiken haben sich verschoben, für die Risikowahrnehmung gilt dies noch nicht gleichermaßen.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise, sodass jede und jeder sie verstehen kann.
Etwa in ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. Für ihre Arbeit wurde sie 2022 vom Medium Magazin zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt.

In diesem Sommer starben bei Hitzewellen mehrere Wandernde in Griechenland und wohl mehr als 1.000 Pilgernde bei der Hadsch in Saudi-Arabien. Dort herrschten teils über 50 Grad. Nur weil es in der Vergangenheit nicht gesundheits- oder gar lebensgefährdend für Menschen war, bei Hitze ins Freie zu gehen, können sie sich inzwischen nicht mehr darauf verlassen, dass das weiterhin der Fall ist. Und die Gefahr steigt nicht nur bei Reisen.

Warnungen werden oft belächelt

Anfang 2022 hatten ich und mein damaliger Partner einen Familienbesuch geplant. Als der Zugverkehr wegen des Sturms "Zeynep" kurzfristig eingestellt wurde, schlug er vor, stattdessen einfach das Auto zu nehmen. Ich verstand, warum, war aber dennoch dagegen. War es eine gute Idee, bei einem Sturm, der potenziell so stark werden konnte, dass es nicht sicher war, die Bahn zu nehmen, zwischen 40-Tonner-Lkws über die Autobahn zu fahren? Natürlich standen die Chancen nicht schlecht, dass uns trotz des Sturms nichts passieren würde, nur sicher sein konnten wir nicht. Im Vergleich zu sturmfreien Tagen war das Risiko auch beim Autofahren deutlich erhöht. Schließlich blieben wir zu Hause.

Video | Sie wollten fliehen und stürzten ab
Quelle: Glomex

Spätestens seit der Ahrtal-Flut im Sommer 2021 ist die Zahl der Unwetterwarnungen meiner Wahrnehmung nach deutlich gestiegen. Bleibt der Schaden dann entgegen der Vorhersage aus, werden die Warnungen im Nachhinein oft als überzogen belächelt. Wie stark Stürme oder Regen tatsächlich werden und wie stark der Schaden ist, den sie anrichten, ist jedoch nicht einfach vorauszusagen. "Better save than sorry", Vorsicht ist besser als Nachsicht, ist das Motto vieler Meteorologen, mit denen ich mich ab und zu austausche. Schließlich wurden die Gefahren in der Vergangenheit auch einige Male von ihnen unterschätzt.

Das Versprechen von Sicherheit ist dahin

Meine Eltern haben mir als Kind beigebracht, dass ich keine Angst vor Stürmen oder Gewittern haben muss und wir bei uns in Brandenburg, in unserem Haus oder Auto, sicher sind. Wenn es gewitterte, setzten sie sich oft mit uns auf die überdachte Treppe unseres Hauses. Gemeinsam beobachteten wir die Blitze und zählten, bis wir das nächste Donnern hörten, um die Entfernung des Gewitters einzuschätzen. Dafür bin ich ihnen bis heute dankbar. Das gab mir ein Gefühl von Sicherheit, das ich erst richtig zu schätzen lernte, als es mir abhandenkam.

Mir ist inzwischen klar: Das Versprechen, bei Unwetter zu Hause sicher zu sein, das mir meine Eltern in meiner Kindheit gaben, werde ich so nicht weitergeben können, sollte ich einmal selbst Kinder haben. Nur weil meine Heimat in der Vergangenheit von zerstörerischen Extremwettern verschont geblieben ist, heißt das nicht, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird. Was ich stattdessen für mich, die Menschen und die Kinder in meiner Umgebung tun kann: mich mehr mit den neuen Risiken beschäftigen. Und damit, wie wir das eigene Zuhause, das Fußballvereinsheim, die Firma oder Gemeinde besser anpassen können an die Gefahren, die auf uns zukommen – und auch das Reisen.

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