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Klimaanpassungsgesetz ersetzt den Klimaschutz nicht | Klima-Kolumne


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Diskussion über Klimaschutzgesetz
Dann wird ein gutes Leben nicht mehr möglich sein

MeinungEine Kolumne von Sara Schurmann

Aktualisiert am 12.07.2024Lesedauer: 5 Min.
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Hochwasser an der Donau: Die Folgen der Klimaerwärmung treffen Deutschland bereits regelmäßig. (Quelle: Bernd März/imago-images-bilder)

Deutschlands Infrastruktur ist schon heute regelmäßig von den Folgen der Klimakrise überfordert. Ein neues, bundesweites Klimaanpassungsgesetz soll helfen, zukünftige Gefahren zu bannen. Aber inwieweit können wir uns überhaupt anpassen?

Am Mittwoch standen in Berlin nach Starkregen und Hagel viele Straßen unter Wasser. Das Wasser lief ins Untergeschoss des Bahnhofs Friedrichstraße und in den Keller der Berliner Stadtbibliothek. Wegen Unwettern musste während der Europameisterschaft in Deutschland ein Spiel zeitweise unterbrochen und mehrere Public Viewings abgesagt werden. Im ersten Halbjahr 2024 haben wir in Deutschland bereits drei massive Hochwasser erlebt.

Das meinte die Bundesministerin für Umwelt- und Naturschutz, Steffi Lemke, wohl, als sie in ihrer Rede zum Klimaanpassungsgesetz im November vergangenen Jahres im Bundestag sagte: "Wir befinden uns vielleicht im Jahr vier oder fünf, in dem wir die Folgen der Klimakrise wirklich sehen, spüren, und unsere Wirtschaft diese Folgen spürt. Und ich kann Ihnen sagen, eines ist klar: dass wir noch viele dieser Jahre vor uns haben und dass deshalb Klimaanpassung essenziell ist."

Neues Klimaanpassungsgesetz seit Juli in Kraft

Sie hat recht: Sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen und sich gegen die Gefahren abzusichern, ist bereits heute dringend nötig. In einer klimaangepassten Stadt bedeutet das etwa: weniger Versiegelung, also weniger Asphalt- und Betonflächen, und mehr Begrünung auf Dächern, Fassaden und Straßen. Bei Hitze wird die Stadt auf diese Weise heruntergekühlt, bei Starkregen kann das Wasser besser versickern. Naturnahe Flussauen helfen, dass Flüsse bei Hochwasser mehr Platz finden und nicht unkontrolliert über die Ufer treten.

Entsprechende Anpassungsmaßnahmen werden zum Teil auch schon länger umgesetzt. Seit 2008 gibt es die sogenannte Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS). Seit Juli ist nun das neue Klimaanpassungsgesetz in Kraft. Es soll einen verbindlichen Rahmen für Bund, Länder und Kommunen vorgeben, um sich auf aktuelle und kommende Gefahren vorzubereiten. Und entsprechende Maßnahmen auch flächendeckend und dauerhaft zu finanzieren. Denn angesichts der Geschwindigkeit, mit der die Klimakrise eskaliert, sind die aktuellen Initiativen nicht ansatzweise ausreichend, wie die Journalistinnen Susanne Goetze und Annika Joeres in ihrem Buch "Klima außer Kontrolle" nach der Flutkatastrophe im Ahrtal recherchierten.

Anpassung ist wichtig. Was hierzu geplant ist, reicht bisher aber nicht ansatzweise aus. Und sie ist kein Ersatz, sondern eine notwendige Ergänzung zu dringend benötigten Maßnahmen, die einen weiteren Anstieg der Temperaturen verhindern.

Fahrgäste der Deutschen Bahn kollabieren in Zügen

Ein Beispiel, das oft als Anlass zum Spott über die Deutsche Bahn dient, illustriert die Notwendigkeit und zugleich Grenzen der Klimaanpassung gut: Bei Hitze sind in Deutschland in den vergangenen Jahren regelmäßig die Klimaanlagen der ICEs ausgefallen. In großem Umfang gaben sie erstmals während einer Hitzewelle im Juli 2010 den Geist auf. Viele Anlagen schalteten sich damals einfach ab, teils in einzelnen Waggons, teils in ganzen Zügen. Drinnen wurde es so heiß, dass Fahrgäste kollabierten.

Anschließend wurden die Klimaanlagen von der Bahn gewartet und aufgerüstet, 2015 kam es wieder zu zahlreichen Ausfällen. Der Grund: Die Klimaanlagen waren bis dahin nur auf Außentemperaturen von 32 Grad ausgelegt, entsprechend der Bahn-Norm für Mitteleuropa. Die Anlagen des ICE 4 sollen nun Temperaturen bis zu 40 Grad im Schatten standhalten. 2022 wurden bei gleich vier Wetterstationen im Norden und Osten Deutschlands über 40 Grad gemessen.

Und Klimaanlagen sind bei Weitem nicht das einzige Problem für die Bahn: Bäume, die von Dürren geschwächt sind, fallen bei Stürmen schneller auf die Gleise. Beim Hochwasser in Süddeutschland entgleiste vor wenigen Wochen ein ICE nach einem Erdrutsch. Wenn ich im Hochsommer meine Großmutter in Brandenburg besuche, kommen die Regionalzüge regelmäßig zu spät. Sie müssen langsamer fahren, weil sich durch die Hitze die Gleise verzogen haben.

Sara Schurmann
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Die Lage ist extrem ernst, aber nicht hoffnungslos. Nach diesem Motto erklärt die freie Journalistin Sara Schurmann die großen Zusammenhänge und kleinen Details der Klimakrise so, dass jede und jeder sie verstehen kann. In ihrem Buch "Klartext Klima!" – und jetzt in ihrer Kolumne bei t-online. 2022 wurde sie vom "Medium Magazin" zur Wissenschaftsjournalistin des Jahres gewählt. Hier geht es zum Autorinnen-Profil.

Hitzewellen, Flutkatastrophe und Waldsterben

Mit den Hitzewellen, dem Waldsterben 2018 und 2019 und der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 kam die Klimakrise für viele Menschen in Deutschland gefühlt näher. Im Sommer 2022 führten diverse große Flüsse in Europa zeitweise kaum Wasser. 2023 brannte es erst massiv in Südeuropa, etwa in Portugal und auf der griechischen Insel Rhodos. Kurz später standen große Teile Sloweniens und Griechenlands unter Wasser. All diese Klimafolgen erleben wir heute – bei 1,3 Grad globaler Erhitzung. Auch in Europa. Auch in Deutschland.

Schon die Erderhitzung, die wir aktuell erleben, hat dramatische Folgen für das Leben von Menschen und Tieren überall auf der Erde. Seit einem Jahr wird kurzfristig sogar die 1,5-Grad-Marke jeden Monat erreicht oder überschritten. Klar ist: Je wärmer es wird, desto drastischer werden die Auswirkungen. Und Anpassung ist nur begrenzt möglich.

Das Pariser Klimaabkommen steckt den Rahmen ab, an den wir uns als Menschheit idealerweise noch relativ gut anpassen können. 195 Staaten haben sich im Abkommen darauf geeinigt, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad, mindestens aber deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Schon bei 2 Grad wird ein gutes Leben für 8 Milliarden Menschen auf diesem Planeten nicht mehr möglich sein, macht der Sonderbericht über 1,5 Grad des Weltklimarates von 2018 unmissverständlich klar. Und dennoch steuern wir noch immer auf um die 3 Grad im Jahr 2100 zu.

Video | Heftige Unwetter mit Starkregen und schweren Sturmböen erwartet
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Quelle: t-online

Markus Lanz kritisiert die "Letzte Generation"

Was das bedeutet, scheint die Gesellschaft, noch immer nicht ausreichend zu begreifen. Besonders klar zeigte das ein Gespräch in der Talksendung von Markus Lanz im November 2022. Carla Rochel, eine Sprecherin der "Letzten Generation", war dort zu Gast, es ging um die Angriffe von Aktivisten auf Kunstwerke mit Tomatensuppe und Kartoffelbrei. Lanz warf ihr vor, sie male die Apokalypse an die Wand und sagte optimistisch: "Unsere ganze Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte der Anpassung. Uns als Spezies hat erfolgreich gemacht, dass wir uns angepasst haben."

Wer das so hört, könnte den Eindruck bekommen, dass Anpassung bedeutet, beim nächsten Mal einfach etwas anders zu machen, wenn es so wie bisher nicht mehr funktioniert. In der Realität bedeutete die Jahrhunderte und gar Jahrtausende dauernde Anpassung der Menschheit aber, dass viele Menschen durch diesen Prozess gestorben sind.

Wenn wir das heute nicht wollen, müssen wir unsere Infrastruktur und unsere Zivilisation innerhalb kürzester Zeit umbauen. Sie ist nicht ausgelegt für die Widrigkeiten einer 1,5 Grad wärmeren – oder gar noch heißeren – Welt. Das Klima verändert sich heute sehr viel schneller als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit, nie zuvor lebten 8 Milliarden Menschen auf diesem Planeten.

Als die Aktivistin damals in der Talkshow einwarf, dass wir uns an ein so schnell veränderndes Klima nicht anpassen können und wir die Erderhitzung deswegen stoppen müssen, wollte Lanz das nicht wahrhaben. "Doch!", rief er. Angesichts der scheinbaren Gelassenheit, mit der die Menschheit in die Katastrophe rast, scheint er damit nicht allein.

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