Gefährliche Störung Placenta accreta – wenn sich der Mutterkuchen nach der Geburt nicht löst
In der medizinischen Fachsprache bedeutet Placenta accreta "angewachsener Mutterkuchen". Es handelt sich um eine Störung der Plazentahaftung, die nach der Entbindung zu gefährlichen Komplikationen führen kann. Ein Experte erklärt, wodurch diese Anomalie verursacht wird, welche Risiken damit verbunden sind und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.
Die Plazenta sorgt während der Schwangerschaft dafür, dass das Ungeborene über intensiven Blutaustausch Nährstoffe bekommt, aber auch vor Schadstoffen geschützt ist. Nach der Entbindung hat der Mutterkuchen seine Aufgabe erfüllt - er löst sich deshalb bei den meisten Frauen eigenständig ab und wird in der nachgeburtlichen Phase ausgestoßen.
Verwachsen mit dem umliegenden Gewebe
Dieser natürliche Vorgang funktioniert allerdings nicht immer, so dass bei manchen Müttern Teile des stark durchbluteten Gewebes im Körper bleiben. "Wenn die Plazenta an manchen Stellen durch die Schleimhaut an die Muskulatur der Gebärmutter oder auf einer Narbe anwächst, ist die spontane Ablösung nach der Geburt nicht mehr einfach möglich", erläutert Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, .
"Es kann dann nach der Geburt zu heftigen Blutungen kommen, zum Beispiel weil die Muskelschicht der Gebärmutter angerissen wird, oder es verbleiben Reste des Plazentagewebes an oder in der Wand der Gebärmutter haften."
Gefährlicher Blutverlust droht
In den meisten Fällen muss bei dieser Störung nach der Geburt die Gebärmutter ausgeschabt werden. Dadurch könne einerseits die Blutung gestillt werden, und man wirke außerdem möglichen Rückbildungsstörungen, Entzündungen und Wucherungen entgegen, betont Albring.
Fast immer trifft es Frauen unvorbereitet, wenn es wegen einer Placenta accreta zum ersten Mal zu Komplikationen kommt, so wie bei einer jungen Mutter, die in einem Forum über ihre Erlebnisse am Tag der Geburt ihrer Tochter berichtet.
"Obwohl vorher eigentlich alles unkompliziert verlaufen war, wollte sich bei mir die Plazenta nach der Entbindung einfach nicht lösen - sie hing irgendwie fest. Ich blutete dann plötzlich total stark und musste schließlich schnell in den OP gebracht werden, wurde unter Vollnarkose ausgeschabt. Einen Liter Blut hatte ich verloren. Doch eine Bluttransfusion blieb mir zum Glück erspart."
Gebärmutterentfernung als lebensrettende Maßnahme
Nicht alle Betroffenen haben so viel Glück wie diese frischgebackene Mama. So berichteten britische Medien im Sommer von einer 38-Jährigen aus Oxford, die bei der Geburt ihres vierten Kindes fast gestorben wäre. Sie verlor aufgrund einer Placenta-accreta mehr als fünf Liter Blut, schrieb die Zeitung "Mirror".
Tritt eine solche Extremsituation ein, müssen die behandelnden Ärzte schnell reagieren. "Ist die Blutung heftig, und für die Mutter lebensgefährlich", so der erfahrene Gynäkologe Albring, "muss die Gebärmutter in vielen Fällen operativ vollständig entfernt werden." Diese Maßnahme rettete auch die vierfache Mutter aus Großbritannien. Sie überlebte - dank Not-OP und zahlreicher Blutkonserven.
Vernarbungen am Uterus begünstigen eine Placenta accreta
Glücklicherweise sind Patientenschicksale wie dieses selten. Bei den meisten Frauen kommt es nach der Geburt nämlich zu keinerlei Komplikationen bei der Ablösung des Mutterkuchens. Doch welche Umstände begünstigen ein Festhängen der Plazenta?
"Meistens gehen Verletzungen der Gebärmutter, wie Ausschabungen, Myom-Operationen oder frühere Kaiserschnitte voraus. Wenn die Plazenta dann auf dem Narbengewebe anwächst, kommt es zu diesen Veränderungen", erläutert der Experte für Geburtshilfe.
Häufigkeit von Plazentastörungen
Schätzungsweise kommt eine Placenta accreta oder andere Störungen der Plazentahaftung bei einer von 2500 Schwangerschaften vor.
Bei den schweren Formen dieses Phänomens wächst der Mutterkuchen tief in das Gewebe der Gebärmutter ein (Placenta increta) oder durchbricht die äußere Hülle der Gebärmutter (Placenta percreta) und wuchert in benachbarte Organe. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Störung liegt bei 1:20.000 oder darunter.
Mehr Kaiserschnitte, mehr Plazentaanomalien?
Kaiserschnitte und die dadurch verursachten Vernarbungen an der Gebärmutter stellen ein typisches Risiko für diese Anomalie dar. Mediziner bringen daher immer wieder die wachsende Häufigkeit von Placenta-accreta-Patientinnen mit der Zunahme von Kaiserschnitt-Geburten in deutschen Kliniken in Verbindung.
Wissenschaftlich sei diese These bislang allerdings nicht eindeutig nachgewiesen, kommentiert Albring, weil auch bei Frauen die einen Kaiserschnitt durchgemacht haben, solche Störungen extrem selten sind. Dennoch sei ein Zusammenhang insbesondere mit multiplen Kaiserschnitten nicht auszuschließen. "Da die meisten Frauen, die ein Kind bekommen, auch noch ein zweites oder drittes bekommen, steigt das Risiko für diese gefährlichen Komplikationen mit jedem operativen Eingriff an."
Keine klare Diagnostik durch Ultraschall
Während der Schwangerschaft verursacht eine Placenta accreta meist keine Symptome. Die werdenden Mütter merken also nichts davon. So ist eine frühzeitige Diagnose schwierig, zumal diese Auffälligkeit mit dem Ultraschall meistens nicht sichtbar gemacht werden kann. Mit dieser bildgebenden Methode lässt sich normalerweise lediglich die Lage der Plazenta erkennen.
Deshalb sei bei bekannten Risiken - etwa, wenn die Plazenta auf früherem Narbengebe sitzt - von Anfang an erhöhte Aufmerksamkeit des behandelnden Arztes geboten, mahnt der Gynäkologe. "Ob die Plazenta dann aber auch in die Gebärmutter hineingewachsen ist, das lässt sich mit dem Ultraschall oft nicht klar nachweisen. Das stellt man erst nach der Geburt fest, wenn die Plazenta unvollständig ist, sie sich nicht lösen lässt oder es zu sehr starken Blutungen kommt."
Kaiserschnitt als risikoärmste Lösung bei Folgeschwangerschaften
Betroffene Mütter haben oft Angst, dass es bei weiteren Schwangerschaften wieder zu ähnlichen Komplikationen kommen könnte. Doch diese Problematik muss sich nicht zwangsläufig wiederholen. "Das hängt nur von der Lage der Plazenta ab", so Albring.
"Wächst sie - rein zufällig - wieder auf einer Narbe an, ist es passiert. Sie kann aber auch rechts, links, oben oder hinten in der Gebärmutter anwachsen." Um Gefahren vorzubeugen, wird Frauen, bei denen bereits einmal eine Placenta accreta diagnostiziert wurde, oft geraten, bei folgenden Schwangerschaften von vorneherein per Kaiserschnitt zu entbinden. Bei einer bekannten Placenta increta beziehungsweise percreta, wo die Verwachsungen massiver sind, ist eine Schnittentbindung auf jeden Fall alternativlos.
Besondere Risiken für das Baby, wie etwa eine mögliche Mangelversorgung, sind übrigens mit einer solchen Anomalie des Mutterkuchens zunächst nicht verbunden. So versichern es Gynäkologen auf ihren Webseiten. Falls es vor dem errechneten Geburtstermin dennoch wider Erwarten zu sehr starken Blutungen käme, könnten diese allerdings dazu führen, dass die Schwangerschaft vorzeitig beendet werden müsse. In der Regel betreffe dies jedoch einen Zeitpunkt, zu dem das Baby bereits reif und sicher lebensfähig sei.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.