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Buchtipp Viereinhalb Wochen: Eine Mutter nimmt Abschied von einem ungeborenen Kind


"Viereinhalb Wochen"
Der schmerzhafte Abschied von einem ungeborenen Kind

t-online, mmh

Aktualisiert am 19.10.2012Lesedauer: 5 Min.
Buchtipp: "Viereinhalb Wochen" beschreibt den Weg einer Entscheidung von der Diagnose bis zu Geburt und Tod des kleinen Julius.Vergrößern des Bildes
Buchtipp: "Viereinhalb Wochen" beschreibt den Weg einer Entscheidung von der Diagnose bis zu Geburt und Tod des kleinen Julius. (Quelle: Pattloch)

Eine schreckliche Diagnose in der 14. Schwangerschaftswoche: Das Kind wird nicht lebensfähig sein. Trotzdem will Constanze es austragen, gebären, in den Armen halten. Sie entscheidet sich gegen eine Abtreibung. In dem Buch "Viereinhalb Wochen" beschreibt eine Mutter den schweren Weg von der Diagnose einer tödlichen Fehlbildung bis zur Geburt von Julius, der nur zwei Stunden leben durfte. Er stirbt in den Armen seiner Mutter.

Pränatal-Diagnose: Das Kind ist nicht lebensfähig

Erdbeere - so nannten Constanze Bohg und ihr Mann das Baby, das in ihrem Bauch heranwuchs. Erdbeere, weil ihr anfangs so übel war, dass sie nur Obst essen konnte, am liebsten Erdbeeren. In der Erdbeerzeit, im Wonnemonat Mai, erhielt Constanze die schreckliche Diagnose. "Es war der 16. Mai 2011, und an jenem Tag sollte das Licht für lange Zeit aus meinem Leben und aus dem Leben meines Mannes Tibor verschwinden" - so beginnt das Buch "Viereinhalb Wochen". In diesem Buch beschreibt die Autorin den schweren Weg von der Diagnose, dass ihr ungeborenes Kind nicht lebensfähig sein würde, bis zu dem Entschluss, es trotzdem auszutragen.

Die schwerste Entscheidung ihres Lebens

Constanze (heute 33) ist in der 14. Schwangerschaftswoche, als bei ihrem ungeborenen Sohn eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wird. Damit steht eine Frage im Raum, die die werdenden Eltern an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führt: Soll Constanze das nicht lebensfähige Kind austragen, oder soll sie die Schwangerschaft durch eine Abtreibung beenden? Die schwangere Constanze steht vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens.

Wütend, traurig und ohne Hoffnung waren ihr Partner und sie alleine gelassen mit der Diagnose "occipitale Encephalocele" - schwere Hirnmissbildung.

Baby-TV enthüllt die Tragik

Das "Baby-TV" sollte eigentlich ein glücklicher Event für die werdenden Eltern sein. Doch die Ärzte erkannten auf den Ultraschall-Bildern, dass Gehirn und Rückenmark des ungeborenen Babys teilweise außerhalb liegen. Eine Abtreibung wird den Eltern nahe gelegt. Erfahrungen mit Kindern mit dieser Fehlbildung gibt es kaum. Selbst wenn ein Baby Schwangerschaft und Geburt überlebt, würde es nur kürzeste Zeit weiter leben.

Die "Palliative Entbindung"

Constanze und ihr Mann Tibor erfahren von der "Palliativen Entbindung", bei dieser Geburt werden am Neugeborenen keine lebenserhaltenden Maßnahmen durchgeführt, das Baby wird beim Sterben begleitet.

"Wir hielten ein lebendes Kind auf dem Arm. Er weinte nicht, er hatte die Augen geschlossen, er bewegte sich nicht. Aber sein Herz schlug!" Tibor durchtrennt die Nabelschnur seines Sohnes. "Der Startschuss ins Leben und gleichzeitig auch in den Tod", heißt es in dem Buch. Constanze fühlte sich in diesem Moment "friedlich, noch immer versunken und andächtig staunend über dieses Wunder Julius Felix".

Julius durfte nur 27 Wochen wachsen und zwei Stunden leben

Das kleine Wunder durfte 27 Wochen in Constanzes Bauch wachsen und zwei Stunden leben. Bei seiner Beisetzung werden die Eltern an seinem bunt bemalten Sarg einen Brief an ihn vorlesen, in dem es heißt: "Julius, Du hast für uns die Zeit angehalten und uns zwei Stunden Ewigkeit geschenkt. Dein Schöpfer hat Dich auf die Reise geschickt, damit wir drei für zwei kostbare Stunden eins sein konnten."

Viereinhalb Wochen für die schwerste Entscheidung des Lebens

Viereinhalb Wochen braucht das Paar nach der Diagnose, bis die Entscheidung getroffen ist - viereinhalb Wochen, in denen die beiden sich selbst, ihren Glauben, ihr Leben, ihre Umwelt hinterfragen; viereinhalb Wochen, in denen sie sich informieren, reden, streiten, schweigen, weinen. Bis endlich feststeht: Sie wollen ihren Sohn zur Welt bringen. Julius Felix wird am 23. August 2011 geboren. Er lebt nur zwei Stunden.

Existenzielle Erfahrungen in einem Buch verarbeitet

Constanze Bohg und ihr Partner mussten feststellen, dass solche Erfahrungen im deutschsprachigen Raum öffentlich kaum thematisiert werden, obwohl der Verlust eines Kindes vor, während oder kurz nach der Geburt keine Seltenheit ist. "Ich erhoffe mir durch das Buch einen weiteren Beitrag zum natürlicheren und offeneren Umgang mit den Themen Trauer und Verlust. Sie gehören zum Leben dazu", fasst Bohg ihr Anliegen zusammen. "Mein großer Wunsch ist es, all diejenigen zu erreichen, die mit so einer Situation konfrontiert werden. Das sind natürlich in allererster Linie die Eltern des Kindes, aber auch die Angehörigen in Familie und Freundeskreis, die Ärzte, Psychologen, Hebammen, Humangenetiker, etc.".

Trauerjahr voller Schmerz und Tränen

Sie empfand die Arbeit an dem Buch mit einem Ghostwriter des Verlags als intensive Trauerarbeit. "Aber die Zeit war auch wunderschön, denn es ging ja immer auch um meinen Sohn Julius."

Für Constanze war das erste Trauerjahr voller Schmerz und Tränen. "Mein Mann und ich haben gelernt, Schritt für Schritt jeden neuen Tag zu bewältigen, uns nicht heute schon um das Übermorgen den Kopf zu zerbrechen. Die Trauer kommt in Wellen und diese sind selten vorhersehbar. Wir sind sehr achtsam mit uns und miteinander."

Der Wunsch nach Familie bleibt

Es gab wichtige Stationen in dem Leben der verwaisten Eltern, die Mutterkur, das heimliche Training für Constanzes ersten Halbmarathon, das Buch. Immer wieder wechselten sich Trauer und der Blick nach vorne ab. Es gibt auch Pläne für die Zukunft, die natürlich stark geprägt sind von den Erfahrungen. "Meine Zukunftspläne halten sich in Grenzen, ich bin nicht mehr der große Planer wie früher. Eine glückliche Familie und ein mit Sinn erfülltes Leben sind und bleiben meine großen Ziele", sagt die lebensbejahende Frau.

Buchhändlerinnen beschreiben das erste Feedback auf das Buch so: Manche Frauen hätten sich erst gar nicht an das ernste Thema "Mein Kind stirbt" herangewagt, seien dann aber von der positiven Lebensbejahung angetan. Trotz aller Tragik, lässt einen das Buch nicht traurig oder deprimiert zurück.

"Wir sind wieder auf einer Reise"

Müsste Constanze Bohg ihr Buch in einem Satz zusammenfassen, könnte er so lauten: "Jeder, der mit einer solchen oder ähnlich existenziellen Situation konfrontiert wird, sollte sich die Zeit nehmen, zu einer gereiften Entscheidung zu finden, über der er Frieden hat und sich selbst treu bleibt."

Einem Mensch, dessen Leben sich - wie ihres - in nur einem Augenblick ändert, von dem an nichts mehr ist, wie es früher war, dem würde Constanze Bohg wünschen, dass er sich Zeit nimmt für seine Entscheidung. "Vor allem sollten die Betroffenen in sich hineinhorchen und das tun, was ihnen selbst gut tut. Allgemeine Ratschläge zu geben, hilft in so einer Situation nicht. Jeder Fall ist individuell und muss als solcher betrachtet werden. Was uns damals geholfen hat, kann für andere heute hilfreich sein, muss es aber nicht."

Und Constanze Bohg selbst? "Wir sind wieder auf einer Reise".

Buchtipp: Constanze Bohg, Viereinhalb Wochen, Pattloch, 2012, 19,99 Euro, ISBN 978-629-13023-5

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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